Dieser Gastartikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb. Alle eingereichten Beiträge werden im Lauf des Septembers hier im Blog vorgestellt. Danach werden sie von einer Jury bewertet. Aber auch alle Leserinnen und Leser können mitmachen. Wie ihr eure Wertung abgeben könnt, erfahrt ihr hier.
Dieser Beitrag wurde von Lisa Leander eingereicht.
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Die Grenzen des Irrtums
Ein Wissenschaftler veröffentlicht seine Resultate, ein anderer geht derselben Fragestellung nach und kommt auf ein anderes Ergebnis. Was ist passiert? Im besten Falle führt der Widerspruch dazu, dass sie das Problem ganz neu betrachten und auf eine tieferliegende, bisher unbekannte Ursache stoßen. Doch Forscher können auch einfach falsch liegen mit ihrer Interpretation. So ist es wohl kürzlich beim Bicep2-Experiment geschehen, das mit dem Nachweis von Gravitationswellen Schlagzeilen machte. Drei Monate später war das Team mit seinen Schlussfolgerungen deutlich vorsichtiger, weil Fachkollegen Zweifel angemeldet hatten.
Zugegeben, es hat schon spektakulärere Fehleinschätzungen gegeben. Doch das Beispiel illustriert etwas, das mehrere große Wissenschaftsakademien in Deutschland in ihrer Stellungnahme „Zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien“ beschrieben haben. Einige meiner Kollegen aus der Wissenschaftskommunikation haben das Thema schon intensiv diskutiert, allerdings möchte ich an dieser Stelle nur auf einen Punkt hinaus. In der Stellungnahme heißt es, dass sich die Berichterstattung zunehmend auf cutting edge research konzentriere, also auf brandneue Ergebnisse, die in Expertenkreisen noch diskutiert werden. Deswegen kommen Nachkorrekturen häufiger vor, als wenn nur über mehrfach abgesichertes Wissen gesprochen wird. Wir sind heute sozusagen viel näher am Puls der Forschung, als wir es früher waren. Allerdings hat diese Entwicklung einen unangenehmen Nebeneffekt: Sie ist einer der Gründe, warum Experten aus der Wissenschaft in der Öffentlichkeit als weniger glaubwürdig wahrgenommen werden.
Keine Regeln? Doch.
Natürlich spielen beim Verlust der Glaubwürdigkeit weitere Faktoren eine Rolle, zum Beispiel wenn Wissenschaftler in wirtschaftliche oder politische Interessenskonflikte verstrickt sind. Aber es bleibt das Problem, dass einige Menschen die Zweifel an einzelnen Aussagen auf ganze Fachgebiete, wenn nicht sogar auf die gesamte forschende Zunft beziehen. Nach dem Motto: „Es gibt so viel, was wir noch nicht verstanden haben, die Wissenschaftler finden bald wieder was ganz anderes heraus.“ Oder anders ausgedrückt, bezogen auf die Physik:
„Allzu häufig verwechselt man sich entwickelndes naturwissenschaftliches Wissen mit überhaupt keinem Wissen und hält eine Situation, in der wir neue physikalische Gesetze entdecken, für das völlige Fehlen zuverlässiger Regeln.“
Das Zitat stammt aus dem Buch „Die Vermessung des Universums“ der theoretischen Physikerin Lisa Randall (Fischer Taschenbuch 2013, S. 24). Was mir an Randall gefällt – außer dass wir den gleichen Vornamen haben und sie gute populärwissenschaftliche Bücher schreibt – ist ihr Versuch, das richtige Verständnis von Wissenschaft zu vermitteln. Obwohl Erkenntnisgewinn ein dynamischer Prozess ist, sollten wir öfter darüber sprechen, welches Wissen wir bereits haben, auf das wir uns verlassen können. Es geht also nicht darum, ob Wissenschaftler irren können. Es geht darum, in welchem Rahmen.
Ganz nah und ganz weit
Randall erläutert das anhand der Quantenmechanik, die immer wieder Aufsehen erregt mit fast wundersam anmutenden Entdeckungen. Könnte es also nicht sein, dass sich durch die Phänomene aus dem rätselhaften „Land der Quanten“ Unbestimmtheiten in unsere sichtbare Welt einschleichen? Schließlich stößt man doch immer wieder auf so vieles, das man vorher nicht erwartet hat, oder? Die Antwort von Randall ist klar: Nein. Denn die Quantenmechanik, so stellt sie fest, gilt nur auf atomaren Größenskalen, ein Einfluss auf Alltagsphänomene ist ausgeschlossen. Dafür sind die physikalischen Gesetze, die bei Maßstäben herrschen, wie wir sie kennen, viel zu gut untersucht. Ähnlich sieht es bei verborgenen Extradimensionen aus, an denen Randall selbst forscht: Würden sie Größen beeinflussen, die sich heute bereits beobachten lassen, denn müssten Physiker nicht mehr nach ihnen suchen – sie hätten die zusätzlichen Dimensionen längst entdeckt. Das illustriert dieser Comic sehr schön, der ebenfalls in „Die Vermessung des Universums“ vorkommt:
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