Mittlerweile stellte die NSDAP für die konservativen Kräfte einen ernst zu nehmenden Verhandlungspartner dar. Sie war selbst nach dem Verlust von zwei Millionen Stimmen stärkste Kraft im Parlament, die KPD hielt nur halb so viele Mandate. Die am Boden liegende Weimarer Republik wurde seit Monaten über Notstandsverordnungen regiert.
Durch ein Amnestiegesetz wurden die Angeklagten letztendlich ohne Littens Hilfe freigelassen, ihre offensichtliche Unschuld wurde nie richterlich festgestellt. Die wichtigste Konsequenz jedoch war eine immer stärkere Hetze seitens der NSDAP gegen Litten, mit Parolen wie „Rot-Mord-Verteidiger“( Von Brück, Carlheinz, Ein Mann, der Hitler in die Enge trieb, Berlin (Ost) 1975, S. 94),„Legt dem Anarchisten endlich das unsaubere Handwerk“( König, Stefan, Vom Dienst am Recht: Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus, Berlin; New York 1987, S. 19.).
Zur gleichen Zeit lief der Röntgenstraßenprozess, in dem der proletarische Anwalt zum letzten Mal der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen konnte. Am 29. August überfielen SA-Leute eine vorbeilaufende Gruppe Arbeiter vor einem Lokal, wobei zwei von ihnen verletzt und einer getötet wurde. Die kommunistischen Arbeiter wurden wegen Totschlags aus politischen Motiven angeklagt, auf dem aufgrund einer Notstandsverordnung der Tod stand.

Hans Litten konnte nach ausführlicher Recherche feststellen, dass die Nationalsozialisten gelogen und ihre Männer selbst an- bzw. erschossen hatten. Die Angeklagten wurden freigesprochen.
Als am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, jubelten die Massen, unter ihnen auch viele Juristen. Für andere war jedoch eingetreten, was sie schon lange befürchteten.
Viele Freunde Littens hatten ihn schon seit seiner Konfrontation mit Hitler zur Emigration überreden wollen. Doch er war noch immer der Arbeiterschaft verbunden: „Die Millionen Arbeiter können nicht heraus, also muß ich auch hier bleiben“ (Litten, Irmgard, Eine Mutter kämpft gegen Hitler, Rudolstadt 1947, S. 25)

Bereits vier Wochen später kam es zum Reichstagsbrand, der den Nationalsozialisten die Möglichkeit gab, mit Hilfe der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ die Grundrechte außer Kraft zu setzen und gegen die KPD und SPD, den größten konkurrierenden Parteien, vorzugehen. Im Zuge dessen wurde Hans Litten noch in der gleichen Nacht in Schutzhaft genommen, zusammen mit kommunistischen Abgeordneten wie Fritz Emmerich, Ottomar Geschke und Willi Kasper, aber auch mit Intellektuellen und Schriftstellern wie Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn, Erich Baron und Felix Rosenheim. Anfangs wurde ihm noch der Kontakt zur Frau seines Freundes Max Fürst, Margot Fürst, erlaubt, die verzweifelt versuchte, einen Anwalt zu finden, der die Kanzlei fortführt und bei der nun möglicherweise anstehenden Verhandlung gegen Litten die Verteidigung übernimmt. Doch alle, die gefragt wurden, hatten berechtigterweise zu viel Angst oder sahen sich chancenlos.
An dieser Stelle setzte auch der Bericht Irmgard Littens ein, die nun, da sie erkannte, dass ihr Sohn dem Hohn und Spott der Nationalsozialisten ausgeliefert war, alle ihre Königsberger Verbindungen mobilisierte, um ihm zu helfen. Unter den angesprochenen Personen fanden sich Reichswehrminister von Blomberg, Reichsbischof Ludwig Müller, Reichsjustizminister Gürtner und Staatssekretär Freisler, wobei letzterer berichtete: „Niemand wird etwas für Litten tun können. Hitler lief rot an, als er nur den Namen hörte“ (I. Litten, S. 80). Auch Prinz Wilhelm setzte sich für Litten ein, doch Hitler brüllte ihn nur an: „Jeder, der sich für Litten einsetzt, kommt in ein Konzentrationslager, selbst wenn Sie das wären“ (I. Litten, S. 81).
Von Irmgard Litten erfahren wir außerdem, dass „(d)ie anständigen (ihrer Bekannten) … einflusslos (waren), die meisten von ihnen selbst gefährdet. Von den anderen, die schnell, bevor es zu spät war, zu den Nazis übergelaufen waren, war keine Hilfe zu erwarten“ (I. Litten, S. 35).

