Der gewaltsame Konflikt verlagerte sich mit der Befriedung der Republik nach Nordirland. Zur Prominenz kam hier vor allem die Provisional IRA, die sich 1969 von der IRA der Vertragsgegner abspaltete und eng mit den Troubles verbunden war. Vorausgegangen war dem die offene rechtliche, politische und wirtschaftliche Diskriminierung der Nationalisten durch Unionisten und Loyalisten. Dass die Bürgerrechtsbewegung der Nationalisten nach dem Vorbild anderer solcher Bewegungen im Westen friedlich ihre Interessen durchsetzen wollten, verhinderte 1969 nicht die Eskalation. Die Konflikte endeten wieder in Gewalt, die Briten griffen militärisch ein. Die Provisionals hielten die britische Präsenz auf der Insel nicht für legitim. Sie leiteten daraus einen Kriegszustand als Fortsetzung des Unabhängigkeitskriegs ab, der aus ihrer Sicht Gewalt rechtfertigte und ihre Kämpfer zu Soldaten machte, nicht zu Terroristen. Die Gewalt zeitigte aber nicht die angestrebten Ziele, so dass die Provisionals in den 1980er Jahren, über ihren politischen Arm Sinn Féin, auch einen konstitutionellen Ansatz verfolgten, eine kombinierte Strategie der Waffen und der Wahlkabine. Der friedliche Weg, nämlich Gesprächsbereitschaft, Verhandlungen und Teilnahme an Wahlen, erwies sich als vielversprechender. Sinn Féin trat in den 1990er Jahren in Verhandlungen mit der anderen großen nationalistischen Partei Social Democratic and Labour Party (SDLP) ein, die Gewalt stets abgelehnt hatte, führte geheime Gespräche mit den Briten und distanzierte sich zunehmend von den Provisionals. Das Karfreitagsabkommen von 1998 markierte den Anfang vom Ende der Gewalt. Sinn Féin überholte die bisher bei Nationalisten dominierende SDLP in der Wählergunst. Die Provisionals verkündeten 2005 das Ende ihrer militärischen Aktivitäten, nachdem sie sich zuvor schon schrittweise entwaffnet hatten. Die Entwaffung der paramilitärischen Gruppen der Unionisten und Loyalisten folgte in den Jahren danach.

Das Ende der Konflikte ist gleichwohl nicht erreicht, sie sind aber auf eine strikt rechtsstaatliche Ebene gestellt. Gerade die Parteien Sinn Féin für die Nationalisten und Democratic Unionist Party (DUP) als Vertretung der Unionisten und Loyalisten, die in ihren Inhalten weniger gemäßigt sind, avancierten zu den stärksten politischen Kräften in Nordirland und teilen sich heute gleichberechtigt die Regierung. Sinn Féin verfolgt weiterhin die irische Einheit als hauptsächliches politisches Ziel, während die DUP an der Union festhält. Das Karfreitagsabkommen jedenfalls erkennt an, dass sowohl die Mehrheit der nordirischen Bevölkerung den Verbleib in der Union wünscht als auch ein beträchtlicher Anteil der nordirischen Bevölkerung und die Mehrheit der Bevölkerung der ganzen Insel die Einheit wünscht. Erst bei einer Mehrheit in Nordirland und in der Republik Irland für die Einheit sind die irische und britische Regierung verpflichtet, die Einheit zu realisieren. Dabei verpflichtet das Abkommen die jeweilige Regierung zur gleichberechtigten Behandlung aller Bürger, verbietet jegliche Diskriminierung und betont das Recht der Bürger, ihre Identität frei zu wählen. Damit gelten die Ansichten über die weitere Entwicklung Nordirlands als legitim, die die Konfliktparteien davor als nicht legitim betrachtet hatten. Die Gewalt ist deswegen aber noch nicht aus Nordirland verschwunden, wenn sie auch nicht mehr so stark präsent wie einst ist. Die großen, früher für Gewalt verantwortlichen Organisationen haben sich entwaffnet und der Gewalt abgeschworen, Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ist stark geächtet. Gleichwohl sehen Medien und politische Beobachter die Gewalt unter anderem als Nachwirkung der Jahrzehnte alten Konflikte, von denen kaum eine Familie in Nordirland verschont worden ist. Auch die hohe Jugendsarbeitslosigkeit gilt als Kontext, in dem sich diese Konflikte Bahn brechen. Schon die Zustimmung zum Karfreitagsabkommen in Referenden zeigt jedoch: Für den Frieden gibt es eine Mehrheit.

Literatur:

  • Richard English: Irish Freedom. The History of Nationalism in Ireland
  • Richard English: Armed Struggle. The History of the IRA
  • https://bigthink.com/strange-maps/619-is-ulster-doomed-scenarios-for-repartition – Gedanken über die Demografie und (durch das Karfreitagsabkommen hinfällige) Teilungsszenarien in Nordirland.

