Littenkult in der DDR

Die Situation in der DDR verhielt sich grundlegend anders. Bereits 1950 wurde die erste Volksrichterschule der DDR nach Hans Litten benannt. Er sollte auch später für diese neue, sozialistische Klasse der Juristen der DDR von großer Bedeutung sein.
Ein Jahr später wurde die „Neue Friedrichsstraße“ in Ost-Berlin nach Hans Litten umbenannt. Dort befindet sich das Amtsgericht Mitte und das Landgericht Berlin, wobei sich an Letzterem eine scheinbar objektive Gedenktafel befindet, die Hans Litten als „unerschrockenen Kämpfer für Menschlichkeit und Frieden“ ehrt. Innerhalb des Gerichtsgebäudes befindet sich ebenfalls eine Büste.
Litten sollte später immer mehr stilisiert und immer größeren Bevölkerungsschichten nahegebracht werden. So wurde aus ihm ein Volksheld, ein Klassenkämpfer für das Proletariat und vielmehr ein Marxist als ein unbequemer Anwalt, aber auch jemand, der genau das Weltbild und die Überzeugung der DDR-Staatsführung vertrat.
Auch hier wurde seine jüdische Herkunft kaschiert, um die jüdisch-deutsche Tradition aus dem Fokus zu nehmen.
Dies spricht auch wieder für eine Problematik mit der Shoah- bzw. Nazi-Vergangenheit, die jedoch auf einem anderen Wege bewältigt wurde, welche eine „Rezeption“ oder eher eine Propagandanutzung Littens ermöglichte.
Die SED sah keinerlei Notwendigkeit, sich in irgendeiner Weise mit dem Dritten Reich auseinanderzusetzen, da mit der “antifaschistisch-demokratischen Umwälzung” 1945-1949 der Nationalsozialismus restlos “ausgerottet” worden sei.
Somit seien Schuld und Verantwortung für diese Zeit nicht vorhanden, das Erbe der Scham und des Erinnerns an die Gräueltaten ebenfalls. Die DDR sah sich nicht als Nachfolgerstaat des Dritten Reiches und weigerte sich bis 1988 jüdischen Opfern Entschädigung zu leisten.
Um dies weiter zu festigen, wurde die Behauptung geschaffen, dass deutsche Antifaschisten, wie Litten einer war, zusammen mit der Sowjetunion die Hitlerdiktatur besiegt und den Nationalsozialismus ausgerottet haben.
Da jedoch die wenigsten Ost- wie Westdeutschen Widerstandskämpfer waren, wurden unzählige Denkmäler geschaffen und teilweise auch einige Mythen dazu erfunden.
Litten wurde auch ein Opfer dieser künstlichen Widerstandsvergangenheit mit deutlich sozialistischer Prägung. Auch wenn er aufgrund seiner Nähe zum oftmals verschwiegenen Holocaust problematisch war – die Shoah passte nicht ins Klassenschema – so war er doch ideal um den neu entstandenen Volksrichtern ein Vorbild zu geben. Dies waren Juristen, die anstatt an Universitäten in anderen staatlichen Institutionen ausgebildet wurden. Die SED war vor die Herausforderungen gestellt, ihren enormes juristischen Persornalbedarf zu decken, nachdem rund 80% der Richter und Juristen der NSDAP angehört hatten. Da die Universitäten ihre Ausbildung noch nicht nach den Wünschen der SED abgeändert hatten, ergriff diese selbst die Initiative, wobei sie später von der Sowjetischen Militäradministration unterstützt wurde. Diese neue Ausbildungsform diente einerseits zur Durchsetzung des Herrschaftsanspruchs und Durchdringung des ostdeutschen juristischen Apparats via Beeinflussung der rechtswissenschaftlichen Lehre. Andererseits sollten jedoch die Juristen der neu entstandenen DDR politisiert und systemtreu sein, was über eine lang anhaltende Beeinflussung während der Ausbildung erreicht wurde. Während die politische Ausrichtung noch anfangs überparteilich-antifaschistisch war, wandelte dies sich später zum Sozialismus.
Litten war ein Element der Beeinflussung. Er wurde als überzeugter Marxist dargestellt, der im Grunde ein geistiger Vater der DDR war. Er sollte die Volksrichter zur Vaterlandsliebe und Widerstand gegenüber dem Faschismus (und damit auch dem faschistischen Westen) motivieren. Und auch wenn dieses Bild in Teilen richtig war, so ist doch festzustellen, dass beide deutsche Nationen zu keinem akzeptablen Bild über Litten kamen. Auf beiden Seiten wurde er viel zu politisch, viel zu marxistisch gesehen, und es war weniger der Kampf gegen den Faschismus als politische Richtung, den er ausfocht, sondern der Kampf für Recht, Gerechtigkeit und Frieden, die durch Hitler bedroht wurden. Noch bedauerlich ist es, dass seine jüdische Herkunft nicht nur totgeschwiegen, sondern auch noch verleumdet wurden.
Aber dies rührte hauptsächlich durch die oben erwähnten Traumata des deutschen Volkes her, dass sich nach dem Schrecken des deutschen Volkes an der Grenze zwischen den beiden politischen Polen der neuen Weltordnung wiederfand. Dies wurde in der Rezeption – oder Nicht-Rezeption – Littens deutlich, die jedoch auf beiden Seiten mit einer Ignoranz des Bezugs zum Judentum und seinem Schicksal einherging. Doch gerade seine Religion prägte Littens Jugend und auch sein weiteres Schicksal sehr.
Erst durch die Wiedervereinigung sollte es für die Auseinandersetzung mit Litten einen Neuanfang geben.