Die größte ihrer Aktionen war ein von ihr organisierter Appell von über 100 britischen Juristen und Politikern an Reichspräsident Hindenburg Ende 1935, jedoch ohne Erfolg. Außenminister Ribbentrop antwortete nur, Litten stelle einen „geistigen Anführer des Kommunismus“ in Deutschland dar und sei deshalb eine Gefahr.
Mittlerweile wurde Litten in das KZ Sonnenburg eingeliefert, wo ihn der blanke Hass der Hitleranhänger traf, der seit dem Edenpalastprozess ständig angewachsen war. Er wurde so schwer misshandelt, dass selbst seinen Mitgefangenen der Kontakt mit ihm verboten wurde. Mit schweren Beinverletzungen, einer Kieferfraktur, Knochenhautentzündung, herausgebrochenen Zähnen, einem verletzten Mittelohr und einer Augenverletzung, die nie mehr heilen sollte, sah Litten bereits nach kurzer Haftzeit dem Tod ins Auge. Seine Mutter erreichte eine Rückversetzung nach Spandau, wo er jedoch bald zum Felseneckprozess befragt wurde. Unter schwerster Folter gestand er gewusst zu haben, dass einer der Männer, die er verteidigt hätte, der Mörder des SA-Manns gewesen wäre. Dies wurde zur Propaganda genutzt, um Litten in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und das Verfahren gegen die linken Arbeiter umzudrehen. Kurz darauf widerrief Litten das Geständnis in einem Brief an die Gestapo, mit der Begründung, dass die Aussage unter Zwang zustande gekommen war. Da er wusste, was seine Bewacher mit ihm tun würde, bekämen sie ihn nur noch einmal in die Finger, beging er einen Selbstmordversuch.

1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6

Kommentare (21)

  1. #1 Florian Freistetter
    16. September 2014

    Ein sehr schöner Artikel! Sehr informativ und er liest sich auch sehr gut und packend. Vielen Dank!

  2. #2 Maximilian
    16. September 2014

    Beeindruckend ist vor allem auch der Mensch Hans Litten, der nicht opportunistisch seinem Ego dient, sondern einem höheren Ideal der Gerechtigkeit.
    Ich kannte diesen Menschen bislang nicht und er ist es wirklich wert, ihn in Erinnerung zu behalten.

  3. #3 Gregor
    16. September 2014

    Dem muss ich beipflichten. Sehr interessante Thematik über einen leider kaum erwähnten, wichtigen und für die gerechte Sache kämpfenden Anwalt der Weimarer Republik. Davon gibt es auch heutzutage viel zu wenig.

  4. #4 Peroppi
    16. September 2014

    Danke für diesen Artikel. Ich kann mich Maximilian nur anschließen.

  5. #5 Lulu
    16. September 2014

    Der Artikel hat mir sehr gut gefallen. Ich kannte Hans Litten bisher nicht. Es ist sehr schade, dass dieser integre Mensch so wenig bekannt ist.

  6. #6 Hans
    16. September 2014

    Es ist wirklich bedauerlich, dass über Menschen wie diesen so wenig bekannt ist. – In der Tat ein beeindruckender Artikel.

