“Chaos” ist eine knifflige Sache. Die “Chaostheorie” war eine Zeit lang ziemlich populär und eines der wissenschaftlichen Konzepte, die es auch außerhalb der Wissenschaft zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat. So wie die Esoterik heute ihre Lehren alle mit “Quantenmechanik” erklären will, gab es in den 1980er und 1990er Jahren jede Menge Publikationen, die das “Chaos” als Erklärung und Modell für alles und jedes präsentiert haben. Das lag vermutlich daran, dass “Chaos” ein Wort ist, dass auch im Alltag ständig auftaucht und bei dem wir sofort entsprechende Bilder im Kopf haben. Aber so wie bei der Quantenmechanik ist auch das wissenschaftliche “Chaos” etwas ganz anderes als das “Alltagschaos” und so wie die Quantenmechanik ist auch die wissenschaftliche Chaostheorie eine zutiefst mathematische Disziplin, die nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen angewandt und nicht so einfach auf das normale Leben übertragen werden kann. Ich habe hier im Blog schon vor einigen Jahren eine Artikelserie geschrieben und probiert, darin die Chaostheorie zu erklären: Einleitung, Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4. Und erst kürzlich habe ich das Thema auch in meinen Podcasts aufgegriffen: Teil 1, Teil 2, Teil 3. Die echte Chaostheorie ist zwar nicht einfach zu verstehen. Aber es lohnt sich, denn man trifft das Chaos bei der Beschreibung der Welt immer wieder. Zum Beispiel bei der Frage, warum in den großen Galaxienhaufen des Universums viel weniger Sterne entstehen, als dort eigentlich entstehen sollten.
Die Galaxien im Kosmos sind nicht einfach irgendwie zufällig verteilt, sondern in großen Gruppen organisiert. Es sind die größten Strukturen, die durch Gravitationskraft zusammen gehalten werden und äußerst interessante Studienobjekte. Galaxienhaufen haben uns einiges über die Natur der dunklen Materie verraten und das lag hauptsächlich an dem, was sich zwischen den Galaxien eines Haufens befindet. Das ist das sogenannte Intracluster-Medium oder ICM und es handelt sich dabei um ein sehr, sehr dünnes Gas. Es stammt von den Sternen der Galaxien, die nicht nur Strahlung, sondern auch einen Teil ihrer Materie in Form von Sternwind ins All hinaus schleudern. Auch die großen schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien werfen mit ihrer enormen Gravitationskraft immer wieder große Mengen an Material hinaus in den Raum zwischen den Galaxien. Viel stammt auch von Sternen, die am Ende ihres Lebens in großen Supernova-Explosionen vergehen.
Die Atome in diesem Gas bewegen sich sehr schnell; das Gas hat Temperaturen von einigen Millionen Grad. Dabei ist es aber auch enorm dünn – im Schnitt kann so ein Gasteilchen ein ganzes Lichtjahr weit fliegen, bevor es auf ein anderes Teilchen trifft. Das ICM gibt wegen dieser hohen Temperaturen jede Menge Röntgenstrahlung ab (weswegen man es mit Röntgenteleskopen auch gut beobachten kann). Dadurch verliert es Energie und sollte eigentlich ziemlich schnell abkühlen. Wenn es dann kühl genug ist, sollte es sich langsamer bewegen, in den Zentren der Galaxienhaufen ansammeln und dort neue Sterne bilden. Das passiert aber nicht. Das Gas bleibt heiß und die erwartete Sternbildung wird nicht beobachtet.
Wissenschaftler um Irina Zhuravleva von der Universität Stanford haben nun einen möglichen Mechanismus identifiziert, der für die Aufheizung des Intracluster-Mediums verantwortlich sein könnte. Sie haben sich den Perseus- und den Virgo-Galaxienhaufen angesehen und das Röntgenteleskop Chandra benutzt, um das Gas zwischen den Galaxien zu untersuchen. Es war schon länger klar, dass die hohen Temperaturen des ICM irgendwie mit der Gravitationskraft der Galaxien zu tun haben; die Bewegungsenergie die im Gravitationsfeld des Galaxienhaufens steckt, wird in Wärme umgewandelt und heizt das Gas auf. Aber wie das genau abläuft, ließ sich bis jetzt schwer untersuchen.
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