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Kommentare (21)

  1. #1 Florian Freistetter
    16. September 2014

    Ein sehr schöner Artikel! Sehr informativ und er liest sich auch sehr gut und packend. Vielen Dank!

  2. #2 Maximilian
    16. September 2014

    Beeindruckend ist vor allem auch der Mensch Hans Litten, der nicht opportunistisch seinem Ego dient, sondern einem höheren Ideal der Gerechtigkeit.
    Ich kannte diesen Menschen bislang nicht und er ist es wirklich wert, ihn in Erinnerung zu behalten.

  3. #3 Gregor
    16. September 2014

    Dem muss ich beipflichten. Sehr interessante Thematik über einen leider kaum erwähnten, wichtigen und für die gerechte Sache kämpfenden Anwalt der Weimarer Republik. Davon gibt es auch heutzutage viel zu wenig.

  4. #4 Peroppi
    16. September 2014

    Danke für diesen Artikel. Ich kann mich Maximilian nur anschließen.

  5. #5 Lulu
    16. September 2014

    Der Artikel hat mir sehr gut gefallen. Ich kannte Hans Litten bisher nicht. Es ist sehr schade, dass dieser integre Mensch so wenig bekannt ist.

  6. #6 Hans
    16. September 2014

    Es ist wirklich bedauerlich, dass über Menschen wie diesen so wenig bekannt ist. – In der Tat ein beeindruckender Artikel.

  7. #7 T
    16. September 2014

    Appell von über 100 britischen Juristen und Politikern an Reichspräsident Hindenburg Ende 1935

    Hindenburg ist am 2. August 1934 gestorben, es kann also nur Ende 1933 gewesen sein.

  8. #8 CM
    17. September 2014

    Danke. Sehr wichtiger Artikel.

  9. #9 Krypto
    17. September 2014

    Ein ebenso schöner wie packender Beitrag zu einem Menschen, von dem ich in dieser Ausführlichkeit noch nichts gelesen hatte, danke!
    Störend empfinde ich jedoch den zu sozialistisch geprägten Stil dieses Gastbeitrages, insbesondere im Schlusswort.

  10. #10 Dampier
    17. September 2014

    Was waren wir doch für ein verschissenes Drecksland, und das ist gerade mal zwei Generationen her … wenn ich daran denke, wird mir immer noch schlecht. Deshalb lese ich auch keine Nazigreuel mehr im Detail, ich hab mich viel damit beschäftigt als ich jünger war, aber mittlerweile nimmt mich das zu sehr mit …

    Aber den Artikel finde ich sehr gut, hatte von Hans Litten auch noch nichts gehört und es ist sehr wichtig, gerade diese mutigen Helden zu kennen.
    Umso skandalöser, dass Litten in der BRD kaum bekannt ist, offenbar ist es auch heute immer noch verwerflicher, Anarchist gewesen zu sein als Nazi. Das ist schon ein echtes Armutszeugnis.

    Der letzte Satz irritiert mich etwas, er erscheint wie eine weitere Zwischenüberschrift. Kann es sein, dass der Text schonmal woanders erschienen ist und hier gekürzt wurde?

    (P.S. Hab gerade mal gesucht und das hier gefunden. Ein Hinweis auf jenes Blog wäre gut gewesen, damit man bei Interesse den ganzen Text lesen kann.)

    viele Grüße
    Dampier

  11. #11 Dampier
    17. September 2014

    @Krypto, wo siehst du da denn “sozialistisch geprägten Stil”??!

    Lies vielleicht mal den ganzen Text (erschienen auf cato-online.blogspot.de – einfach nach der Überschift googlen, mein Post mit dem Link steckt noch in der Moderation).
    Da wirst du sehen, dass sich der Autor mit der Rezeption in der DDR ebenso kritisch auseinandersetzt.

    Diese allergische Reaktion gegen alles, was auch nur im entferntesten sozialistisch sei könnte ist sicher ein Grund, warum Litten hierzulande aktiv vergessen wurde.

  12. #12 Florian Freistetter
    17. September 2014

    @Dampier: ” Ein Hinweis auf jenes Blog wäre gut gewesen, damit man bei Interesse den ganzen Text lesen kann.”

