Weltuntergangspropheten sind ärgerlich. Egal ob sie selbst an ihre apokalyptischen Visionen glauben oder einfach nur Wichtigtuer sind: Sie finden immer Menschen, die ihnen glauben und wissen, diesen Glauben und vor allem die Angst der Gläubigen auszunutzen. Das ganze Elend wird durch die Dynamik der sozialen Medien verstärkt, wo viel zu viele Leute jeden Unsinn kritik- und bedenkenlos weiterverbreiten, solange er nur spektakulär genug klingt. Die Spinnereien weniger, die früher kaum Aufmerksamkeit bekommen hätten, werden so zu einem Phänomen der Massen, das vielen Menschen ganz reale Angst einjagt. Wie gesagt: Weltuntergangspropheten sind ärgerlich. Besonders ärgerlich sind sie immer dann, wenn sie astronomische Phänomene für ihre Prophezeiungen missbrauchen. Am Himmel gibt es so viele wunderbare und faszinierende Vorgänge zu beobachten und so viele interessante Dinge zu verstehen. Stattdessen macht man den Menschen Angst vor dem Universum und das ärgert mich als Astronom natürlich besonders. Ich habe mich schon damals im Jahr 2012 sehr bemüht, all die angeblichen Gefahren aus dem All die zum Weltuntergang am 21. Dezember 2012 führen sollten, zu erklären und zu entkräften. Aber natürlich kann die Realität der vielen, vielen gescheiterten Weltuntergangsvorhersagen die falschen Propheten nicht aufhalten. Sie finden immer neue Wege, den Menschen Angst einzujagen. Ganz aktuell sind es vier Mondfinsternisse, die angeblich auf ein Ende der Welt im September 2015 hin deuten sollen. Und selbstverständlich sind diese Vorhersagen der gleiche Unsinn wie alle bisherigen “Prophezeiungen”.
Diesmal sind es zur Abwechslung wieder mal die religiösen Spinner, die das nahende Ende der Welt gesehen haben wollen. Schon im Mai 2011 ist ja der Prediger Harold Camping mit seiner Vorhersage des Weltuntergangs spektakulär gescheitert. Aber so was kann die Fundamentalisten nicht irritieren und in der Bibel findet sich immer genug Material, dass man entsprechend apokalyptisch umdeuten kann. Zum Beispiel den Satz aus der Apostelgeschichte 2:20:
“[D]ie Sonne soll sich verkehren in Finsternis und der Mond in Blut, ehe denn der große und offenbare Tag des HERRN kommt.”
Diese mittlerweile “Blood Moon Prophecy” genannte Aussage soll den christlichen Predigern Mark Biltz und John Hagee nach auf ein Ende der Welt im Herbst diesen Jahres hindeuten. Denn dann endet eine sogenannte Tetrade, also eine Serie von vier aufeinanderfolgenden Mondfinsternissen innerhalb von zwei Jahren, ohne partielle Finsternisse dazwischen. Die erste dieser Serie fand am 15. April 2014 statt; die zweite am 8. Oktober 2014. Beide waren von Europa aus nicht sichtbar. Am 4. April 2015 folgt die nächste Mondfinsternis der Tetrade die am 28. September 2015 mit der vierten Finsternis beendet sein wird. Diese letzte Verdunkelung des Mondes wird auch von Europa aus sichtbar sein und vermutlich ein besonders schöner Anblick, da der Mond an diesem Tag auf seiner Bahn um die Erde uns besonders nahe steht.
Kurzer Einschub: Wenn der Vollmond der Erde besonders nahe steht, dann wird das (leider) oft als “Supermond” bezeichnet und ebenfalls gerne als Anlass für diverse Katastrophenszenarien missbraucht. Warum das Unsinn ist habe ich schon oft erklärt. Die Bahn des Mondes um die Erde ist kein exakter Kreis und darum ist er unserem Planeten immer wieder mal ein wenig näher und mal ein wenig ferner. Er ist jeden Monat einmal besonders nahe und ab und zu ist zu diesem Zeitpunkt eben auch ein Vollmond. An den physikalischen Eigenschaften wie der auf die Erde ausgeübten Gravitationskraft ändert sich dadurch nichts. Der Vollmond ist der gleiche Mond wie auch sonst; während der Mondphasen ändert sich ja nur unser Blickwinkel auf die von der Sonne beleuchteten Seite und wir sehen mehr oder weniger davon. Ein “Supermond” ist ein schöner Anblick, weil er am Himmel ein wenig heller und dramatischer erscheint. Aber definitiv kein Grund, Angst zu haben. Und da es eine Mondfinsternis immer nur dann geben kann, wenn gerade Vollmond herrscht (nur dann stehen Sonne, Erde und Mond in der korrekten Stellung für eine Finsternis), ist es nicht überraschend, wenn auch mal eine “Supermond-Finsternis” stattfindet.
