Dieser Gastartikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb. Alle eingereichten Beiträge werden im Lauf des Septembers hier im Blog vorgestellt. Danach werden sie von einer Jury bewertet. Aber auch alle Leserinnen und Leser können mitmachen. Wie ihr eure Wertung abgeben könnt, erfahrt ihr hier.
Dieser Beitrag wurde von Niklas Götz eingereicht.
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Als der von Krankheit gezeichnete, römische Kaiser Vespasian seinen Tod und die darauf folgende Divinisierung vorhersah, soll er gesagt haben: „Vae, puto deus fio!“ (Sueton, Vespasian 23) – Wehe, ich glaube, ich werde ein Gott. Im Hinblick auf das Aufsehen, das sein Schicksal in England erregte, aber auch auf die Verehrung als Volksheld der DDR hätte Hans Litten dies wohl ebenfalls sagen können, als er sich nach 5 Jahren Folter in verschiedenen KZs am 5. Februar 1938 in Dachau das Leben nahm.
Dennoch ist dies mit Einschränkungen zu sehen, denn während in der DDR jedes Schulkind den proletarischen Anwalt kannte, ließen sich in der Bundesrepublik bis zur Wende kaum Werke über ihn finden. Einzig bekannt waren das Buch seiner Mutter, Irmgard Litten, die ihren Kampf um die Freilassung ihres Sohnes schildert, sowie das Buch seines Jugendfreundes Max Fürst, welches ihre gemeinsame Kindheit in Königsberg beschreibt. Die mangelnde Rezeption Littens ging sogar so weit, dass man, als 1988 bei einer Veranstaltung über Litten in seinem Todesort Dachau ein Referent gesucht wurde, niemand anderen fand als einen DDR-Historiker.
Hans Litten galt als proletarischer Anwalt der Weimarer Republik, was nicht heißt, dass er aus einer Arbeiterfamilie stammte, sondern dass er sich für die Arbeiter einsetzte. Kaum ein Proletariersohn konnt sich ein Studium der Rechtswissenschaften leisten, vielmehr waren es Menschen, die sich von den Paradigmen ihrer Klasse lösten und sich für die weniger begüterten Zeitgenossen einsetzten. Zwar hatte es von dieser Gattung einige Exemplare gegeben, doch die meisten sind mittlerweile vollständig vergessen. Dies liegt einerseits daran, dass viele andere Juristen der damaligen Zeit im Dritten Reich zu Kollaborateuren wurden und alle Spuren der Anhänger gegensätzlicher Ideologien auslöschten, d. h. den antifaschistischen Widerstand aus ihren Akten entfernten. Andererseits besaß das juristische Milieu lange Zeit ein gewisses Traditionsbewusstsein, welches eine Identifizierung mit der gutbürgerlichen Klasse, ihrem Verhalten und ihrem Denken verlangte. Hans Litten war dazu jedoch ein Gegenmodell, welches eine vollständige Negierung darstellte.
Doch während Letzteres keinesfalls ausreicht, um einen Menschen aus der Geschichte zu entfernen, wird Ersteres aus einer Vielzahl von Gründen widerlegt. Genauso wie bei seinen Leidensgenossen Karl Liebknecht, Kurt Rosenfeld, Felix Halle, Rolf Helm, Franz und Hilde Neumann sind zwar viele Dokumente über den proletarischen Anwalt verschwunden, dennoch erlangten sie alle eine außerordentliche Berühmtheit in der DDR. Demzufolge muss noch genügend Material zur Verfügung stehen, um sich ein Bild des Lebens dieser Ikonen machen zu können. Gerade bei Hans Litten ist dies offensichtlich, denn bereits während des Krieges hatte seine Mutter Irmgard Litten ein Buch über die grausamen Aufenthalte in verschiedenen Konzentrationslagern ihres Sohnes und ihre erfolglosen Versuche, ihn zu befreien, unter dem Titel „Eine Mutter kämpft gegen Hitler” veröffentlicht. Es erschien in England, Frankreich, den Vereinigten Staaten, Mexiko und sogar China. Nach dem Krieg, schon im Jahre 1947, brachte es der Greifenverlag heraus, und 1984 gab es vom Röderberg-Verlag in Frankfurt eine Neuauflage. Eine weitere Quelle bieten die Lebenserinnerungen von Max Fürst aus dem Jahre 1973. Aber wohingegen in der DDR einige Biographien, wenn auch teilweise mit sozialistischer Propaganda, erschienen, so sollten sich in Westdeutschland erst nach der Wende Werke von besserer Qualität finden.
Um den Grund hierfür zu finden, ist es notwendig, tiefer in das Leben Hans Littens einzudringen, was im Folgenden in einem kleinen Exkurs geschehen soll.
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