Dieser Artikel ist Teil der blogübergreifenden Serie “Running Research – Denken beim Laufen”, bei der es um die Verbindung von Laufen und Wissenschaft geht. Alle Artikel der Serie findet ihr auf dieser Übersichtseite
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Das Jahr 2014 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Und tatsächlich hat sich hier in Jena der Winter zumindest bis jetzt so gut wie nicht blicken lassen. Den Neujahrslauf vor zwei Wochen bin ich bei warmen 15 Grad im T-Shirt gelaufen und als ich mich vor kurzem für den Saaletal-Wintercrosslauf angemeldet habe, habe ich mich ebenfalls nicht auf winterliche Bedingungen eingestellt. Aber in den letzten beiden Tagen fielen die Temperaturen dann doch noch unter 0 Grad und es hat sogar ein wenig geschneit. Das USV-Sportzentrum im Jenaer Paradiespark hat sich heute Morgen also tatsächlich so präsentiert, wie man es für einen Wintercrosslauf erwarten würde: Kalt und schneebedeckt:

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Ich war gespannt, was mich erwarten würde. Ich laufe zwar ständig durch die Hügel und Wälder rund um Jena; einen offiziellen “Crosslauf” habe ich bis jetzt aber noch nicht absolviert. Die 8 Kilometer lange Wettkampfstrecke verläuft nicht über die normalen asphaltierten oder geschotterten Wege im Paradiespark, sondern über Stock und Stein am Rand des Universitätssportplatz entlang. Und damit es so richtig spannend wird, hat man auch noch zwei große Hügel inkludiert:

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Große Hoffnungen auf Plätze im vorderen Feld mache ich mir aber sowieso nicht; denn der Wintercrosslauf ist gleichzeitig auch die Wertung für die Thüringer Hochschulmeisterschaft und ich kann froh sein, wenn mich nicht allzu viele dieser jungen Läuferinnen und Läufer überrunden. Aber ich hab ja auch nicht vor, ein professioneller Sportler zu werden. Ich möchte nur ein wenig Laufen. Laufen, und Denken – denn das ist ja das Thema dieser Artikelserie. Und das Thema, das mich heute beim Crosslauf ständig beschäftigt hat, war Wasser. Nicht unbedingt so, wie man als Läufer üblicherweise darüber nachdenkt – denn da geht es meistens darum, dass man dringend Wasser zum Trinken braucht. Getrunken habe ich vor dem Wettkampf ausreichend und eine 8 Kilometer lange Strecke schafft man auch locker ohne Flüssigkeitszufuhr. Das Wasser war heute allerdings aus anderen Gründen essentiell. Es war genaugenommen im wahrsten Sinne des Wortes fundamental, denn es hat die Beschaffenheit der Strecke bestimmt.

Meine Laufkarriere ist ja noch recht jung; als ich letztes Jahr im März begonnen habe, regelmäßig zu laufen, war die Saison für Schnee und Eis schon vorbei. Ich bin erst in diesem Winter auch in der Kälte gelaufen und erst vor wenigen Wochen das erste Mal auf einer dünnen Schneedecke. