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sb-wettbewerb

Dieser Beitrag wurde von Andreas Fischer eingereicht.
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When I told the people of Northern Ireland that I was an atheist, a woman in the audience stood up and said, ‘Yes, but is it the God of the Catholics or the God of the Protestants in whom you don’t believe?

Dem englischen Schriftsteller Quentin Crisp zugeschrieben

Reisen bildet, sagt man. Zumindest bieten sie dem aufmerksamen Beobachter die Gelegenheit, etwas über die Fremde zu lernen. Und vielleicht gibt es für jeden Reisenden auch das passende Land, das besonders die Aufmerksamkeit weckt. In Irland sticht der offenkundige Stellenwert des Nationalismus ins Auge. Der zeigt sich in vielerlei Weise. In der Hauptstadt Dublin stößt man auf die Namen zahlreicher für die Nationalgeschichte bedeutsamer Personen. Ein Besuch in Nordirland macht bewusst, dass die Zeit der Troubles noch gar nicht so lange her ist. In der Republik ist die Betonung der irischen Kultur mehr als ein touristisches Marketinginstrument, dient sie doch auch der Bestätigung der eigenen Identität.

Dieser Essay setzt sich mit dem Nationalismus in Irland auseinander. Darüber sind ganze Bücher geschrieben worden. Der nordirische Historiker Richard English (sic!) gilt als Autorität auf diesem Gebiet, er wird für seine ausgewogenen Arbeiten sehr geschätzt. Der Essay stützt sich auf zwei seiner Bücher, kann natürlich nicht ins Detail gehen und zeichnet daher nur einige Grundlinien des Themas nach und bettet sie in die historische Entwicklung ein.

Die Nation ist ein Mythos, wie alles Menschengemachte eine Konvention, deren Legitimität nicht notwendigerweise auf empirischer Grundlage steht. Nationalismus ist historisch betrachtet eine junge Erscheinung und starken Wandlungen unterworfen. Wer zur Nation gehört, kann beizeiten willkürlich sein. Wohl gibt es Kriterien, nach denen entschieden wird, ob ein Individuum zur Nation gehört. Sprache und Kultur sind solche Kriterien. Man wird sich aber wahrscheinlich schwertun, Kriterien zu finden, die irgendetwas anderes als eine Konvention sind.
Eine Erklärung für Nationalismus ist leichter zu finden, das menschliche Bedürfnis nach Klärung der eigenen Identität ist hier ein oft bemühtes Erklärungsmuster. Dem Nationalismus eigentümlich ist, dass er auch in unseren modernen, globalisierten Zeiten, in denen transnationale Konzerne mächtiger als Nationen sind, so wirkungsmächtig ist und oft anachronistisch wirkt. Politisch Interessierte werden sich vielleicht manchmal gefragt haben, was Politiker oder Medien meinen, wenn sie von “deutschen Interessen” reden. Das gibt einen Hinweis darauf, dass gelegentlich andere Anliegen und Interessen gerne in der Maske des Nationalismus auftreten. Eigentlich, so könnte man meinen, sollte die Nation keine Rolle mehr spielen.

In der irischen Hauptstadt Dublin sind sie heute dennoch allgegenwärtig, die Namen der Nationalhelden Irlands. Etliche Straßen, Gebäude und Orte sind nach ihnen benannt, Statuen zu ihren Ehren aufgestellt. Das wohl prominenteste Beispiel ist O’Connell Street, Dublins Hauptverkehrsstraße im Zentrum der Stadt, in der etliche Statuen national bedeutsamer Männer stehen, darunter die von Daniel O’Connell, Charles Stewart Parnell und James Larkin. Selbst The Spire, weithin sichtbares Wahrzeichen Dublins, ist indirekt Ergebnis des Nationalismus’. An dessen Stelle stand bis 1966 ein Denkmal Admiral Nelsons, als es republikanische Aktivisten sprengten. Die Liste der Benennungen ist lang: Connolly Station, Pearse Station und die gleichnamige Straße, Parnell Square und Parnell Street, O’Connell Street, James Larkin Road und andere.

Diese Präsenz nationalistischer Symbole in Dublin ist ein Paradebeispiel für die Wirkungsmächtigkeit des Nationalismus in der Geschichte. Irland insgesamt ist aus verschiedenen Gründen ein spannendes und anschauliches Beispiel für den Untersuchungsgegenstand Nationalismus. Deutschland ist in dieser Hinsicht ein eher undankbares Beispiel. Aus historischen, aber auch tagespolitischen Gründen ist Nationalismus hierzulande mit einem denkbar negativen Image belegt, er gilt nicht als besonders salonfähig und wird stark mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht. Historisch betrachtet sticht Nationalismus in Deutschland in der Tat in seiner aggressiven und übergriffigen Spielart hervor. Völkischer und rassistischer Nationalismus spielte im Kaiserreich eine prominente Rolle, im Nationalsozialismus wurde er zur Staatsräson. Ereignisse der letzten Jahrzehnte lassen den Nationalismus in Deutschland weiterhin in dubiosem Licht erscheinen. Vom Anschlag aufs Oktoberfest 1980 über die Überfälle auf Asylbewerberheime Anfang der 1990er Jahre bis zu den Morden des NSU – diese Ereignisse stehen in der Tradition eines gewalttätigen Nationalismus, dem Behörden und Justiz gleichgültig und abwiegelnd gegenüberstehen. Der jüngst veröffentlichte Bericht des thüringischen NSU-Untersuchungsausschusses rückt die Behörden sogar in die Nähe der Komplizenschaft mit der Terroristengruppe NSU. Ein Nationalismus, der auf positive Ereignisse Bezug nehmen kann, steht damit stark im Schatten ungünstiger historischer Bedingungen. Nationalismus ist hier deshalb weithin negativ konnotiert. Die Entstehung der Nation in Deutschland ist allerdings auch nicht besonders geeignet, Nationalstolz hervorzurufen. Nachdem im 19. Jahrhundert Versuche gescheitert waren, eine Nation von unten zu gründen, sprang die Obrigkeit ein. Die Bismarck-Türme im Land künden heute noch von diesem Scheitern. Versöhnlich aus nationalistischer Sicht erscheint da die Lösung der nationalen Frage 1990 mit der Wiedervereinigung.

