Muss man wirklich noch mehr über Esoterik und Pseudowissenschaft bloggen? Bekommt dieser Unsinn nicht eh schon genug Aufmerksamkeit? Ja, das tut er – und gerade deswegen sollte man sich damit beschäftigen; auch als Wissenschaftler. Falsche Zurückhaltung angesichts angeblicher „Pfui-Themen“ ist hier nicht angebracht. Wenn man Wissenschaft vermitteln will, dann kommt man nicht umhin, sich auch mit den Dingen zu beschäftigen, die so tun als wären sie Wissenschaft, aber keine sind. Der „Schmarrn“ ist überall da draußen und er wird nicht so einfach verschwinden.
Wir leben heute in einer Zeit, die komplett von den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik durchdrungen ist und das ist vermutlich das Problem an der ganzen Sache. Wir haben uns an die Annehmlichkeiten des Fortschritts so sehr gewöhnt, dass uns die Wissenschaft dahinter gar nicht mehr auffällt. Diese Unkenntnis macht es uns zum Beispiel möglich, einen Computer zu benutzen und im Internet wirre Geschichten über „freie Quantenenergie“ oder „Quantenheilung“ zu lesen die im kompletten Widerspruch zur realen Quantenmechanik stehen, ohne deren Erkenntnisse Computer überhaupt nicht existieren würden. Die moderne Medizin hat Krankheiten verschwinden lassen, die früher zahllose Menschen umgebracht hat und es uns heute möglich macht, mit unseren Wohlstandswehwechen zu Homöopathen und Heilpraktikern zu pilgern. Kartenleser und Astrologen im Fernsehen, Verschwörungstheoretiker im Internet oder windige Geschäftemacher auf Esoterikmessen profitieren nicht nur von der Aufmerksamkeit, die der Esoterik überall gewidmet wird. Sondern auch von der Unaufmerksamkeit, die der echten Wissenschaft entgegen schlägt.
Eine umfassende Wissenschaftsvermittlung kann es sich also gar nicht leisten, den „Schmarrn“ zu ignorieren. Sie sollte auch nicht nur passiv auf das reagieren, was die Esoteriker laufend in die Welt setzen. Sie muss sich aktiv an die Öffentlichkeit wenden und die „Pfui-Themen“ aus eigenem Antrieb aufgreifen.
Aber man darf sich dabei auch nicht zu viel erhoffen. Aberglaube ist GLAUBE und wer wahrhaftig glaubt, ist durch rationale Argumente nicht zu erreichen. Aufklärung kann niemand vom Glauben abbringen, aber vielleicht verhindern, dass manche auf den esoterischen Unsinn überhaupt erst reinfallen. Wie viele Menschen denken beispielsweise, Homöopathie wäre „sanfte Pflanzenmedizin“, ohne sich des dieser Lehre zugrunde liegenden abergläubischen Glaubenssystems bewusst zu sein? Wie viele von ihnen würden weiterhin Globuli schlucken, wenn sie wüssten, dass die Homöopathen zu deren Zubereitung nicht nur auf absurde Zutaten wie Hundekot, Menstruationsblut oder gar Antimaterie setzen sondern dabei auch fast schon magische Rituale einhalten müssen, die vorschreiben, wie oft und auf welche Weise die Proben auf ein Lederkissen geklopft werden müssen (ganz zu schweigen davon, dass am Ende der Prozedur sowieso nichts anderes mehr als Zucker in den Kügelchen enthalten ist)? Wie viele Menschen lassen sich von Verschwörungstheoretikern davon überzeugen, dass die Kondensstreifen der Flugzeuge in Wahrheit aus giftigen Chemikalien bestehen, die von Geheimorganisationen zu düsteren Zwecken ausgebracht werden? Und wie viele würden weiterhin an diese „Chemtrail“-Verschwörung glauben, wenn sie ein klein wenig mehr über die meteorologischen Grundlagen der Wolkenbildung wüssten? Wie viele Menschen glauben den Versprechungen der Astrologen, nur weil sie keine Ahnung von den realen astronomischen Vorgängen im Universum haben?
Die rationale Beschäftigung mit Esoterik und Pseudowissenschaft kann den Aberglauben auf der Welt nicht abschaffen. Aber Aufklärung kann echtes Wissen vermitteln und den Menschen die Möglichkeit zum eigenständigen Denken geben. Vor allem aber kann sie die Wahrnehmung des „Schmarrns“ in der Öffentlichkeit verändern. Wenn die Wissenschaft zu ihren Widersachern nichts zu sagen hat, dann wird das von ihnen als Zustimmung interpretiert werden. Der Unsinn wird nicht verschwinden. Aber man sollte ihn zumindest laut und deutlich als das bezeichnen, was er ist!
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Und genau deswegen gibt es seit gestern eines neues Projekt. Bei der österreichischen Zeitung Standard.at schreibe ich ab jetzt das Blog “So ein Schmarrn!”. Alle zwei Wochen wird es einen neuen Artikel zum Thema Pseudowissenschaft geben. Der erste ist schon erschienen und von “Freier Energie”. Ich bin schon gespannt auf die Resonanz…
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