Die Geschichte ist nicht neu sondern in der Form schon oft genug abgelaufen. Immer wieder gibt es Leute, die meinen sie hätten die Relativitätstheorie widerlegt, die Quantenmechanik revolutioniert, ein Perpetuum-Mobile gebaut oder die “Weltformel” gefunden. Und gemeinerweise werden sie von den bösen “Schulphysikern” immer ausgegrenzt, ausgelacht und ignoriert. Allerdings nicht, weil sie “Außenseiter” sind – sondern weil die revolutionären Theorien eben in so gut wie allen Fällen kompletter Unsinn sind. Es gibt natürlich immer Ausnahmen. Manchmal sind revolutionäre Thesen tatsächlich neu, revolutionär UND korrekt und wenn das der Fall ist, dann ändern sich Weltbilder. Die Erkenntnisse von Galilei, Wegener oder Einstein gehören zum Beispiel dazu – aber man muss sich bewusst sein, dass der Umkehrschluss nicht gilt. Nur weil manche revolutionäre Gedanken zuerst skeptisch betrachtet und sich danach dennoch durchgesetzt haben, folgt daraus nicht, dass jeder Gedanke, der skeptisch betrachtet wird, auch tatsächlich revolutionär und richtig ist (dieser Fehlschluss nennt sich Galileo Gambit und taucht in abgewandelter Form auch in Unzickers Artikel auf).
Wie sieht es nun aus mit Robitailles Theorie? Revolution oder doch nur Unsinn? Um das feststellen zu können, muss man erst mal die Informationen herausfinden, die Unzicker in seinem Artikel verschweigt und nachsehen, worum es wirklich geht. Seine Arbeiten zur Astrophysik hat der Arzt aus Ohio in einem Journal mit dem Namen “Progress in Physics” veröffentlicht. Dort findet man jede Menge Artikel mit beeindruckend klingenden Namen (zum Beispiel “The Infinite as a Hegelian Philosophical Category and Its Implication for Modern Theoretical Natural Science”, “Tractatus Logico-Realismus: Surjective Monism and the Meta-Differential Logic of the Whole, the Word, and the World” oder “The Dark Side Revealed: A Complete Relativity Theory Predicts the Content of the Universe”). Aber bei genauerer Betrachtung publiziert dort im wesentlichen immer wieder nur die gleiche Gruppe von Autoren, was kein gutes Zeichen für die Qualität des Journals ist. Genauso wenig wie die extrem kurze Zeit, die zwischen Einreichung und Begutachtung der Artikel liegt: Wie man an den Daten in den Artikel sehen kann, dauert das oft nur einen Tag oder weniger. Normalerweise dauert der Begutachtungsprozess bei einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift mehrere Wochen. Es wundert mich also nicht, wenn Robitailles Artikel in den üblichen wissenschaftlichen Datenbanken nicht aufscheinen. Dort findet man in der Regel nur die Veröffentlichungen aus regulären und seriösen Zeitschriften (und entgegen aller Vorurteile ist es absolut kein Problem in einer astronomischen Fachzeitschrift zu publizieren, auch wenn man kein Astronom ist – man muss einfach nur eine vernünftige Arbeit einreichen).
Aber lassen wir die formale Betrachtung. Vielleicht steht in Robitailles Artikel ja trotzdem etwas Revolutionäres; etwas, das so enorm revolutionär ist, dass es tatsächlich totgeschwiegen werden muss. Ich habe mir nicht alle der Dutzenden “Artikel” von Robitaille durchgelesen. Die meisten davon sind auch nur kurze Notizen und selten mehr als zwei Seiten lang. Darin erklärt er dann auch, was die Sonne denn nun sein soll, wenn nicht gasförmig: Seiner Meinung nach besteht sie aus “Liquid Metallic Hydrogen”, also flüssigem metallischen Wasserstoff. Metallischen Wasserstoff gibt es tatsächlich. Unter hohem Druck kann sich das Elektron in der Hülle des Wasserstoffatoms so anordnen, dass der Wasserstoff wie ein Metall elektrisch leitend wird. Man bekommt dann eine Art Gitter aus Wasserstoffatomkernen. Dieser Zustand wurde in Laborexperimenten schon nachgewiesen und vermutet, dass die Kerne der großen Gasplaneten wie Jupiter oder Saturn aus dieser Form des Wasserstoffs bestehen. Laut Robitaille soll aber auch die Oberfläche der Sonne so beschaffen sein.
Um zu sehen was da dran ist, habe ich mir die von Unzicker so gelobte Veröffentlichung mit den “über 400 zitierten Artikeln” angesehen: “Forty Lines of Evidence for Condensed Matter — The Sun on Trial: Liquid Metallic Hydrogen as a Solar Building Block” (Progress in Physics, 2013/4, PDF). Darin verspricht Robitaille 40 verschiedene Argumente für seine These. Klingt vielversprechend – ist es aber leider nicht. Rein formal sieht die Arbeit sehr professionell und wissenschaftlich aus. Aber Robitaille ist ja auch Wissenschaftler, insofern ist das kein Wunder. Bei näherer Betrachtung offenbart sich aber ein sehr lückenhaftes Verständnis astronomischer Zusammenhänge. Viele der “Argumente” beziehen sich beispielsweise darauf, wie Astronomen über bestimmte Phänomene sprechen. Zum Beispiel in der “Asteroseismologie”, also der Disziplin, wo man aus den Schwingungen der Sternmaterie Informationen über ihr Inneres ableitet (ich habe das hier genau erklärt). Robitaille schreibt dazu:
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