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Kommentare (9)

  1. #1 Ludger
    20. September 2014

    Der ehemalige Ministerpräsident (SPD) von NRW und spätere Bundespräsident Johannes Rau hat zwischen Nationalismus und Patriotismus differenziert:

    “Ein Patriot ist jemand, der sein eigenes Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.” ( https://www.glasnost.de/docs01/010319rau.html )

    Insofern ist die Ehrung von Nationalhelden, die ein jahrhundertelang fremdbeherrschtes Volk in die Selbständigkeit geführt haben, eher ein Zeichen für Patriotismus als für Nationalismus. Rau bezeichnete sich selber übrigens als Patriot und war des Nationalismus völlig unverdächtig.

  2. #2 Alderamin
    20. September 2014

    Danke für den umfangreichen Einblick in die irische Geschichte. Bis zu meiner Reise dorthin hatte ich den Nordirlandkonflikt für einen Religionskrieg gehalten und als ich da war, lernte ich ihn dann eher als einen Konflikt zwischen ehemaligen protestantischen Besatzern und Eingeborenen Katholiken, aber die ganze Sache ist offenbar noch viel komplexer.

  3. #3 T
    20. September 2014

    @Ludger
    Es gibt deutliche Indizien dafür, dass der angebliche Unterschied zwischen Nationalismus und Patriotismus nicht existiert:
    https://www.sueddeutsche.de/wissen/liebe-zum-land-die-maer-vom-guten-patrioten-1.912131

  4. #4 Ludger
    20. September 2014

    Im verlinkten Bericht der Süddeutschen Zeitung wird der Psychologe Christopher Cohrs als Autor mit der Aussage zitiert:

    SZ: Nach Erkenntnissen des Psychologen Christopher Cohrs von der Universität Jena lassen sich Menschen nicht in gute Patrioten und böse Nationalisten einteilen. Bürger, die sich stark mit ihrem Land identifizieren, so Cohrs, seien anfällig für intolerantes und ausländerfeindliches Gedankengut: “Menschen mit patriotischen Einstellungen lehnen Nationalismus nicht ab. Vielmehr geht beides oft Hand in Hand.”

    In der Zusammenfassung der Habilitationsschrift desselben Psychologen findet man den Satz:

    https://pub.uni-bielefeld.de/publication/2304986
    In allen drei Studien lassen sich konstruktive Patrioten identifizieren. Sie sind nicht durch ausländerfeindliche, sondern eher durch ausländerfreundliche Einstellungen gekennzeichnet. Die Studien 2 und 3 ermöglichen weitere Analysen. In Studie 2, die auf Daten aus dem Projekt “Gerechtigkeit als innerdeutsches Problem” basiert, weisen die konstruktiven Patrioten die stärkste Bereitschaft zum Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit auf. Dieses Ergebnis ist zum Teil darauf zurückführbar, dass die konstruktiven Patrioten eine stärkere Bedrohung der nationalen Identität durch Fremdenfeindlichkeit wahrnehmen als die anderen Gruppen.

    Weil der Begriff “Nationalismus” meistens als unerwünschte Eigenschaft gilt, bei der man an rechtsradikales Gedankengut und Blood and Honour denkt, wäre eine genauere Begriffsbestimmung, was hier unter dem Begriff verstanden wird, für das richtige Verständnis hilfreich gewesen.

  5. #5 Ludger
    20. September 2014

    Korrektur: Dissertation nicht Habilitation

  6. #6 Jouron
    20. September 2014

    Florian, glauben sie, das über Portsmouth wirklich ein echtes UFO gesehen wurde?
    Wie es in der Quelle steht (keine Panikmache):
    https://metro.co.uk/2014/09/20/ufo-spotted-over-portsmouth-and-the-met-office-says-it-isnt-a-cloud-4875798/

    Ich persönlich glaube nicht daran, da es nur eine Quelle berichtet. Nichtmal die Verschwörungsmedien haben sich da raufgestürzt.

  7. #7 Matthias Friedmann
    20. September 2014

    Schön geschrieben. Aber für einen Essay wirkt es auf mich etwas zu sehr zusammenfassend. Ich vermisse ein wenig die konkrete Idee. Es wirkt daher am Anfang etwas durcheinander, weil von einem Thema zum nächsten gesprungen wird. Eine konkretere Definition von Nationalismus hätte wohl geholfen.

  8. #8 Martin
    21. September 2014

    @Jouron
    was ist wohl wahrscheinlicher:
    Dein Bild zeigt ein UFO, oder Dein Bild zeigt eine Wolke?

    Tschuldigung das war ein Trickfrage. Die Wolke ist ein UFO, da mann Sie schlecht als Wolke erkennt.

  9. #9 emreee
    21. September 2014

    Das war mir zu durcheinander . Wäre es ein buch gewesen, hätte ich mich bis Seite 20 durchgekämpft . Sorry ….