Eine starke Kraft bildete sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit den Fenians heraus, deren Ziel einer unabhängigen, demokratischen Republik sie mit Gewalt erreichen wollten. Der Ursprung der Bewegung lag in den USA, wo sich im Zuge der Auswanderung während der Hungersnöte in den 1840er Jahren eine große irische community gebildet hatte. Die Fenians empfanden den gewaltsamen Kampf durchaus auch als Selbstzweck. Aus ihrer Sicht konnte nur durch den Kampf eine Nation aus eigener Kraft geboren werden – eine Idee, die sich im 20. Jahrhundert im Gebaren der IRA widerspiegelte. Kurios mag es da erscheinen, dass sich gerade der Protestant Charles Stewart Parnell mit den Fenians verbündete, um politische Veränderungen auf parlamentarischem Wege zu erreichen. Parnell gelang es, mehrere widerstreitende Interessensgruppen für die Ziele der Landreform und der Selbstverwaltung Irlands (Home Rule) zusammen zu bringen, auch wieder mit dem Mittel der Massenmobilisierung: Die Landbewegung Irish Land League, die für die Rechte der Mieter von Land stritt, die Irish Parliamentary Party, die katholische Kirche und die Fenians. Landreformen konnten angestoßen werden, Home Rule erlebte Parnell nicht mehr. Das lag auch an der Opposition gegen die Selbstverwaltung im mehrheitlich protestantischen Ulster, also der nordirischen Provinz, die sich im 20. Jahundert iherseits radikalisierte.

Sollte Irland unabhängig werden, so die Befürchtung der nordirischen Protestanten, würden sie politisch und kulturell an den Rand gedrängt. Tatsächlich gab es sowohl auf katholischer als auch protestantischer Seite Stimmen, die die Unionisten als eigene Nation sahen, deren Interessen besser von den Briten vertreten wären. Dass viele Protestanten bereit waren, mit Gewalt Home Rule zu verhindern und die Union beizubehalten, zeigt die Gründung der Ulster Volunteer Force als paramilitärische Miliz Anfang 1913. Die Radikalisierung der irischen Politik fand ihren Widerhall auf der katholischen Seite in der Gründung der Irish Volunteers Ende 1913. Die Gefahr eines Bürgerkriegs lag in der Luft. Dass Westminster Home Rule 1914 gegen den Widerstand der Unionisten verabschiedete, fiel bei den Katholiken kaum auf fruchtbaren Boden, zumal das entsprechende Gesetz mit Beginn des Ersten Weltkrieges außer Kraft gesetzt wurde mit dem Ziel, die Selbstverwaltung nach dem Ende des Kriegs zu verwirklichen. Der Osteraufstand der republikanischen Nationalisten im Jahr 1916, der sich vor allem auf Dublin konzentrierte, führte keine Entscheidung herbei. Die Reaktion der Briten, die führende Aufständische hinrichteten, darüber die Gebrüder Pearse und den Sozialisten James Connolly, sorgte aber für eine Welle der Sympathie zugunsten der Aufständischen. Die Ereignisse vertieften den Graben zwischen Nationalisten und Unionisten weiter, als ein Gewinner ging daraus die Partei Sinn Féin hervor.

Sinn Féin gewann bei der Wahl im Dezember 1918 fast drei Viertel der irischen Sitze im Parlament – und reagierte Januar 1919 mit der Einrichtung eines revolutionären irischen Parlaments in Dublin, dem Dáil Éirann, das ganz Irland für unabhängig erklärte. Für die britische Regierung und die Unionisten nicht hinnehmbar, eskalierte die Auseinandersetzung zum Irischen Unabhängigkeitskrieg, der die Abspaltung Nordirlands durch ein britisches Gesetz, den Anglo-Irischen Vertrag von 1921 und schließlich die Gründung des Irischen Freistaats 1922 nach sich zog. Der Irische Freistaat war allerdings rechtlich an Großbritannien gebunden, so dass der Staat erst 1949 mit der Annahme einer neuen Verfassung seine heutige Gestalt annahm. Zudem sah der Anglo-Irische Vertrag das Recht Nordirlands vor, den Freistaat zu verlassen. Dass dies geschehen würde, war absehbar und ein Grund für die Nationalisten, sich untereinander zu zerstreiten – ein Motiv, das im weiteren Verlauf der irischen und nordirischen Geschichte noch öfters virulent werden sollte. Nicht nur parlamentarische Kräfte waren uneins, auch die Irisch-Republikanische Armee (IRA), die im Unabhängigkeitskrieg noch auf Geheiß des Parlaments gekämpft hatte, spaltete sich. Obwohl die Regierung als Vertragsbefürworter die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hatte, wie die irischen Wahlen 1922 zeigten, kam es zum gewaltsamen Konflikt zwischen Befürwortern und Vertragsgegnern. Die Konfliktparteien trugen ihre Gegensätze im Bürgerkrieg aus, aus dem der Freistaat als Gewinner hervorging, der aber auch eine gespaltene Gesellschaft hinterließ und bis ins moderne Irland hineinwirkt. Bis in die 1950er Jahre beschäftigte sich der irische Staat noch mit den Hinterlassenschaften des Bürgerkriegs. Hier war aber ganz eindeutig der Weg des Kompromisses eingeschlagen worden. Zwar gab die Republik zunächst nicht den Anspruch auf die Einbeziehung Nordirlands in ein vereintes Irland auf. Auf dem Weg zum Karfreitagabkommen im Jahr 1998 aber bildete sich in der Republik der Konsens heraus, dass ein vereintes Irland nur mit demokratisch erlangten Mehrheiten in der Republik und in Nordirland erreicht werden solle. Dieser Konsens fand 1999 seinen Niederschlag in einer Verfassungsänderung.

