Um an das Herz zu kommen, wurde jetzt zunächst der Brustkorb geöffnet. Dazu wird die Brust aufgeschnitten bis das Brustbein vollständig zu sehen ist. Dieser Knochen wird mit einer Art Stichsäge der Länge nach von unten nach oben aufgesägt. Dabei entsteht ein sehr unangenehmer Geruch, was mir zum Glück nichts ausmacht, da ich keinen Geruchssinn besitze. Mein Mitbewohner hingegen hat angesichts des Gestanks instinktiv aufgehört durch die Nase zu atmen. Da er aber vergessen hat anzufangen durch den Mund zu atmen, wurde jetzt im unwohl und er legte sich für einige Zeit auf den Boden. Währenddessen beobachtete ich weiter, wie das Herz langsam freigelegt wurde. Als nächstes wurde zwischen die beiden Hälften des Brustkorbs, die jetzt entstanden waren, ein Metallrahmen geschoben. Mit einer Zahnradwinde wurde der Rahmen und damit der Brustkorb aufgespreizt. Das erste was ich zu sehen bekam waren die Lungenflügel. Diese wurden beiseite geschoben und dann war das Problem auch für mich als Laien deutlich sichtbar. Die Hauptschlagader war deutlich zu sehen, weil sie sich auf einen Durchmesser von mehr als 5cm ausgedehnt hatte. Ein solches Aortenaneurysma ist typisch für eine Aortenklappeninsuffizienz, wie sie bei dem Patienten vorlag. Die Aortenklappe trennt die linke Kammer des Herzens von der Aorta. Bei jeder Kontraktion der Kammer öffnet sich die Aortenklappe, damit das Blut von der Kammer in die Aorta und von dort in den gesamten Körper fließen kann. Beim Erschlaffen der Kammer schließt sich die Klappe wieder und verhindert so, dass das Blut aus der Aorta zurück in die Kammer fließen kann. Bei einer Aortenklappeninsuffizienz geschieht genau dieser Teil nicht mehr vollständig, sodass bei jedem Herzschlag Blut aus der Aorta in die falsche Richtung zurück ins Herz fließt. Das bedeutet für das Herz zusätzliche Volumenarbeit. Für eine gewisse Zeit können Herz und Gefäße diese Arbeit auch ohne Beeinträchtigung für den Organismus leisten. Aber mit der Zeit gibt die Gefäßwand der zusätzlichen Belastung durch mehr Volumenfluss und Verwirbelungen nach und beginnt sich auszudehnen. Durch die Ausdehnung ist die Aortenwand so dünn und gespannt, dass ein Riss mit tödlichen Folgen immer wahrscheinlicher wird. Deshalb war diese Operation nötig.

Bevor aber an der Aorta und der Klappe operiert werden kann, muss der Patient erst an die Herz-Lungen-Maschine (HLM) angeschlossen werden. Hierzu wird ein Schlauch in die Vene eingeführt, die vom Körper zum Herzen führt, und das Blut dort aus dem Körper entnommen, bevor es in den rechten Teil des Herzen führt. Da das Blut nun nicht mehr vom rechten Herz in die Lunge fließt, wird es in der HLM mit Sauerstoff angereichert. Anschließend ersetzt eine Pumpe in der HLM die Pumpwirkung des linken Herzens und das Blut wird über einen Schlauch, der in die Aorta führt, dem Körper wieder zugeführt. Das einzige Organ, das dadurch nicht mehr mit Sauerstoff versorgt wird, ist das Herz selbst, da es an beiden Seiten vom Kreislauf abgeklemmt wurde. Damit das Herz dadurch keinen Schaden nimmt, wird ein Herzstillstand erzeugt. Wenn das Herz sich nicht bewegt, braucht es auch keinen Sauerstoff und übersteht so die Operation unbeschadet. Um das Herz stillzulegen wird über die Koronararterien eine Kalioplegielösung in das Herz laufen gelassen. Die Kalioplegielösung enthält eine hohe Konzentration an Kalium-Ionen. Der Transport von Kalium- und anderen Ionen durch Zellmembranen erregt Muskelaktivität. Die Kalioplegielösung verändert nun die Konzentrationsverhältnisse im Herzmuskel so stark, dass keine Muskelaktivität mehr möglich ist. Dafür ist aber auch eine sehr große Menge an Kalioplegielösung nötig. Während der gesamten Operation wurde 3 bis 4 mal eine große Flasche von der Lösung in das Herz gespült, um wieder eine ausreichende Überkonzentration von Kalium sicherzustellen.