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Kommentare (9)

  1. #1 Ludger
    20. September 2014

    Der ehemalige Ministerpräsident (SPD) von NRW und spätere Bundespräsident Johannes Rau hat zwischen Nationalismus und Patriotismus differenziert:

    “Ein Patriot ist jemand, der sein eigenes Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.” ( https://www.glasnost.de/docs01/010319rau.html )

    Insofern ist die Ehrung von Nationalhelden, die ein jahrhundertelang fremdbeherrschtes Volk in die Selbständigkeit geführt haben, eher ein Zeichen für Patriotismus als für Nationalismus. Rau bezeichnete sich selber übrigens als Patriot und war des Nationalismus völlig unverdächtig.

  2. #2 Alderamin
    20. September 2014

    Danke für den umfangreichen Einblick in die irische Geschichte. Bis zu meiner Reise dorthin hatte ich den Nordirlandkonflikt für einen Religionskrieg gehalten und als ich da war, lernte ich ihn dann eher als einen Konflikt zwischen ehemaligen protestantischen Besatzern und Eingeborenen Katholiken, aber die ganze Sache ist offenbar noch viel komplexer.

  3. #3 T
    20. September 2014

    @Ludger
    Es gibt deutliche Indizien dafür, dass der angebliche Unterschied zwischen Nationalismus und Patriotismus nicht existiert:
    https://www.sueddeutsche.de/wissen/liebe-zum-land-die-maer-vom-guten-patrioten-1.912131

  4. #4 Ludger
    20. September 2014

    Im verlinkten Bericht der Süddeutschen Zeitung wird der Psychologe Christopher Cohrs als Autor mit der Aussage zitiert:

    SZ: Nach Erkenntnissen des Psychologen Christopher Cohrs von der Universität Jena lassen sich Menschen nicht in gute Patrioten und böse Nationalisten einteilen. Bürger, die sich stark mit ihrem Land identifizieren, so Cohrs, seien anfällig für intolerantes und ausländerfeindliches Gedankengut: “Menschen mit patriotischen Einstellungen lehnen Nationalismus nicht ab. Vielmehr geht beides oft Hand in Hand.”

    In der Zusammenfassung der Habilitationsschrift desselben Psychologen findet man den Satz:

    https://pub.uni-bielefeld.de/publication/2304986
    In allen drei Studien lassen sich konstruktive Patrioten identifizieren. Sie sind nicht durch ausländerfeindliche, sondern eher durch ausländerfreundliche Einstellungen gekennzeichnet. Die Studien 2 und 3 ermöglichen weitere Analysen. In Studie 2, die auf Daten aus dem Projekt “Gerechtigkeit als innerdeutsches Problem” basiert, weisen die konstruktiven Patrioten die stärkste Bereitschaft zum Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit auf. Dieses Ergebnis ist zum Teil darauf zurückführbar, dass die konstruktiven Patrioten eine stärkere Bedrohung der nationalen Identität durch Fremdenfeindlichkeit wahrnehmen als die anderen Gruppen.

    Weil der Begriff “Nationalismus” meistens als unerwünschte Eigenschaft gilt, bei der man an rechtsradikales Gedankengut und Blood and Honour denkt, wäre eine genauere Begriffsbestimmung, was hier unter dem Begriff verstanden wird, für das richtige Verständnis hilfreich gewesen.

  5. #5 Ludger
    20. September 2014

    Korrektur: Dissertation nicht Habilitation

  6. #6 Jouron
    20. September 2014

    Florian, glauben sie, das über Portsmouth wirklich ein echtes UFO gesehen wurde?
    Wie es in der Quelle steht (keine Panikmache):
    https://metro.co.uk/2014/09/20/ufo-spotted-over-portsmouth-and-the-met-office-says-it-isnt-a-cloud-4875798/

    Ich persönlich glaube nicht daran, da es nur eine Quelle berichtet. Nichtmal die Verschwörungsmedien haben sich da raufgestürzt.

  7. #7 Matthias Friedmann
    20. September 2014

    Schön geschrieben. Aber für einen Essay wirkt es auf mich etwas zu sehr zusammenfassend. Ich vermisse ein wenig die konkrete Idee. Es wirkt daher am Anfang etwas durcheinander, weil von einem Thema zum nächsten gesprungen wird. Eine konkretere Definition von Nationalismus hätte wohl geholfen.

  8. #8 Martin
    21. September 2014

    @Jouron
    was ist wohl wahrscheinlicher:
    Dein Bild zeigt ein UFO, oder Dein Bild zeigt eine Wolke?

    Tschuldigung das war ein Trickfrage. Die Wolke ist ein UFO, da mann Sie schlecht als Wolke erkennt.

  9. #9 emreee
    21. September 2014

    Das war mir zu durcheinander . Wäre es ein buch gewesen, hätte ich mich bis Seite 20 durchgekämpft . Sorry ….