Dieser Gastartikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb. Alle eingereichten Beiträge werden im Lauf des Septembers hier im Blog vorgestellt. Danach werden sie von einer Jury bewertet. Aber auch alle Leserinnen und Leser können mitmachen. Wie ihr eure Wertung abgeben könnt, erfahrt ihr hier.
Dieser Beitrag wurde von Lukas Prader eingereicht.
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Will Hunting und die Graphentheorie
Ich schalte den Fernseher an, öffne den Teletext – und da lese ich es! Robin Williams ist tot. Kaum zu glauben! Unendlich schade um diesen brillanten Schauspieler mit seinen abwechslungsreichen Rollen.
Offenbar versuchten auch die Fernsehsender, den Tod des Stars aufzuarbeiten. Kurzerhand disponierten sie ihre Abendprogramme um – und so wurde bestimmt jeden Tag irgendwo ein Robin-Williams-Film gezeigt.
Als (angehender) Mathematiker hat mich natürlich einer davon ganz besonders interessiert: Good Will Hunting. Williams verkörpert darin die Rolle des Psychologen Sean Maguire, für die er mit einem Oskar ausgezeichnet wurde. Im Film geht es aber vor allem um das Aufeinandertreffen zweier scheinbar gegensätzlicher Menschen: Auf der einen Seite der Hausmeister Will Hunting, auf der anderen der MIT-Professor Gerald Lambeau, der gar ein Empfänger der überaus renommierten Fields-Medaille (quasi des „Mathematik-Nobelpreises“) ist. Lambeau interessiert sich sehr für Will – warum, mögen Sie fragen. Wie kann ein Hausmeister einen Mathematiker begeistern? Ganz einfach: Mit Mathematik! Will entpuppt sich als wahres Mathematikgenie und letztlich muss Lambeau sogar gestehen, dass er Will in seinem eigenen Fach eindeutig unterlegen ist. Wahrscheinlich halten das viele Leute für Fiktion, was es allerdings nicht ist! Mathematische Wunderkinder (oder eben Wundererwachsene wie Will), die aus dem Nichts auftauchen und mit den „echten“ Mathematikern konkurrieren, sind zwar nicht häufig, aber es gibt sie tatsächlich. Der indische Buchhalter Srinivasa Ramanujan, der mit seinen Briefen die britische Mathematikelite begeisterte, ist das wohl bekannteste Beispiel für einen Will Hunting des wahren Lebens.
Auch im Film ist es so, dass Professor Lambeau eher durch Zufall auf Wills Talent aufmerksam wird: Er erwischt ihn dabei, wie er ein Rätsel auf einer Gangtafel (völlig korrekt) löst, das für seine Studenten bestimmt war. Zwei Jahre lang hätten die MIT-Professoren für die Lösung gebraucht, gesteht er in einer Vorlesung. Dementsprechend entsetzt ist er natürlich, als er erkennt, wie mühelos Will damit fertig wird. Tatsächlich handelt es sich dabei aber um ein Rätsel, das jeder von uns verstehen und lösen kann – und das werden wir im Laufe dieses Textes auch tun! Zugegeben: Die Aufgabenstellung ist das einzig Komplizierte am ganzen Rätsel. Die Lösung ist weitaus leichter. Versprochen! Ich haue die Angabe jetzt ganz einfach raus – danach gehen wir sie Wort für Wort durch und lösen das Rätsel. Also nicht schrecken! Abgemacht? – Na dann:
„Finden Sie alle nicht-isomorphen, homöomorph irreduziblen Bäume vom Grad zehn.“
Ich nehme an, Sie haben bereits alles verstanden. Dann können wir ja fortfahren … Haha, jetzt habe ich mir mit Ihnen einen Spaß erlaubt – wird nicht wieder vorkommen. Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, habe ich auch nur Bahnhof verstanden. Das Rätsel wird uns tief in die Graphentheorie führen – eine mathematische Teildisziplin, die sich mit ganz speziellen Strukturen befasst. Um herauszufinden, was genau ein solcher Graph ist und wofür man sie braucht, unternehmen wir eine kleine Zeitreise ins 18. Jahrhundert:
Das preußische Königsberg … Eine Stadt mit einer langen Geschichte. Der Fluss Pregel durchzieht das Stadtzentrum. Erst zweigeteilt vereinigen sich hier die Flussarme, schließen eine Insel ein (den Kneiphof) und vereinigen sich anschließend wieder. Reihenhäuser zieren die Ufer, auf dem Wasser tummeln sich Schiffe und zahlreiche Enten. Ein großer Dom auf dem Kneiphof überragt die Reihenhäuser. Um alle Stadtteile bequem erreichen zu können, wurden sieben Brücken errichtet (siehe dazu die Karte unten). Sie sind er Gegenstand einer Frage, die die Bewohner er Stadt seit jeher quält, aber nach wie vor unbeantwortet ist: Kann man auf einen Stadtspaziergang jede der sieben Brücken genau einmal überqueren? Genau einmal – das bedeutet, man darf weder eine Brücke auslassen noch zweimal oder gar öfter über sie flanieren. Wie kann man so eine Frage überhaupt angehen? Die Königsberger spazieren und spazieren, sitzen vor ihren Landkarten … Es gelingt ihnen einfach nicht, eine Route zu finden.
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