In der Wissenschaftssendung “nano” von 3sat wurde am 19.11.2014 der Professor für Journalistik der Universität Dortmund Holger Wormer interviewt. Es ging um die Frage, wie die Medien über Wissenschaft berichten; wo die Wissenschaftler bei der Öffentlichkeitsarbeit selber Fehler machen oder gar unredlich arbeiten und wie die Berichterstattung der Journalisten die Wissenschaft und deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit beeinflusst. Mir ist dabei besonders der folgende Dialog zwischen Moderator Ingolf Baur und Wormer aufgefallen (das Interview gibt es zumindest jetzt noch in der Mediathek):
“Baur: Nun sind wir hier bei nano im Wissenschaftsjournalismus noch ganz gut aufgestellt und können da auch jeden Tag gut recherchiertes Programm liefern. Aber natürlich interessieren sich die Zuschauer auch mittlerweile für andere Medien und suchen sich ihre Infos beispielsweise im Internet. Ist das auf lange Frist unser Aus, unser Tod?
Wormer: Nein, das glaube ich nicht. Aber ich glaube, man muss sich schon Gedanken darüber machen was man tut. Ich glaube sowohl der Journalismus als auch die Medien als auch die Wissenschaft generell müssen einfach stärker kommunizieren was sie da machen. Es muss deutlich werden, warum die Recherche eines Journalisten Mehrwert bringt gegenüber dem, was irgendwer in seinem Blog schreibt was ihm vielleicht morgens unter der Dusche eingefallen ist.”
Da klingt zwar ein wenig Überheblichkeit gegenüber Blogs durch, aber wenn ich das (vorerst) einmal ignoriere, dann sagt Holger Wormer hier ganz explizit, dass die Bedeutung des Wissenschaftsjournalismus in der intensiven Recherche eines Themas liegt. Und ich bin natürlich der letzte, der hier widersprechen will. Es ist ja auch trivial: Je besser die Recherche, desto besser kann auch der daraus entstehende Artikel werden. Recherche braucht Zeit, Wissen und Infrastruktur und die hat nicht jeder. Ich muss Wormer aber ganz deutlich widersprechen, wenn er das Potential für diese Recherche nur in den Wissenschaftsredaktionen der klassischen Medien verortet.
Viele Medien haben gar keine ausgewiesenen Wissenschaftsjournalisten mehr. Zeitungen haben einen Redaktionsschluss und dann muss der Artikel zum aktuellen Thema fertig sein; egal ob die Recherche ausführlich genug war oder nicht. Zeitungen und Fernsehsendungen haben nur beschränkten Platz und der wird im Allgemeinen für alle möglichen Themen verwendet und nur selten für Wissenschaft. Fernsehsender müssen Quote machen; Zeitungen die Auflage steigern. Das alles sind nicht unbedingt die Rahmenbedingungen, die gut recherchierte, ausführliche und kompetente Texte über Wissenschaft fördern. Da geht dann schon mal viel daneben (siehe meine Serie “Schlechte Schlagzeilen”). Ein ganz aktuelles Beispiel ist das Radiointerview (WebCite), dass WDR2 kürzlich mit mir geführt hat. Es ging um die Landung der Raumsonde Philae auf dem Kometen und der von WDR2 verfasste Artikel dazu beginnt mit dem Satz:
“Über eine Milliarde Euro hat es gekostet, auf einem mehrere hundert Millionen Lichtjahre entfernten Kometen zu landen.”