Jetzt wo kein Blut mehr durchs Herz floss und es auch still stand, konnte endlich an der Aortenklappe operiert werden. Zuerst wurde ein etwa 8cm langes Stück der ausgedehnten Aorta an beiden Seiten abgeschnitten. Dieses Stück wird später durch eine Gefäßprothese ersetzt. Jetzt war die Aortenklappe deutlich sichtbar. Oberhalb der Klappe entspringen aus der Aorta noch die Koronararterien. Diese müssen erhalten werden und deshalb wird die Aorta um sie herum regelrecht ausgeschnitten. Die Aortenklappe selbst sollte nicht transplantiert werden sondern rekonstruiert werden. Hierzu maß der Chirurg aus, bei welchem Durchmesser der Gefäßprothese die Klappe wieder korrekt schließt. Je kleiner der Durchmesser, desto leichter schließt die Klappe natürlich. Dann hat man aber das Problem, dass bei kleinen Durchmessern der Gefäßwiderstand steigt und das Herz wieder mehr Pumparbeit zu verrichten hat. Diese beiden Parameter mussten gegeneinander abgewogen werden.

1 / 2 / 3 / 4

Kommentare (17)

  1. #1 Anti-Held
    19. September 2014

    Ein toller Artikel. Vielen dank für die Einblicke.

  2. #2 Dampier
    19. September 2014

    Danke @Paul Busse, das war spannend. Hab mir noch nie so klargemacht, was Chirurg für ein harter Job ist.

    Zum ersten mal bin ich ganz froh, dass der Artikel keine Bilder enthält, aber es war trotzdem sehr anschaulich.

    Grüße
    Dampier

  3. #3 eos
    19. September 2014

    Auch von mir ein danke für diesen tollen Erfahrungsbericht! Da bekommt man wirklich riesen Respekt vor der modernen Medizin und der Arbeit der ChirurgInnen! Und eigentlich auch vorm menschlichen Körper. Erstens irre, wie komplex er ist und zweitens irre, wie viel er eigentlich aushält… 🙂

  4. #4 Alderamin
    19. September 2014

    @Paul Busse

    Ganz toller Artikel.

    Und ich weiß schon, warum ich kein Arzt geworden bin. Aber mein Schulfreund und ein paar Klassenkameraden sind Ärzte geworden, einer davon Herzchirurg in Freiburg. Ich verneige mich in Ehrfurcht…

    Für einen Elektrotechniker kennst Du Dich offenbar gut in der Terminologie aus. Hast Du irgendwie Medizin als Nebenfach? Bei uns in der Informatik gab es diese Wahlmöglichkeit (ich hab dann aber Physik genommen).

  5. #5 Gaius
    19. September 2014

    @Dampier: “Zum ersten mal bin ich ganz froh, dass der Artikel keine Bilder enthält” 😀 😀

    Stimmt, obwohl … so eine kleine Zeichnung des Herzens wäre vielleicht hilfreich gewesen. Interessantes Thema und spannend erzählt.

  6. #6 Paul Busse
    Braunschweig
    19. September 2014

    @Alderamin

    Als Nebenfach gibt es bei uns nicht Medizin. Aber in der Vorlesung “Grundlagen der Medizin für Ingenieure”, in deren Rahmen diese Exkursion stattfand, wurden das Herz und die verschiedenen Klappen-OPs vorher ausführlich behandelt. Dabei kam die Terminologie auch nicht zu kurz.

    Das ist Teil einer Vertiefungsrichtung bei uns im Master. In anderen Vorlesungen dieser Richtung werden dann z.B. die medizinischen Geräte wie EKG, EEG, MRT, etc. aus der technischen Sicht betrachtet.

  7. #7 Michael Jachan
    19. September 2014

    Super Artikel!

    “Wir können uns nur um einen Patienten kümmern und der auf dem Tisch hat Priorität”.
    Jaja, Ärzte haben nen besonderen Humor.

