Die Schiffe, die hinter dem Deich durch die Nordsee fahren, haben mittlerweile alle ihre eigenen Satellitennavigationsgeräte und müssten nur im Notfall auf die klassischen Methoden der Positionsbestimmung zurückgreifen. Und auch der Leuchtturm von Neuwerk leuchtet seit dem 14. Februar 2014 nur noch einfach so vor sich hin (und ist vom Meer aus kaum noch zu sehen). Er ist kein offizielles Seezeichen mehr sondern dient jetzt den Wanderern im Watt als Orientierungshilfe und den Touristen als Aussichtspunkt. Wer die 138 Stufen zur Besucherplattform zurück gelegt hat, sieht alles, was die Insel zu bieten hat. Der Blick über Neuwerk strengt die Augen allerdings nicht zu sehr an. Der Boden ist grün, der Himmel ist blau und meist voll weißer Wolken und darunter befindet sich das grau-braune Wattenmeer. Ein paar Bauernhöfe, die heute alle auch als Hotel und Restaurants verwendet werden; ein paar Kühe und Pferde und ein paar Baken im Inselvorland sind alles, was die landschaftliche Monotonie durchbricht.

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Heute morgen aber wird der ruhige Blick über die beruhigende Insellandschaft durch das Wetter gestört. Immer wieder ziehen Regenwolken über die Insel; alle paar Minuten durchnässt ein Schauer die Besucher und wer sich nicht im Windschatten des Deichs aufhält, wird vom gnadenlosen Wind durchgerüttelt. Oben auf dem Turm gibt es vor Wind und Wetter sowieso kein Entkommen und die wenigen Touristen, die am Morgen mit dem Pferdewagen über das Watt oder mit dem Schiff übers Meer gekommen sind, halten sich lieber in den warmen Gaststuben der Restaurants auf. Das Tiefdruckgebiet “Yasmin” ist es, das den Inselbewohnern und -besuchern das Leben derzeit schwer macht. Aber irgendwann wird es wohl auch wieder ein Hoch auf der Insel geben müssen, denn das eine gibt es nicht ohne das andere.

Luft haben wir zwar überall auf der Erde aber nicht immer überall auch gleich viel. Über manchen Regionen wiegt die Atmosphäre mehr und am Boden ist der Luftdruck großer. Anderswo dagegen herrscht Tiefdruck und da die Natur immer auf Ausgleich bedacht ist, strömt Luft vom Hochdruckgebiet ins Tiefdruckgebiet. Das tut sie aber nicht auf direktem Weg; da hat die Rotation der Erde etwas dagegen.

Ein Tag dauert auf unserem Planeten 24 Stunden. Das ist die Zeit, die er für eine Drehung um seine Achse braucht und sie ist überall gleich. Der Weg den man während dieser 24 Stunden zurücklegt ist dagegen unterschiedlich. Am Äquator sorgt die Erddrehung dafür, dass man mit einer Drehung knapp 40.000 Kilometer hinter sich bringt. 53 Grad weiter nördlich, am Breitenkreis auf dem auch die Insel Neuwerk liegt, dauert einen Drehung der Erde immer noch 24 Stunden. Aber die Insel legt dabei nur knapp 24.000 Kilometer zurück. Am Äquator haben wir also – ganz ohne uns in Bezug auf die Erdoberfläche zu bewegen – eine viel höhere Geschwindigkeit und würden wir uns von dort direkt auf die Insel Neuwerk beamen, dann würde unser Aufenthalt dort nicht lange dauern. Wir wären viel schneller als die Erde unter unseren Füßen und würden sofort in Richtung Osten davon geschleudert werden; in die Richtung, in die sich auch die Erde dreht.