Die Entfernung zwischen dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko und der Erde lässt sich leicht recherchieren. Man muss den Namen des Kometen nur bei Google eingeben und zum Beispiel dem Link zur Wikipedia folgen oder eine der vielen Informationsseiten der Europäischen Raumfahrtagentur dazu lesen. Dann erfährt man, dass der Abstand derzeit etwa 500 Millionen Kilometer beträgt – was deutlich weniger ist als 100 Millionen Lichtjahre (2 Billionen mal weniger…). Man könnte natürlich auch wissen, dass ein Lichtjahr eine ziemlich große Längeneinheit ist; dass der Abstand zum nächsten Stern knapp 4 Lichtjahre beträgt, unsere gesamte Milchstraße knapp 100.000 Lichtjahre durchmisst und man bei einer Distanz von 100 Millionen Lichtjahre irgendwo in einer anderen Galaxie landen würde. Aber Wissenschaftsjournalisten müssen keine wissenschaftlichen Experten haben; um solche fachlichen Details zu klären, gibt es ja eben die Recherche.
Natürlich ist die Sache mit dem Abstand zum Kometen eine Kleinigkeit. Und glücklicherweise gibt es in den deutschen Medien noch genug sehr guten Wissenschaftsjournalismus. Flüchtigkeitsfehler, die jedem mal passieren können (auch ich habe schon öfter mal falsche Zahlen in meine Blogartikel geschrieben) gibt es eben. Ich hätte normalerweise nicht einmal extra darauf hingewiesen, aber im Kontext mit dem Interview von Wormer wirken solche Fehler dann doch ein wenig seltsam. Wenn sich der Journalismus schon den “Mehrwert” der eigenen Recherche auf die Fahnen schreibt und sich darüber von den Blogs abgrenzen will, wo “irgendwer” einfach so was ins Internet schreibt: Dann sollte man den Effekt dieser Recherche auch in der Arbeit der Journalisten bemerken.
Gerade wenn es um Wissenschaft geht, wäre die Arbeit der Journalisten nämlich wirklich wichtig. Denn das sind genau die Themen, von denen der Durchschnittsmensch (im Gegensatz beispielsweise zum Sport) wenig Ahnung hat. Gerade hier braucht es gute und ausführliche Recherche, lange und verständliche Erklärungen und Einschätzungen, die es der Leserschaft möglich machen, zu erkennen, ob ein bestimmtes Forschungsergebnis relevant ist; warum es relevant ist oder ob es sich vielleicht doch nur um einen Hype oder vielleicht sogar Unsinn handelt.
Wissenschaft ist enorm wichtig für unsere Gesellschaft. Forschung zu Themen wie Klimawandel, erneuerbare Energien, Gentechnik, Medizin, Nanotechnologie, und so weiter bestimmen nicht nur, wie die Welt aussieht, in der wir leben. Es sind auch Themen, über die politische Entscheidungen getroffen werden müssen und da wäre es angebracht, wenn die Gesellschaft ausreichend und umfassend darüber informiert ist. Entsprechende Bedeutung kommt auch dem Wissenschaftsjournalismus zu, der ja genau diese Schnittstelle zwischen Forschung, Öffentlichkeit und Politik darstellt.
Ich will den Wissenschaftjournalismus auch gar nicht angreifen (Wieso auch? Ich schreibe ja selbst oft genug Artikel für diverse Zeitungen und Magazine). Aber manchmal frage ich mich, ob das mit dem “Mehrwert” der journalistischen Arbeit und den Blogs, in denen halt “irgendwas” steht, nicht doch ein klein wenig Unsinn ist. Zum Beispiel, wenn ich sehe, von welchen Partnern sich der “Bundespresseball” sponsern lässt (WebCite). Ob sich eine große Veranstaltung der Presse überhaupt finanziell von Firmen unterstützen lassen sollte, ist eine interessante Frage, die man aber vielleicht ein andern Mal diskutieren kann. Genau so wie die Frage, ob man sich unbedingt von einer Tabakfirma unterstützen lassen sollte. Aber es wirkt dann doch ein wenig seltsam, wenn neben Mercedes und British American Tobacco auch noch die Firma “Neutrino Inc.” als Unterstützer des Bundespresseballs aufscheint.
