Dazu müsste man nicht nur wissen, wo sich das Gas befindet, sondern auch wie schnell und in welche Richtung es sich bewegt. Das können die derzeitigen Röntgenteleskope kaum und da man Röntgenastronomie nur vom Weltall aus betreiben kann (die Erdatmosphäre filtert diese Art der Strahlung aus), ist es auch nicht so einfach, neue Instrumente zum Einsatz zu bringen. In den nächsten Jahren soll das Astro-H-Teleskop ins All geschickt werden, mit dem solche Beobachtungen möglich wären. Aber das dauert eben noch und Zhuravleva und ihre Kollegen haben sich daher eine andere Methode ausgedacht. Die Details sind kompliziert (“Turbulent Heating in Galaxy Clusters Brightest in X-rays”), aber im wesentlichen läuft es das man aus der Energie, die im Gas steckt auf seine Bewegung schließen kann (Hier erklärt Zhuravleva die Methode ein klein wenig ausführlicher). Wenn man das ICM in den Galaxienhaufen beobachtet und mit Computermodellen der “normalen” Gasverteilung die zusätzlichen Fluktuationen sichtbar macht, dann erhält man solche Bilder:
Besonders beim linken Perseus-Cluster kann man schön die “wirbelnde” Bewegung des Gases erahnen, die deutlich darauf hinweist, dass hier Turbulenzen im Spiel sind. Turbulente Strömungen findet man in der Natur überall: Wenn wir Milch in den Kaffee geben und umrühren; wenn wir das Flackern einer Kerze betrachten oder den Rauch, der aus einem Schornstein strömt. Turbulenz ist überall und Turbulenz ist immer auch ein Zeichen für Chaos. In den Galaxienhaufen entsteht die Turbulenz durch die Wechselwirkung zwischen dem ICM und den supermassereichen schwarzen Löchern in den Zentren der Galaxien. Material, dass sich in der Nähe dieser schwarzen Löcher befindet kann durch deren Gravitationskraft enorm stark beschleunigt werden. Wenn es dann um das Loch herumwirbelt, wird ein Teil davon in großen “Jets” ins All hinaus geschleudert, ein bisschen so wie das Licht eines Leuchtturms. Diese energiereichen Teilchenströme erzeugen große “Löcher” im umliegenden Intracluster-Medium und wenn sich das restliche Gas dann um diese Löcher herum bewegt, entsteht die chaotische, turbulente Bewegung. Das Gas wird dadurch daran gehindert abzukühlen und im Zentrum des Galaxienhaufens zur Ruhe zu kommen und kann keine neuen Sterne erzeugen.
Wie gesagt: Es handelt sich nicht um direkte Beobachtung der Gasbewegung, sondern um eine indirekte Ableitung, für die man jede Menge Annahmen machen und Computermodelle verwenden musste. Genau wird man das Phänomen erst untersuchen können, wenn man bessere Teleskope zur Verfügung hat. Aber es scheint schon jetzt klar zu sein, dass auch auf diesen großen Skalen das Chaos eine wichtige Rolle spielt. Die riesigen schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien transferieren Energie in das Intracluster-Medium und die dadurch entstehenden chaotische Turbulenz verhindert die Sternentstehung.
Ich könnte den Artikel jetzt damit beenden, dass ich eine Parallele zwischen dem Chaos ziehe, das den Galaxienhaufen das Leben schwer macht und dem Chaos, das uns Menschen immer wieder behindert. Aber dann würde ich genau den gleichen Fehler machen, den ich anfangs kritisiert habe und das mathematische Chaos der Wissenschaft mit dem Alltagschaos gleichsetzen. Also mache ich das nicht und beschränke mich darauf, begeistert zu sein, dass wir in der Lage sind, Beobachtungen dieser Größenordnung anzustellen. Dass, was Zhuravleva und ihre Kollegen beobachtet und analysiert haben, war nicht das flackernde Licht einer kleinen Kerze sondern die chaotische Interaktion von Billionen Sternen in 240 Millionen Lichtjahren Entfernung!
Kommentare (19)