Am Montag erst habe ich über eine wissenschaftliche Arbeit berichtet in der der Einfluss kosmischer Strahlung auf die Evolution untersucht wird. Die kosmische Strahlung ist aber auch dann interessant, wenn man nicht ihre Auswirkungen betrachtet, sondern ihre Quellen. Denn da gibt es immer noch viel, das wir nicht verstehen. Eine internationale Kollaboration von Wissenschaftlern hat den offenen Fragen nun kürzlich eine weitere hinzu gefügt: Wieso gibt es am Himmel im Sternbild “Großer Bär” eine Stelle, von der mehr hochenergetische kosmische Strahlung kommt als von anderswo?
Kosmische Strahlung besteht eigentlich aus Teilchen. Es handelt sich dabei im wesentlich aus Atomkernen, und da mehrheitlich um Protonen (also die Kerne von Wasserstoffatomen). Diese Teilchen werden aus der äußeren Atmosphäre von Sternen ins All geschleudert. Aber auch Supernova-Explosion treiben jede Menge Atomkerne durch die Gegend und die hochenergetischen Prozesse in der Umgebung der supermassereichen Löcher in den Zentren der Galaxien schleudern ebenfalls Teilchen hinaus. Die meisten Partikel der kosmischen Strahlung die hier bei uns auf der Erde ankommen, stammen von der Sonne und sind relativ langsam; haben also eine recht niedrige Energie. Es gibt aber immer wieder auch Teilchen mit enorm hohen Energien und deren Herkunft konnte bis jetzt noch nicht zweifelsfrei geklärt werden. Sie können nicht einfach durch die normale Turbulenz in einer Sternatmosphäre ins All hinaus geschleudert werden, denn das reicht nicht aus um sie mit so hohen Energien auszustatten. Auch normale Sternexplosionen sind dazu nicht in der Lage. Da muss schon etwas mit mehr Wumms passieren, zum Beispiel ein Gammablitz, also die Explosion eines wirklich großen Sterns. Sie können aber auch aus den Kernen aktiver Galaxien stammen, wo riesige schwarze Löcher große Mengen an Materie verschlucken, einen Teil aber mit ihrer Gravitationskraft auch einfach nur enorm stark beschleunigen und wieder hinaus ins All schleudern. Die hochenergetische kosmische Strahlung könnte auch bei Kollisionen zwischen Galaxien und den dabei entstehenden Schockwellen (und ja, dieses Wort existiert in der deutschen Sprache wirklich und bedeutet zumindest laut Duden das gleiche wie “Stoßwelle”) im galaktischen Gas produziert werden. Oder aber es sind irgendwelche bisher noch völlig unbekannten Prozesse, die den Teilchen eine solche hohe Energie verleihen.
Sie kommen auf jeden Fall von außerhalb unserer Milchstraße – können aber auch nicht zu weit entfernt ihren Ursprung haben, denn je weiter weg sie sind, desto größer ist die Chance dass sie unterwegs irgendwo von der überall im Universum befindlichen kosmischen Hintergrundstrahlung wechselwirken und abgeschwächt werden. Aber das lässt immer noch einen Umkreis von 300 Millionen Lichtjahre zu und es ist genug Platz für Phänomene, die ultrahochenergetische kosmische Strahlung produziert.
Es geht hier um Teilchen mit einer Energie von mindestens einer Trillion Elektronenvolt. Ok, das sind nur 0,00004 Kilokalorien und in unserem menschlichen Alltag entspricht das keiner sehr großen Energiemenge. Aber diese ganze Energie steckt in einem einzigen Proton, das sich mit annähernd Lichtgeschwindigkeit bewegt. Würde man so ein Ding an den Kopf kriegen, würde sich dieses eine Proton so anfühlen wie der Treffer mit einem Baseball… Aber zum Glück sind diese ultrahochenergetischen Teilchen recht selten und außerdem schützt uns ja die Atmosphäre der Erde. Bevor sie irgendwem an den Kopf knallen können, kollidieren sie mit einem der Moleküle in der Luft und erzeugen einen Schauer anderer Teilchen, so wie bei den Experimenten in einem Teilchenbeschleuniger. Diese neu produzierten Partikel kann man dann auf der Erde in Detektoren messen und daraus berechnen, welche Energie die kosmische Strahlung ursprünglich gehabt haben muss. Andere Instrumente beobachten den Himmel und suchen dort die charakteristischen “Blitze” die entstehen, wenn kosmische Strahlung auf Sauerstoff- oder Stickstoffatome trifft (die man mit freiem Auge aber nicht sehen kann).
