Die Universität Lüneburg sieht schon von außen sehr nachhaltig aus. Zumindest so, wie man sich das eben vorstellt: Schöne Backsteingebäude die mitten im Grünen liegen und von jeder Menge Grün umgeben sind. Bäume, Holzbänke und überall Fahrräder. Und eine eigene Fakultät für Nachhaltigkeit, an der – unter anderem – der Klimawandel erforscht wird. Allerdings auf eine Art und Weise, die man mit der typischen Klimaforschung normalerweise nicht in Verbindung bringt. In Lüneburg sind es neben den Naturwissenschaftlern nämlich auch die Sozialwissenschaftler, die sich mit der Veränderung unseres Klimas auseinandersetzen. Und diese Arbeit ist durchaus wichtig, denn wenn ein Forschungsgegenstand der Naturwissenschaften Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat, dann auf jeden Fall der Klimawandel.
Im Büro von Dr. Gesa Lüdecke vom Institut für Umweltkommunikation hängt eine Karte der Nordseeküste, die das eindrucksvoll demonstriert. Sie zeigt die Grenze des Geests, der höher gelegenen Ebene, die hinter Küste, Wattenmeer und Marsch im Landesinneren liegt. Hierhin müsste man sich zurück ziehen, wenn die Auswirkungen des Klimawandels die näher am Wasser gelegenen Gebiete unbewohnbar machen. Die Kapitulation vor dem eindringenden Wasser ist allerdings nur eine von vielen Strategien um die Küste zu schützen. Man kann natürlich die Deiche erweitern oder erhöhen, aber nicht beliebig. “Irgendwann gerät man an den Rand der Möglichkeiten”, erkärt Gesa Lüdecke, und dann gibt es verschiedene Alternativen. Im Rahmen des Projekts A-KÜST (“Veränderliches Küstenklima – Evaluierung von Anpassungsstrategien im Küstenschutz”) haben Ingenieure und Wissenschaftler einige dieser Alternativen untersucht. Wellenbrecher vor den Deichen können dem Wasser die Kraft nehmen und die Deiche entlasten. Deiche können auch weiter zurück ins Landesinnere gesetzt werden um dem Meer größeren Raum zu geben. Häuser können auf Stelzen gesetzt und wichtige Infrastruktur mit Ringdeichen geschützt werden. Oder man zieht sich eben auf den Rand der Geest zurück.
Die Identifikation der möglichen Anpassungsstrategien ist aber nur ein Teil der Forschung an der Universität Lüneburg. Am Ende ist es die Bevölkerung an der Küste, die auf den Klimawandel reagieren muss und daher untersuchen die Sozialwissenschaftler wie sich die Veränderung der Umwelt aus Sicht der betroffenen Menschen präsentiert. Teilweise mit überraschenden Ergebnissen: In einer großen Umfragen hat man herausgefunden, dass Wissenschaftler und Bevölkerung ganz unterschiedlicher Auffassung sind, was die Möglichkeiten der Problemlösung angeht. Den Berechnungen und Modellen der naturwissenschaftlichen Experten zufolge kann die derzeitige Küstenschutzstrategie noch bis etwa zum Jahr 2100 weiter verfolgt werden. Zumindest in der von A-KÜST untersuchten Region, die Dollart-Bucht an der Grenze zu den Niederlanden, lassen sich die prognostizierten Veränderungen noch mit technischen Lösungen abfangen und unter Kontrolle bringen. Die Bevölkerung aber zeigte sich in der Befragung wesentlich pessimistischer und ging mehrheitlich davon aus, dass man schon in knapp 20 Jahren an den Rand der Möglichkeiten gerät und alternative Strategie finden muss.
Die konkrete Zukunftsangst hält sich allerdings in Grenzen. Mit den wirklich schlimmen Auswirkungen des Klimawandels und großen Sturmfluten rechnet man nicht in der Gegenwart und auch nicht in der nahen Zukunft. Irgendwann später, so die Meinung in der Bevölkerung, wird es dann aber kritisch. Und dann hofft man darauf, dass sich der Staat darum kümmern wird: “Es herrscht ein ganz großes Vertrauen in die Institutionen”, erklärt Gesa Lüdecke die Ergebnisse ihrer Befragungen. Forschungseinrichtungen und Deichbehörden und Oberdeichrichter gelten in der Region als kompetent und man traut ihnen die Lösung der kommenden Probleme zu. Die Bevölkerung setzt auf die Urteilsfähigkeit der Entscheidungsträger und die zukünftigen technischen Möglichkeiten.
Vor Ort ist man sich der Probleme bewusst (nur 6 Prozent der im Projekt befragten Menschen leugneten die Existenz eines Klimawandels) und es fehlt auch die typische Hysterie, die man in vielen Medien finden kann. Die Menschen an der Küste sind auch sehr daran interessiert, mehr über das zu erfahren, was unter Umständen auf sie zu kommt, wie der Erfolg der Wanderausstellung “Sturmflut – wat geiht mi dat an?” gezeigt hat, die im Rahmen eines Vorgängerprojekts (“SAFECOAST”) in Schleswig-Holstein gezeigt worden ist.
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