Diese Tetrade an Mondfinsternissen zwischen April 2014 und September 2015 soll nun also ein himmlisches Zeichen sein, dass uns auf die Wiederkehr Jesus und den darauf folgenden Weltuntergang vorbereiten soll. Behaupten zumindest Mark Biltz und John Hagee, der darüber sogar ein Buch geschrieben hat (das unverständlicherweise in den USA zu einem Bestseller wurde). Denn bei einer Mondfinsternis erscheint der Mond tatsächlich “in Blut”, also leicht rötlich gefärbt. Das liegt aber daran, dass auch bei einer Finsternis ein wenig Licht auf den Mond fällt. Und zwar Licht, dass von der Erde aus zu unserem Begleiter reflektiert wird. Und wenn das die äußeren Schichten unserer Atmosphäre durchdringt, wird es ein wenig gestreut. Rotes Licht allerdings nicht so stark wie die blauen Anteile und darum erscheint der Mond rötlich (das ist das gleiche Phänomen, dass auch Sonnenuntergänge so schön rot-orange aussehen lässt).
Jede Mondfinsternis färbt den Mond rötlich; das ist nicht weiter außergewöhnlich und war auch schon vor vielen hundert Jahren bekannt, als die Menschen die Texte der Bibel verfasst haben. Nicht finster wird bei einer Mondfinsternis übrigens die Sonne. Der oben zitierte Satz aus der Apostelgeschichte beschreibt also sowohl eine Sonnenfinsternis als auch eine Mondfinsternis. Oder etwas ganz anderes, metaphorisches. Aber egal, haben sich Biltz und Hagee gesagt: Denn die vier Mondfinsternisse der aktuellen Tetrade fallen alle auf wichtige jüdische Feiertage! Das kann doch nur ein wichtiges, göttliches Zeichen sein, oder nicht?
Ja, es stimmt, dass im April das Pessach-Fest stattfindet und im September/Oktober Sukkot, das “Laubhüttenfest”. Aber auch das ist nicht so dramatisch, wie es klingen mag. Der jüdische Kalender ist ein Mondkalender und orientiert sich mit seinen Feiertagen selbst an den Mondphasen. Übereinstimmungen zwischen jüdischen Feiertagen und den nur bei Vollmond möglichen Mondfinsternissen sind also zu erwarten und zwar um so mehr, als Feste wie Pessach und Sukkot nicht nur an einem einzigen Tag stattfinden, sondern sich über mehrere Tage verteilen. Das erhöht die Chancen auf eine Tetrade die mit den Feiertagen zusammenfällt. Das letzte Mal war das in den Jahren 1967/1968 der Fall; davor ist es 1949/1950 geschehen. Denn auch die Tetraden sind keine extrem seltenen Ereignisse, es gibt sie immer wieder. 2003/2004 fand zum Beispiel eine statt und die nächste folgt in den Jahren 2032/2033.
In den zwei Jahrtausenden, in denen das Christentum existiert, gab es insgesamt 62 Tetraden und acht davon fielen mit jüdischen Feiertagen zusammen. Und die Welt ist davon kein einziges Mal untergegangen. Hätte es vor zweitausend Jahren in Israel schon Astronomen gegeben, die das Auftreten von Mondfinsternissen in der fernen Zukunft exakt genug berechnen hätten können, dann hätte sie die aktuelle Tetrade vermutlich auch wenig interessiert. Denn weder die beiden Mondfinsternisse des letzten Jahres noch die April-Mondfinsternis im Jahr 2015 ist von Israel aus sichtbar. Nur die Finsternis im September kann dort vor Sonnenaufgang kurz beobachtet werden. Wenn das tatsächlich ein Zeichen Gottes für sein außererwähltes Volk sein soll, war es ein ziemlich schlechtes Zeichen. Aber natürlich kann man alle vier Finsternisse von Nordamerika aus beobachten und dort sind (Fernseh)Prediger wie Hagee und Biltz ja eifrig damit beschäftigt, die (leicht)gläubigen Massen dazu zu überreden, ein wenig Geld zu spenden, bevor die Welt endet…
Es gibt nicht den geringsten Grund, den wirren Visionen der Prediger irgendeinen Glauben zu schenken. An den vier aufeinanderfolgenden Mondfinsternissen ist nichts, was einem Angst einjagen sollte. Mit ausreichend kranker Fantasie kann man jeden religiösen Text (oder eigentlich jeden Text) als Anzeichen des nahenden Weltuntergangs uminterpretieren. Aber anstatt vor dem Himmel Angst zu haben, sollte man die Gelegenheit lieber nutzen, um sich über das zu freuen, was er uns bietet. Schaut nach oben! Betrachtet die Sterne, die Planeten, den Mond (oder den Kometen Lovejoy) und den ganzen Rest, der dort zu sehen ist. Der Nachthimmel ist nicht einfach nur eine dunkle Tapete mit ein paar hellen Flecken die sich über unseren Köpfen erstreckt. Dort draußen befindet sich das gesamte restliche Universum und es lohnt sich, einen Blick darauf zu werfen. Wir sind nicht mehr daran gewöhnt, dass der Himmel schön und beeindruckend aussehen kann, weil er das in unseren modernen lichtverschmutzten Städten auch meisten leider nicht mehr tut. Aber er IST es und es ist unendlich schade, dass so viele Leute so wenig Lust darauf haben, den Blick nach oben zu richten. Noch tragischer ist es, wenn Menschen wie Biltz und Hagee den Menschen Angst vor dem Himmel machen. Fallt nicht auf solche Spinner rein. Und schaut nach oben!
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