  7. #7 T
    16. September 2014

    Appell von über 100 britischen Juristen und Politikern an Reichspräsident Hindenburg Ende 1935

    Hindenburg ist am 2. August 1934 gestorben, es kann also nur Ende 1933 gewesen sein.

  8. #8 CM
    17. September 2014

    Danke. Sehr wichtiger Artikel.

  9. #9 Krypto
    17. September 2014

    Ein ebenso schöner wie packender Beitrag zu einem Menschen, von dem ich in dieser Ausführlichkeit noch nichts gelesen hatte, danke!
    Störend empfinde ich jedoch den zu sozialistisch geprägten Stil dieses Gastbeitrages, insbesondere im Schlusswort.

  10. #10 Dampier
    17. September 2014

    Was waren wir doch für ein verschissenes Drecksland, und das ist gerade mal zwei Generationen her … wenn ich daran denke, wird mir immer noch schlecht. Deshalb lese ich auch keine Nazigreuel mehr im Detail, ich hab mich viel damit beschäftigt als ich jünger war, aber mittlerweile nimmt mich das zu sehr mit …

    Aber den Artikel finde ich sehr gut, hatte von Hans Litten auch noch nichts gehört und es ist sehr wichtig, gerade diese mutigen Helden zu kennen.
    Umso skandalöser, dass Litten in der BRD kaum bekannt ist, offenbar ist es auch heute immer noch verwerflicher, Anarchist gewesen zu sein als Nazi. Das ist schon ein echtes Armutszeugnis.

    Der letzte Satz irritiert mich etwas, er erscheint wie eine weitere Zwischenüberschrift. Kann es sein, dass der Text schonmal woanders erschienen ist und hier gekürzt wurde?

    (P.S. Hab gerade mal gesucht und das hier gefunden. Ein Hinweis auf jenes Blog wäre gut gewesen, damit man bei Interesse den ganzen Text lesen kann.)

    viele Grüße
    Dampier

  11. #11 Dampier
    17. September 2014

    @Krypto, wo siehst du da denn “sozialistisch geprägten Stil”??!

    Lies vielleicht mal den ganzen Text (erschienen auf cato-online.blogspot.de – einfach nach der Überschift googlen, mein Post mit dem Link steckt noch in der Moderation).
    Da wirst du sehen, dass sich der Autor mit der Rezeption in der DDR ebenso kritisch auseinandersetzt.

    Diese allergische Reaktion gegen alles, was auch nur im entferntesten sozialistisch sei könnte ist sicher ein Grund, warum Litten hierzulande aktiv vergessen wurde.

  12. #12 Florian Freistetter
    17. September 2014

    @Dampier: ” Ein Hinweis auf jenes Blog wäre gut gewesen, damit man bei Interesse den ganzen Text lesen kann.”

    Ich habe absichtlich nirgendwo Links auf Blogs o.ä. gesetzt. Die Beiträge sollte für sich stehen und nicht durch andere Blogtexte beeinflusst werden.

    Aber du hast Recht, der eingereichte Text ging noch weiter. Da ist wohl bei der Formatierung etwas verloren gegangen und das ist wohl meine Schuld! Ich habe das nun geändert und werde im Laufe des Wettbewerbs noch einmal extra auf den nun viel längeren Beitrag verweisen. Es tut mir leid.

  13. #13 Krypto
    17. September 2014

    @Dampier#11: Der 1. Post endete mit “schamhaftes und ideologisches Schweigen in der BRD”, welcher meine Kritik rechtfertigte. Nun liest sich der Beitrag anders.

  14. #14 Krypto
    17. September 2014

    @ Dampier: “Diese allergische Reaktion…” Deiner Bewertung meiner sachlich richtigen Kritik am unvollständigen Beitrag kann ich nun überhaupt nicht folgen!!!