Solche Messungen sind die Aufgabe des Telescope Array Projekts, bei dem sich Japan, USA, Russland, Südkorea und Belgien zusammengetan und in der Wüste von Utah diverse Messinstrumente aufgestellt haben. Der Vorläufer des Telescope Arrays hat dort 1991 auch das Teilchen mit der bisher höchsten gemessenen Energie beobachtet: 300 Trillionen Elektronenvolt. Zwischen 2008 und 2013 hat man den Himmel kontinuierlich vermessen und die Ergebnisse wurden nun publiziert (“Indications of Intermediate-Scale Anisotropy of Cosmic Rays with Energy Greater Than 57 EeV in the Northern Sky Measured with the Surface Detector of the Telescope Array Experiment”). Man hat sich auf die Teilchen konzentriert, deren Energie größer als 57 Trillionen Elektronenvolt ist. Diesen großen Wert hat man gewählt, um sicherzustellen, dass die Flugbahn der Teilchen nicht durch kosmische Magnetfelder verzerrt wird, was um so wahrscheinlicher ist, je geringer ihre Energie ist. In den 5 Jahren wurden insgesamt 72 Teilchen mit solch hohen Energien registriert und eigentlich hatte man erwartet, dass sie gleichmäßig aus allen Richtungen zur Erde kommen. Das war aber nicht der Fall: 19 von ihnen kamen aus einer Region im Sternbild “Großer Bär” (dort wo sich auch der “Große Wagen” befinden). Das kann natürlich Zufall sein, denn bei so wenig Messungen kann es jede Menge statistische Fluktuationen geben. Die Wissenschaftler haben das nachgerechnet und kommen zu dem Schluss, dass es sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,986 Prozent nicht um einen Zufall handelt. Das ist überzeugend – aber auch nicht sooo überzeugend, dass man eine Fluktuation komplett ausschließen kann.
Interessant ist allerdings, dass dieser “Hotspot” in der sogenannten supergalaktischen Ebene liegt. Unsere Galaxie gehört ja mit mehreren anderen Galaxien zu einem großen “Galaxienhaufen” der wiederum mit anderen Galaxienhaufen Teil des Virgo-Superhaufens ist (siehe dazu auch hier). Sonne und Erde befinden sich in den äußeren Bereichen der Milchstraße und wenn wir genau in Richtung der Ebene der Galaxie blicken, dann sehen wir dort jede Menge Sterne und am Himmel das typische helle Band der Milchstraße. Genau so befindet sich unsere Galaxie aber auch am Rande des Virgo-Haufens und der Hotsport ist in etwa dort, wo sich im galaktischen Superhaufen die meisten Galaxien befinden. Die ultrahochenergetische kosmische Strahlung scheint also mit großräumigen Struktur des Universums zu korrespondieren. Das ist jetzt keine Mega-Überraschung, denn aus den Gegenden, in denen sich keine Galaxien befinden, kann auch kaum Strahlung kommen. Aber es ist trotzdem eine interessante Statistik. Und immerhin wissen wir nun, dass die kosmische Strahlung vermutlich doch durch “normale” Prozesse verursacht wird die mit der normalen, sichtbaren Materie zu tun haben, also Sternen und Galaxien und dabei keine bisher unbekannte, exotische Physik beteiligt ist.
Die Geschichte endet so, wie viele Geschichten in der Wissenschaft endet: Es braucht mehr Daten! Man muss noch mehr ultrahochenergetische Teilchen vermessen, bessere Statistiken erstellen und größere und genauere Detektoren bauen. Und dann wird man irgendwann auch das Rätsel der kosmischen Strahlung lösen!
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