Es treibt also zum einen eine veraltete Annahme über kognitive Ressourcen, die Hoffnung einer sich zum positiven weiterentwickelnden Menschheit, der Aberglaube, aber auch eine pseudowissenschaftliche Idee einer potentiell übermenschlichen, mentalen Weiterentwicklung, den 10%-Mythos.
Also nutzen wir ständig 100% unseres Gehirns?
Ja und nein und schon gar nicht bewusst. Generell ist das Gehirn dauerhaft aktiv und verbraucht im Schnitt immer gleich viel Energie. 20% des gesamten Energiehaushalts des Körpers wird vom Gehirn verbraucht, also in etwa **zehn** mal mehr Energie, als die Gewebemasse allein vermuten lassen würde. An Ratten wurde festgestellt, dass die Aufrechterhaltung des Ruhepotentials nur etwa 15% des Energiehaushalts des Gehirns und der größte Teil die aktive Signalverarbeitung ausmacht (Raichle & Gusnard, 2002). Das Ruhepotential ist das Membranpotential einer Nervenzelle in Ruhe, also ohne, dass diese durch eine Aktivierung durch andere Zellen, gestört wird. Dabei werden die Konzentrationsgradienten der relevanten Ionen zwischen dem Außenmedium und dem Zellinneren aufrecht erhalten, so dass eine konstante elektrische Spannung herrscht. Unsere Nervenzellen sind also **nie** ganz inaktiv, sondern werden durch das Ruhepotential ständig in “Alarmbereitschaft” gehalten. Sobald das Schwellenpotential durch initiierten Ionen-Einstrom überschritten wird, wird ein Aktionspotential ausgelöst. Die Nervenzelle “feuert” und das Signal wandert das Axon der Nervenzelle entlang, hin zu anderen Nervenzellen, die mit dem Axon über Dendriten verbunden sind. Außerdem besteht auch ohne äußere Reize immer eine gewisse Grundaktivität, die so genannte Spontanaktivität. Nervenzellen werden von mit ihnen verbundenen anderen Nervenzellen an ihren Synapsen durch hemmende oder erregende Verbindungen ständig in einem Zustand der mehr oder minder ausgeprägten Erregbarkeit gehalten. Je nach Aufgabe der Zelle im eingebetten Netzwerk kann eine Nervenzelle somit schneller oder verzögerter ein Aktionspotential auslösen.
Was ist aber mit der “echten” Verarbeitung von Stimuli?
Unter “Stimuli” versteht man die Reize, die unter kontrollierten Bedingungen auf die Sinnesorgane von Versuchstieren/-personen ausgeübt werden. Untersuchungen haben festgestellt, dass ein Unterschied im Energieverbrauch bei einem Vergleich zwischen dem Gehirn in “Wartestellung” und der Verarbeitung eines Stimulus, wenn überhaupt, sehr gering ist (Sokoloff et al., 1955). Wer also auf die Idee kommt, man könne ja abnehmen, indem man ganz viel nachdenkt, wird hier enttäuscht sein und das tut mir leid. 🙁
Unser Gehirn löst das Problem der Wahrnehmung nach dem Prinzip vom “Teilen und Herrschen”, da es viel zu verschwenderisch wäre für alle möglichen Kombinationen und Variationen von Stimuli in unterschiedlichsten Umgebungen spezialisierte Verarbeitungsmechanismen im Gehirn bereit zu stellen, metabolisch “durchzufüttern” und auch unser Schädel nur begrenzten Platz zur Verfügung stellt. Die “Verarbeitung” aller wahrnehmbaren Reize ist wichtig, da erst durch diese relevante Informationen destilliert werden können. Wir schlüsseln daher die Stimuli in ihre relevanten Bestandteile auf und verarbeiten sie in getrennten, spezialisierten Netzwerken. Es werden also einzelne Netzwerke aus ihrer “Ruhestellung” gerissen um den Stimulus zu verarbeiten. Innerhalb, aber auch zwischen diesen Netzwerken kann es zu korrelierter Aktivität kommen. Korrelierte Aktivität ist wichtig, damit nach dem Hebb’schen Prinzip das was “zusammen” feuert sich zusammen schalten, also Synapsen miteinander bilden kann. Dies ist eines der fundamentalen Prinzipien des Lernens. Daher wäre es nicht zielführend, wenn weite Teile des Gehirns synchron feuern, denn so könnten sich keine spezialisierten Netzwerke von Nervenzellen bilden, die dann gezielt bestimmte Bestandteile der Stimuli verarbeiten können. Es gibt übrigens einen Zustand, bei dem große Teile des Gehirns synchron aktiv werden: epileptische Anfälle.
Das Gehirn ist also im Schnitt immer gleich aktiv, mit geringen Abweichungen, die bei der Verarbeitungen der uns umgebenden, sich ständig verändernden Welt, auftreten.
Trotz dieser Aufarbeitung werde ich mir diesen Film nicht entgehen lassen. Denn auch wenn die Grundannahme des Films weit von Science Fact entfernt ist und die Science Fiction somit leider weit hergeholt wirkt, wird er bestimmt gutes Popcorn Kino abgeben. 🙂
* Lucy. (n.d.). Retrieved August 14, 2014, from
* Mythos einer 10% Nutzung des Gehirns. (2012, March 30). Retrieved from [https://www.psiram.com/ge/index.php/Mythos_einer_10%\_Nutzung\_des_Gehirns][2]
* Indigo-Kinder. (2013, March 27). Retrieved from
* Impfgegner. (2013, November 25). Retrieved from
* Hohner, M. (2011, July 29). Fehlschluss #14: Naturalistischer Fehlschluss. Retrieved from
* Raichle, M. E., & Gusnard, D. A. (2002). Appraising the brain’s energy budget. Proceedings of the National Academy of Sciences, 99(16), 10237-10239.
* Sokoloff, L., Mangold, R., Wechsler, R., Kennedy, C. & Kety, S. S. (1955). The effect of mental arithmetic on cerebral circulation and metabolism. J. Clin. Invest. 34, 1101–1108.
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