Der Ball wird jedes Jahr von der Bundespressekonferenz veranstaltet. Das ist ein Verein aus etwa 900 hauptberuflichen Journalisten deutscher Medien, der auf seiner Homepage über sich schreibt:
“Wie gelingt es relativ schnell, an möglichst objektive Informationen heranzukommen? Diese Frage haben sich Parlamentskorrespondenten im Herbst 1949 gestellt und daraufhin die Bundespressekonferenz (BPK) gegründet. Ihr Zweck ist, Pressekonferenzen mit maßgeblichen Personen aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu veranstalten.”
Diese Veranstaltung mit den “maßgeblichen” Personen gibt es also schon lange und die BPK ist in der deutschen Medienlandschaft durchaus relevant. Und auch das Ziel, “an möglichst objektive Informationen heranzukommen” ist unterstützenswert und (siehe oben) wichtig. Es wird aber meiner Meinung nach ein klein wenig ad absurdum geführt, wenn von all den Journalisten der BPK niemand in der Lage war, herauszufinden, was von ihrem Partner “Neutrino Inc.” wirklich zu halten ist.
Auf der Homepage der Firma kann man höchst erstaunliches lesen. Man möchte dort eine “Inexhaustible Source of Energy” entwickeln; noch dazu “emissionsfrei und nachhaltig”. Und wie funktioniert diese “Zukunft der Energie”? Mit Neutrinos! Die Erklärungen (WebCite) sind aber eher dünn:
“Bei Wechselwirkungen und Reaktionen der Neutrinos mit Materie können jedoch große Energiemengen freigesetzt werden. (…) Basierend auf dieser Grundlagenforschung versucht Neutrino Inc. heute durch Einsatz von Nanotechnologie diese „freie“ Energie in Strom umzuwandeln und nutzbar zu machen.”
Man will also irgendwo Energie aus Neutrinos holen. Unbegrenzt viel Energie, ohne dass dabei irgendwelche fiese Umweltverschmutzung auftritt. Klingt super. Wer würde nicht gerne das Energieproblem der Menschheit gelöst sehen? Aber “freie Energie” für alle klingt ein wenig zu schön, um wahr zu sein. Das wäre eigentlich genau so ein Fall, wo man als Journalist mal ein wenig recherchieren könnte. Was sind eigentlich Neutrinos? Kriegt man da wirklich irgendwie Energie raus? Welche Wissenschaftler arbeiten für “Neutrino Inc.”? Welche wissenschaftliche Ausbildung hat der Chef der Firma? Und so weiter…
Man könnte zum Beispiel mal einen Wissenschaftler fragen, wie das mit den Neutrinos funktioniert. Zufälligerweise (es war wirklich Zufall) habe ich erst kürzlich über ein Projekt zur Neutrinobeobachtung berichtet und auch eine Podcastfolge zur “Neutrinoastronomie” veröffentlicht. Darin habe ich das erwähnt, was vermutlich auch jeder zur journalistischen Recherche herangezogene Experte sagen würde: Neutrinos wechselwirken so gut wie gar nicht mit normaler Materie. Es sind höchst flüchtige Elementarteilchen, von denen in jeder Sekunde viele Billiarden ungestört und unbemerkt durch die Erde hindurch rasen. Man braucht deswegen auch die gewaltigen Detektoren und muss einen enormen technischen Aufwand betreiben, um wenigstens ein paar davon nachweisen zu können. Nur aus Spaß an der Freude und der frischen Luft haben die Forscher ja sicher keinen kubikkilometergroßen Detektor tief unter dem Eis der Antarktis gebaut. Wenn dann eine Firma, ohne Angabe von Details, behauptet, diese Teilchen nicht nur ohne diese komplexe Technik nachweisen, sondern aus ihnen auch noch irgendwie Energie extrahieren kann, dann sollte man durchaus ein wenig skeptisch werden.