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Die Luft über unserem Planeten kann sich zwar nicht beamen, aber wenn sie – wie im Tiefdruckgebiet Yasmin – eigentlich von außen nach innen Richtung des Punktes mit dem tiefsten Luftdruck strömen will, dann lenkt sie der Unterschied in der Rotationsgeschwindigkeit nach rechts ab und anstatt einer geraden Bewegung entsteht ein Luftwirbel, der sich gegen den Uhrzeigersinn dreht. Die herumwirbelnde Atmosphäre erzeugt den Wind, der hier auf Neuwerk überall präsent ist. Den Wind, der das Wasser über das Watt peitscht und bei ausreichender Stärke die sicheren Wattwanderzeiten verkürzen kann. Denn dann treibt er die Flut vor sich her und unterstützt den Mond bei seiner Arbeit.

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Kommentare (14)

  1. #1 McPomm
    26. August 2014

    Verstärkt der Flutberg des Wassers die Bremswirkung der Gezeiten? Also, wäre die Gezeitenwirkung schwächer, wenn die Erde keine Ozeane hätte? Die Kontinente unterliegen ja auch der Gezeitenkraft.

  2. #2 noch'n Flo
    Schoggiland
    26. August 2014

    @ FF:

    Sollte euch diese Reportage gefallen haben, kann man das Projekt in Zukunft gerne an einem anderen Ort wiederholen.

    Auf jeden Fall, gerne. Toller Artikel!

    Hoffe, Dir hat es auf Neuwerk auch gut gefallen.

  3. #3 Alderamin
    26. August 2014

    @McPomm

    Nach Wikipedia verursacht das Wasser ganze 98% der gesamten Leistung, die an Gezeitenreibung anfällt.

  4. #4 Witold Ch.
    26. August 2014

    FF at his best! Schöner Text!

    Frage zum Wind: Diese strömenden Luftmassen, werden sie nun aus dem Hochdruckgebiet herausgeblasen oder doch eher vom Tiefdruckgebiet angesaugt?

  5. #5 Berossos
    26. August 2014

    @Alderamin

    Ein bisschen off-topic, passt aber dennoch in den Kontext: Man geht davon aus, dass im Hadaikum vor rund 4 Milliarden Jahren, kurz nach Entstehung des Mondes und der ersten Ozeane, unser Trabant die Erde in einem Abstand von von nur 60.000 km umkreiste (manche Modelle geben noch weniger an). Auf jeden Fall war die Gezeitenwirkung mindestens das Hundertfache stärker als heute. Wobei die Tageslänge nur etwa 10 bis 14 Stunden betrug. Vermutlich muss man sich das Ganze als eine Art von Dauer-Tsunami vorstellen, der über Millionen Jahre hinweg unablässig über den Erdball rollte.

  6. #6 Sepp
    26. August 2014

    Sehr schöner Text! Ich hoffe, dass du eine schöne Reise hattest.

    @Witold Ch.: Gebiete mit niedrigerem Druck können nichts “ansaugen”, es wird immer vom höheren Druck gedrückt. Bei einem Strohhalm ist das gut erkennbar. Ziehst du am oberen Ende, so verringest du den Druck im Halm. Der Luftdruck außerhalb ist nun höher und drückt das Wasser hoch in den Halm. Das ist auch der Grund, warum das Wasser in einem Strohhalm nicht beliebig hoch gezogen werden kann.

  7. #7 Kallewirsch
    26. August 2014

    @Witold

    Ich würds so sagen:
    Zwichen Gebieten mit Überdruck und Gebieten mit Unterdruck entsteht eine Kraft, die dafür sorgt, dass das Medium strömt. Man kann nicht sagen, dass der Überdruck schiebt oder das der Unterdruck saugt. Beides ist der Fall und eine reine Frage der Sichtweise. Denn zu jedem Überdruck gehört per Definition immer auch ein Unterdruck. Das impliziert schon die Bezeichnung, denn einen ‘Über-‘Druck kann es nur geben, wenn der Druck irgendwo anders niedriger ist.

    Und natürlich kann man auch der Sichtweise anhängen, dass der Unterdruck in einem Strohhalm das Wasser ‘ansaugt’. Auch hier lässt sich zeigen, dass Wasser nicht beliebig hoch gesaugt werden kann, denn man kann ja nicht beliebig tiefen Unterdruck erzeugen.
    Rein rechnerisch kommt bei beiden Sichtweisen ein identisches Ergebnis heraus. ‘Schieben’ oder ‘Ziehen’ ist nicht die Frage, denn das einzig relevante ist die Differenz.