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Kommentare (9)

  1. #1 Ludger
    20. September 2014

    Der ehemalige Ministerpräsident (SPD) von NRW und spätere Bundespräsident Johannes Rau hat zwischen Nationalismus und Patriotismus differenziert:

    “Ein Patriot ist jemand, der sein eigenes Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.” ( https://www.glasnost.de/docs01/010319rau.html )

    Insofern ist die Ehrung von Nationalhelden, die ein jahrhundertelang fremdbeherrschtes Volk in die Selbständigkeit geführt haben, eher ein Zeichen für Patriotismus als für Nationalismus. Rau bezeichnete sich selber übrigens als Patriot und war des Nationalismus völlig unverdächtig.

  2. #2 Alderamin
    20. September 2014

    Danke für den umfangreichen Einblick in die irische Geschichte. Bis zu meiner Reise dorthin hatte ich den Nordirlandkonflikt für einen Religionskrieg gehalten und als ich da war, lernte ich ihn dann eher als einen Konflikt zwischen ehemaligen protestantischen Besatzern und Eingeborenen Katholiken, aber die ganze Sache ist offenbar noch viel komplexer.

  3. #3 T
    20. September 2014

    @Ludger
    Es gibt deutliche Indizien dafür, dass der angebliche Unterschied zwischen Nationalismus und Patriotismus nicht existiert:
    https://www.sueddeutsche.de/wissen/liebe-zum-land-die-maer-vom-guten-patrioten-1.912131

  4. #4 Ludger
    20. September 2014

    Im verlinkten Bericht der Süddeutschen Zeitung wird der Psychologe Christopher Cohrs als Autor mit der Aussage zitiert:

    SZ: Nach Erkenntnissen des Psychologen Christopher Cohrs von der Universität Jena lassen sich Menschen nicht in gute Patrioten und böse Nationalisten einteilen. Bürger, die sich stark mit ihrem Land identifizieren, so Cohrs, seien anfällig für intolerantes und ausländerfeindliches Gedankengut: “Menschen mit patriotischen Einstellungen lehnen Nationalismus nicht ab. Vielmehr geht beides oft Hand in Hand.”

    In der Zusammenfassung der Habilitationsschrift desselben Psychologen findet man den Satz:

    https://pub.uni-bielefeld.de/publication/2304986
    In allen drei Studien lassen sich konstruktive Patrioten identifizieren. Sie sind nicht durch ausländerfeindliche, sondern eher durch ausländerfreundliche Einstellungen gekennzeichnet. Die Studien 2 und 3 ermöglichen weitere Analysen. In Studie 2, die auf Daten aus dem Projekt “Gerechtigkeit als innerdeutsches Problem” basiert, weisen die konstruktiven Patrioten die stärkste Bereitschaft zum Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit auf. Dieses Ergebnis ist zum Teil darauf zurückführbar, dass die konstruktiven Patrioten eine stärkere Bedrohung der nationalen Identität durch Fremdenfeindlichkeit wahrnehmen als die anderen Gruppen.

    Weil der Begriff “Nationalismus” meistens als unerwünschte Eigenschaft gilt, bei der man an rechtsradikales Gedankengut und Blood and Honour denkt, wäre eine genauere Begriffsbestimmung, was hier unter dem Begriff verstanden wird, für das richtige Verständnis hilfreich gewesen.

  5. #5 Ludger
    20. September 2014

    Korrektur: Dissertation nicht Habilitation

  6. #6 Jouron
    20. September 2014

    Florian, glauben sie, das über Portsmouth wirklich ein echtes UFO gesehen wurde?
    Wie es in der Quelle steht (keine Panikmache):
    https://metro.co.uk/2014/09/20/ufo-spotted-over-portsmouth-and-the-met-office-says-it-isnt-a-cloud-4875798/

    Ich persönlich glaube nicht daran, da es nur eine Quelle berichtet. Nichtmal die Verschwörungsmedien haben sich da raufgestürzt.

  7. #7 Matthias Friedmann
    20. September 2014

    Schön geschrieben. Aber für einen Essay wirkt es auf mich etwas zu sehr zusammenfassend. Ich vermisse ein wenig die konkrete Idee. Es wirkt daher am Anfang etwas durcheinander, weil von einem Thema zum nächsten gesprungen wird. Eine konkretere Definition von Nationalismus hätte wohl geholfen.

  8. #8 Martin
    21. September 2014

    @Jouron
    was ist wohl wahrscheinlicher:
    Dein Bild zeigt ein UFO, oder Dein Bild zeigt eine Wolke?

    Tschuldigung das war ein Trickfrage. Die Wolke ist ein UFO, da mann Sie schlecht als Wolke erkennt.

  9. #9 emreee
    21. September 2014

    Das war mir zu durcheinander . Wäre es ein buch gewesen, hätte ich mich bis Seite 20 durchgekämpft . Sorry ….