Natürlich klingt es super, wenn man behauptet, man können Batterien für Elektrautos bauen, die 2000 Kilometer ohne nachladen schaffen (wie im Focus (WebCite) berichtet). Und vielleicht lässt sich der eine oder andere engagierte Investor von diesen wunderbaren Versprechungen beeindrucken. Aber Journalisten sollten da vielleicht doch ein wenig kritischer sein. Sie sollten recherchieren, was es mit der Geschichte auf sich hat. Und wenn sie das tun, würden sie feststellen, dass der Geschäftsführer der Firma kein Wissenschaftler ist; es keinerlei wissenschaftliche Basis für die behauptete Technik gibt und die Welt der Esoterik und Pseudowissenschaft voll ist mit ähnlichen Firmen und Versprechungen, die alle behaupten, den Schlüssel zur unerschöpflichen Energiequelle zu haben ohne das es dafür auch nur den Hauch eines wissenschaftlichen Belegs gibt.
Vielleicht hat man bei der Bundespressekonferenz diese Recherche angestellt (Nachtrag: Wohl eher nicht – siehe hier). Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man hat erkannt, dass es für die spektakulären Behauptungen ihres Partners “Neutrino Inc.” keine wissenschaftliche Basis gibt, diese Erkenntnis ignoriert und sich trotzdem sponsern lassen. Oder man hat es nicht erkannt, was – genau so wie die verbleibende Möglichkeit, das überhaupt nicht recherchiert wurde – nicht unbedingt Vertrauen weckt, wenn es um die Aufgabe der Journalisten geht, objektiv und mit “Mehrwert” über wissenschaftliche Themen zu berichten.
Natürlich sind in der BPK vermutlich wenig Wissenschaftsjournalisten organisiert und vielleicht ist es unfair, wenn ich die Aussage von Wormer vom Beginn meines Artikels nun aufgrund der Auswahl der Sponsoren des Bundespresseballs kritisiere. Aber wenn man schon pauschal vom Mehrwert des Journalismus spricht, dann kann man den Journalismus auch mal eben so pauschal betrachten.
Ich will mich ja eigentlich gar nicht in die ewige und ermüdende Debatte “Journalismus vs. Blogs” einmischen. Vor allem weil es ein absolut dumme Debatte ist. “Journalismus” ist eine Tätigkeit und ein “Blog” ist ein Medium. Das lässt sich nicht vergleichen. Man kann in Blogs journalistisch arbeiten. Wer will kann auch tatsächlich einfach nur das in ein Blog schreiben, was einem morgens unter der Dusche eingefallen ist. Im Blog steht das, was man dort veröffentlicht. Aber das Medium bestimmt nicht die Qualität! Nur weil ein Beitrag in einer “normalen” Zeitung oder einer “normalen” Fernsehsendung erschienen ist, ist er deswegen nicht automatisch besser als ein Text in einem Blog oder ein Video auf YouTube. Es kommt darauf an, wer den Beitrag erstellt und vor allem wie das geschieht. Und da können es oft gerade die Blogger sein, die sich nicht an Redaktionsschluss, vorgegebene Artikellängen oder “quotenrelevante” Themen halten müssen und stattdessen lange, ausführlich und detailliert recherchierte Texte schreiben, die man in einer Zeitung niemals unterbringen würde.
Ein Blog ist einfach nur ein Medium. Ob dort Journalismus stattfindet, hängt nur von den Autoren ab! Der “Mehrwert” taucht nicht automatisch auf, nur weil der Text von einem offiziellen Journalist erstellt worden ist. Den “Mehrwert” gibt es dann, wenn man gute Arbeit leistet – egal ob man Blogger oder Journalist ist. Und wenn man nicht ordentlich arbeitet, dann gibt es eben keinen Mehrwert, sondern Unsinn. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass sich die Bundespressekonferenz von “Neutrino Inc.” unterstützen lässt. Ob die Entscheidung dazu wohl jemand morgens während des Duschens gefällt hat?
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