  8. #8 Witold Ch.
    26. August 2014

    @ Sepp

    Vielen Dank für die plausible Antwort.

    (Hätte ich eigentlich selber drauf kommen müssen …)

  9. #9 Witold Ch.
    26. August 2014

    @ Kallewirsch

    Vielen Dank für Deine präzisierenden Worte.

    … entsteht eine Kraft, die dafür sorgt, dass das Medium strömt.

    (… früher der der pauspäckige Aiolos, der milde Zephyros oder der rauhe Boreas …)

  10. #10 Moss
    Ladenburg
    26. August 2014

    Es gibt Gezeitenkraftwerke, die Energie aus Ebbe und Flut holen. Das erhöht die Gezeitenreibung und damit die Geschwindigkeit, mit der der Mond sich entfernt. Ich frage mich, wieviel Energie man da entziehen müßte, um einen (mit unseren derzeitigen Mitteln) messbaren Effekt zu bekommen – die paar GW, die derzeit entnommen werden, dürften ja ziemlich irrelevant sein.

  11. #11 Alderamin
    26. August 2014

    @Moss

    Ich frage mich, wieviel Energie man da entziehen müßte, um einen (mit unseren derzeitigen Mitteln) messbaren Effekt zu bekommen – die paar GW, die derzeit entnommen werden, dürften ja ziemlich irrelevant sein.

    Aus dem Wikipedia-Link von oben: 3,75 TW an Gezeitenreibung fallen an, davon 98% durch das Wasser, das macht 3,675 TW. Ein paar Gigawatt mehr spielen da offenbar keine Rolle. Interessant allerdings, dass der Weltenergieverbrauch an elektrischem Strom mit fast 23800 TWh/a (17% von 140 PWh/a), das entspricht 2,72 TW Dauerleistung über ein Jahr, bereits in der Größenordnung der gesamten Gezeitenreibung sind. Da man diese nie komplett und verlustfrei wird nutzen können, reichte also die Gezeitenreibung auf der ganzen Erde nicht aus, um die Menschheit mit Strom zu versorgen. Selbst wenn wir diese durch entsprechende Kraftwerke noch weiter erhöhen würden – man müsste das gesamte Flutwasser aller Ozeane ausbeuten, was schwerlich gelingen dürfte.

    Die größten Gezeitenkraftwerke (siehe Wikipedia) leisten aber nur maximal 20 MW. Zum Vergleich: die Windkraftanlage Alpha Ventus leistet mit 12 Windrädern maximal 60 GW, im Jahresmittel 2012 268 GWh entsprechend einer Durchschnittsleistung von 30 MW.

  12. #12 Karl Mistelberger
    26. August 2014

    > “Im Jahr 1687, als der große Leuchtturm auf Neuwerk schon 377 Jahre alt war, hat der ebenfalls große Isaac Newton sein Buch “Philosophiae Naturalis Principia Mathematica” veröffentlicht und darin erklärt, wie man die Gravitationskraft berechnet.”

    Von der Begründung der Newtonschon Mechanik bis zur präzisen Vorhersage der Gezeiten war es ein weiter Weg. Erst Pierre-Simon Laplace gelang der entscheidende Durchbruch (unter Zugrundelegung von Newtons Mechanik): Laplace’s tidal equations. Selbst von da ab dauerte es noch sehr lange bis praktischer Viorhersagen möglich wurden: Gezeitenrechenmaschine

  13. #13 Alderamin
    26. August 2014

    @myself

    Vergleich: die Windkraftanlage Alpha Ventus leistet mit 12 Windrädern maximal 60 GW

    Ups, 60 MW waren hier gemeint, so stark bläst der Wind dann auch nicht…

  14. #14 PDP10
    26. August 2014

    @ Florian:

    Sollte euch diese Reportage gefallen haben, kann man das Projekt in Zukunft gerne an einem anderen Ort wiederholen. “

    Schliesse mich noch’n Flo an.
    Schöner Bericht! Mehr davon wäre toll.