    Ich habe absichtlich nirgendwo Links auf Blogs o.ä. gesetzt. Die Beiträge sollte für sich stehen und nicht durch andere Blogtexte beeinflusst werden.

    Aber du hast Recht, der eingereichte Text ging noch weiter. Da ist wohl bei der Formatierung etwas verloren gegangen und das ist wohl meine Schuld! Ich habe das nun geändert und werde im Laufe des Wettbewerbs noch einmal extra auf den nun viel längeren Beitrag verweisen. Es tut mir leid.

  13. #13 Krypto
    17. September 2014

    @Dampier#11: Der 1. Post endete mit “schamhaftes und ideologisches Schweigen in der BRD”, welcher meine Kritik rechtfertigte. Nun liest sich der Beitrag anders.

  14. #14 Krypto
    17. September 2014

    @ Dampier: “Diese allergische Reaktion…” Deiner Bewertung meiner sachlich richtigen Kritik am unvollständigen Beitrag kann ich nun überhaupt nicht folgen!!!

  15. #15 Dampier
    17. September 2014

    @Florian

    Ich habe absichtlich nirgendwo Links auf Blogs o.ä. gesetzt. Die Beiträge sollte für sich stehen und nicht durch andere Blogtexte beeinflusst werden.

    Das wäre auch Sache des Autors gewesen, von dir kann das keiner verlangen 🙂

    @Krypto, ich fand es etwas weit hergeholt, dem Autor eine sozialistische Prägung zu unterstellen. Auch ohne den fehlenden Teil fand ich es deutlich, dass er die Rezeption in BRD und DDR kritisch sah.

    Nun liest sich der Beitrag anders.

    Jo. Deswegen ist auch gut jetzt 😉

    Gruß
    Dampier

  16. #16 Gregor Euler
    17. September 2014

    Sehr interessanter Beitrag zu einem mir vorher unbekannten Menschen. Allerdings emfinde ich Stil und Sprache als holprig und störend. Mehrfache Schreibfehler, falsche sprachliche Wendungen, unvollständige Sätze. Ein wenig Lektorat hätte diesem Artikel nicht geschadet, vor allem auf Grund seiner doch beträchtlichen Länge und Ausführlichkeit.
    Aber für mich überwiegt das wichtige Thema und die ausführliche Beleuchtung der Littenrezeption in beiden Ländern. Weitermachen! 🙂

  17. #17 Dampier
    17. September 2014

    @Gregor Euler, der Autor ist offenbar erst 19. Da finde ich das doch einen sehr bemerkenswerten Text. Andere können ihr Leben lang nicht so gut schreiben.

  18. #18 Gregor Euler
    17. September 2014

    @Dampier Egal welchen Alters der Autor ist, mein Kommentar wirkte vllt schärfer als gewollt. Das war eher als Ermunterung gemeint, weiter an solchen Themen zu arbeiten und gleichzeitig etwas am Stil zu feilen. Ich dachte, das hätte ich ausreichend durch die Würdigung der Themenauswahl und Beleuchtungstiefe ausgedrückt. Aber um es nochmal klar auszudrücken: Ich fand den Artikel sehr gut, lediglich an der Sprache könnte man etwas feilen. Und um meinen Schlussappell zu wiederholen: Weitermachen!

  19. #19 Dampier
    17. September 2014

    mein Kommentar wirkte vllt schärfer als gewollt

    Ja, das passiert mir auch immer mal 😉

  20. #20 Skeptikskeptiker
    Randpolen
    18. September 2014

    “während in der DDR jedes Schulkind den proletarischen Anwalt kannte”

    als Jg.´63 hinreichend in der DDR geschult, inkl. Pionierorganistaion, FDJ, 3 Jahre Marxismus-Leninismus während des Studiums, aber – wenn auch vlt. manches vergessen – den Name Hans Litten höre ich zum ersten Mal.
    Er entsprach aber auch nicht, trotz seiner Verdienste für die Arbeiterbewegung, dem in der DDR gezeichneten Idealbild des antifaschistischen Widerstandskämpfers (Arbeiterkind, Arbeiter, KPD), als Sohn eines Juden, Lehrers und Juristen, dann selbst Jurist, na ja.
    Sicher, es gab schon auch Straßenbenennungen nach ermordeten Sozialdemokraten und ein paar anderen jenseits der KPD, aber selbst der 20. Juli war in der DDR kaum ein Thema.

  21. #21 knut
    köln
    24. November 2014

    skeptikskeptiker hat natürlich recht. das was da über den littenkult in der ddr geschrieben wurde stimmt hinten und vorne nicht. ich finde es natürlich interessant wenn man sich mit Litten beschäftigt, aber der text ist schon auch ein seltsames konglomerat von angelesenem und falsch widergegebenen.
    anderes ist schlicht ärgerlich. Wie kann man “halbjude” ohne anführungszeichen schreiben, als ob es sich dabei um eine Tatsache und nicht um eine nationalsozialistische konstruktion handeln würde.