Der „Landarzt“, von Honoré de Balzac als durchwegs positive Figur gezeichnet (1833), verbirgt seine Ignoranz hinter einem autoritären Gehabe und duldet keinen Widerspruch gegen seine unsinnigen Anordnungen: Eine Gruppe von Kretins lässt er wegen der von ihnen ausgehenden „physischen und intellektuellen Ansteckung“ deportieren. Einem nicht näher bezeichneten Kranken verordnet er zwei Wochen Nulldiät, bei der er nur Queckenwasser trinken darf, und weist seine Frau streng zurecht, die ihm Brot gegeben hat. Ein Aderlass ergänzt die Behandlung des durch Hunger wohl schon geschwächten Kranken.
**Hahnemanns Lehre und seine Kritik an der zeitgenössischen Medizin**
Kritik an der „Schulmedizin“ des angehenden 19. Jahrhunderts war also in den meisten Fällen vollauf berechtigt. Hahnemanns Werk besteht zu einem großen Teil aus einem Frontalangriff gegen die von ihm als „Allopathie“ bezeichnete Medizin:
„Der Allopathiker entzieht also mit seinen Aderlässen den am hitzigen Fieber Erkrankten keine lästige Blut-Uebermenge, weil dergleichen gar nicht vorhanden seyn konnte.“
Homöopathik vergießt keinen Tropfen Blut, giebt nicht zu brechen, purgiren, laxiren oder schwitzen, vertreibt kein äußeres Uebel durch äußere Mittel, ordnet keine warmen Bäder oder Arznei enthaltende Klystire, setzt keine spanischen Fliegen oder Senfpflaster, keine Haarseile, keine Fontanelle, erregt keinen Speichelfluß , brennt nicht mit Moxa oder Glüheisen bis auf die Knochen u. dgl., giebt aus ihrer Hand nur selbst bereitete, einfache Arznei, die sie genau kennt und keine Gemische, stillt nie Schmerz mit Opium, u. s. w.
Von Ausnahmen abgesehen, wird man Hahnemann hier zustimmen. Hahnemanns Kritik hat zwei Hauptpunkte: (1) Die allopathischen Therapien helfen nicht und verursachen unnötiges Leid. (2) Sie beruhen auf „Systemen“, also einem theoretischen Fundament, das der Erfahrung nicht zugänglich ist.
Hahnemann betont stets die Wichtigkeit der Erfahrung, er zeigt also erste Ansätze zu dem, was wir heute „evidenzbasierte Medizin“ nennen. Leider verfällt Hahnemann in einen ebenso starren Dogmatismus wie seine Gegner. Er baut ebenso ein „System“ auf, das er nur unzureichend durch empirische Daten stützt und das er für allumfassend und alleine gültig erklärt. Die Eckpunkte des Hahnemannschen Systems sind folgende:
*Ähnlichkeitsprinzip*
„Durch Beobachtung, Nachdenken und Erfahrung fand ich, daß im Gegentheile von letztern die wahre, richtige, beste Heilung zu finden sey in dem Satze similia similibus curentur. Wähle, um sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen, in jedem Krankheitsfalle eine Arznei, welche
ein ähnliches Leiden (ὅμοιον πάθος) für sich erregen kann, als sie heilen soll!“
In unzähligen Beispielen illustriert Hahnemann sein Ähnlichkeitsprinzip. Beispielsweise soll ein Schnitter nach einem Arbeitstag in der heißen Sonne von einem Schluck Branntwein besser erfrischt werden als von einem Trunk kalten Wassers – von Dehydrierung wusste Hahnemann noch nichts. Das Ähnlichkeitsprinzip und die damit verbundene Verdünnung und Potenzierung von Arzneien sind allgemein bekannt, weshalb ich hier nicht näher darauf eingehe.
*Geistige Wirkung*
Hahnemann schreibt Krankheit und Heilung einzig und allein „geistigen Kräften“ zu, und schließt eine materielle Krankheitsursache weitgehend aus.
„Die Verfechter so grobsinnlich angenommener Krankheits-Stoffe mögen sich schämen, die geistige
Natur unseres Lebens und die geistig dynamische Kraft Krankheit erregender Ursachen so unüberlegt übersehen und verkannt und sich so zu Fege-Aerzten herabgewürdigt zu haben, welche durch ihr Bemühen, Krankheits-Stoffe , die nie existirten, aus dem kranken Körper zu treiben, statt zu heilen, das Leben zerstören.
*Symptome*
Nachdem Hahnemann „Systeme“ der Klassifizierung von Krankheiten und die gesamte Pathologie ablehnt, bleiben ihm nur die äußeren Symptome zur Definition von Krankheiten.
„Da man nun an einer Krankheit, von welcher keine sie offenbar veranlassende oder unterhaltende
Ursache (causa occasionalis) zu entfernen ist, sonst nichts wahrnehmen kann, als die Krankheits – Zeichen, so müssen, unter Mithinsicht auf etwaniges Miasm und unter Beachtung der Nebenumstände, es auch einzig die Symptome seyn, durch welche die Krankheit die zu ihrer Hülfe geeignete Arznei fordert und auf dieselbe hinweisen kann, so muß die Gesammtheit dieser ihrer Symptome, dieses nach außen reflectirende Bild des innern Wesens der Krankheit, d. i. des Leidens der Lebenskraft, das Hauptsächlichste oder Einzige seyn, wodurch die Krankheit zu erkennen geben kann, welches Heilmittel sie bedürfe, das Einzige, was die Wahl des angemessensten Hülfsmittels bestimmen kann — so muß, mit einem Worte, die Gesammtheit der Symptome für den Heilkünstler das Hauptsächlichste, ja Einzige seyn, was er an jedem Krankheitsfalle zu erkennen und durch seine Kunst hin wegzunehmen hat, damit er geheilt und in Gesundheit verwandelt werde.“
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