  15. #15 Dampier
    17. September 2014

    @Florian

    Ich habe absichtlich nirgendwo Links auf Blogs o.ä. gesetzt. Die Beiträge sollte für sich stehen und nicht durch andere Blogtexte beeinflusst werden.

    Das wäre auch Sache des Autors gewesen, von dir kann das keiner verlangen 🙂

    @Krypto, ich fand es etwas weit hergeholt, dem Autor eine sozialistische Prägung zu unterstellen. Auch ohne den fehlenden Teil fand ich es deutlich, dass er die Rezeption in BRD und DDR kritisch sah.

    Nun liest sich der Beitrag anders.

    Jo. Deswegen ist auch gut jetzt 😉

    Gruß
    Dampier

  16. #16 Gregor Euler
    17. September 2014

    Sehr interessanter Beitrag zu einem mir vorher unbekannten Menschen. Allerdings emfinde ich Stil und Sprache als holprig und störend. Mehrfache Schreibfehler, falsche sprachliche Wendungen, unvollständige Sätze. Ein wenig Lektorat hätte diesem Artikel nicht geschadet, vor allem auf Grund seiner doch beträchtlichen Länge und Ausführlichkeit.
    Aber für mich überwiegt das wichtige Thema und die ausführliche Beleuchtung der Littenrezeption in beiden Ländern. Weitermachen! 🙂

  17. #17 Dampier
    17. September 2014

    @Gregor Euler, der Autor ist offenbar erst 19. Da finde ich das doch einen sehr bemerkenswerten Text. Andere können ihr Leben lang nicht so gut schreiben.

  18. #18 Gregor Euler
    17. September 2014

    @Dampier Egal welchen Alters der Autor ist, mein Kommentar wirkte vllt schärfer als gewollt. Das war eher als Ermunterung gemeint, weiter an solchen Themen zu arbeiten und gleichzeitig etwas am Stil zu feilen. Ich dachte, das hätte ich ausreichend durch die Würdigung der Themenauswahl und Beleuchtungstiefe ausgedrückt. Aber um es nochmal klar auszudrücken: Ich fand den Artikel sehr gut, lediglich an der Sprache könnte man etwas feilen. Und um meinen Schlussappell zu wiederholen: Weitermachen!

  19. #19 Dampier
    17. September 2014

    mein Kommentar wirkte vllt schärfer als gewollt

    Ja, das passiert mir auch immer mal 😉

  20. #20 Skeptikskeptiker
    Randpolen
    18. September 2014

    “während in der DDR jedes Schulkind den proletarischen Anwalt kannte”

    als Jg.´63 hinreichend in der DDR geschult, inkl. Pionierorganistaion, FDJ, 3 Jahre Marxismus-Leninismus während des Studiums, aber – wenn auch vlt. manches vergessen – den Name Hans Litten höre ich zum ersten Mal.
    Er entsprach aber auch nicht, trotz seiner Verdienste für die Arbeiterbewegung, dem in der DDR gezeichneten Idealbild des antifaschistischen Widerstandskämpfers (Arbeiterkind, Arbeiter, KPD), als Sohn eines Juden, Lehrers und Juristen, dann selbst Jurist, na ja.
    Sicher, es gab schon auch Straßenbenennungen nach ermordeten Sozialdemokraten und ein paar anderen jenseits der KPD, aber selbst der 20. Juli war in der DDR kaum ein Thema.

  21. #21 knut
    köln
    24. November 2014

    skeptikskeptiker hat natürlich recht. das was da über den littenkult in der ddr geschrieben wurde stimmt hinten und vorne nicht. ich finde es natürlich interessant wenn man sich mit Litten beschäftigt, aber der text ist schon auch ein seltsames konglomerat von angelesenem und falsch widergegebenen.
    anderes ist schlicht ärgerlich. Wie kann man “halbjude” ohne anführungszeichen schreiben, als ob es sich dabei um eine Tatsache und nicht um eine nationalsozialistische konstruktion handeln würde.