    Ich war vor 7 Jahern auch mal im OP zu Gast, bei einer Hirnoperation. Die Hygieneschwestern waren die, die alle fürchteten: “WEHE, Du berührst die blauen Tücher!!! ” (diese sind steril)

    Ein anderer Zuschauer, ein MedStudent kam dann mir mir ins Gespräch. Er fragte, wa sich von Beruf sei. Ich sagte (auch) “Elektrotechinker”. Da drehte sich der Chirurg zu uns und sagte, während er im im Kopf der Patienten “weiterfummelte”: “Ich habe früher auch mal Elektrotechnik studiert … ”

    War ein schönes Erlebnis! Mulmig war mir auch …

    🙂

  8. #8 Petra
    19. September 2014

    @ Paul Busse: Das war richtig spannend zu lesen und toll erklärt! Wie gut, dass du bei Bewusstsein geblieben bist und alles genau verfolgen konntest. Die verschiedenen Aspekte bei einer OP sind sehr gut verdeutlicht worden.

  9. #9 Steffmann
    19. September 2014

    @Paul Busse:

    In 2011 hatte ich exakt die von Dir beschriebene OP. Ich hatte damals ein Tagebuch geschrieben, dass meine Sichtweise als Patient wiederspiegelt. Eigentlich wäre das jetzt eine schöne Ergänzung zu Deinem Beitrag. Ich schicke es mal los, befürchte aber dass ich es erst kürzen müsste….

  10. #10 Florian Freistetter
    19. September 2014

    @Steffmann: Ich bin mir sicher, dass sich jemand findet, der den Text als Gastbeitrag veröffentlicht. Marcus von Plazeboalarm oder Josef vom Gesundheitscheck wären thematisch passend. Aber auch Jürgen bei Geograffitico. Nur bei mir ists halt grad schlecht, weil ich durch meine Reisen ziemlich im Stress bin und der Blog gerade ganz auf den Wettbewerb ausgerichtet ist und die Publikationstimeline bis 30.9 komplett (vorab) durchgeplant ist.

  11. #11 Steffmann
    19. September 2014

    @Florian:
    Das ist wirklich nett von Dir, aber es ist ja nur ein Erfahrungsbericht und wahrscheinlich kein guter. Wie gesagt, ich dachte nur, dass zwei Sichtweisen GERADE zu einer Thematik das ganze abgerundet hätten. Aber klar, spontane Einreichungen bringen den Laden durcheinander, das verstehe ich schon.

  12. #12 Steffmann
    19. September 2014

    GERADE zu einer Thematik

    Ich kaufe ein “so”

  13. #13 Karl Heinz
    19. September 2014

    Glückwunsch !
    Das ist ein Blog-Beitrag, der mir voraussichtlich in Erinnerung bleiben wird. Persönliche Note ( = Erlebnisbericht), kein Bla Bla, das Lesezeit verschlingt, lebendig und anschaulich geschildert, medizinisch-fachlich in Ordnung (aber nicht überladen), im Ablauf logisch, gut gegliedert, mit abschließender Wertung (Leistung der Ärzte) und einer der wenigen Beiträge, in denen der Leser nicht genötigt ist, Flüchtigkeits- Grammatik- und Rechtschreibfehler gnädig zu übersehen, also auch handwerklich gut genäht.
    Danke ! Weiter so !
    PS: Ich bin k e i n Lehrer.

  14. #14 MX
    20. September 2014

    Schöner Beitrag.

  15. #15 Jürgen Schönstein
    21. September 2014

    @Steffmann #11
    Wenn Du den Bericht schreibst und mir schickst, dann wird er auch erscheinen. Und es wäre sicher sehr leicht, mit einem kleinen, hilfreichen HTML-Tag, beide Perspektiven zu verlinken.

  16. #16 Klaus
    22. September 2014

    Auch von mir großes Lob, der bisher beste Wettbewerbsartikel den ich gelesen habe! Da bekomme ich doch glatt Lust so etwas zu hospitieren. Ob es als Informatikstudent in Hamburg eine Möglichkeit dazu gibt? Ich werde mal recherchieren. 🙂

  17. #17 Crazee
    22. September 2014

    Schöner Artikel, danke. Mal was anderes als ER, Grey’s Anatomy etc.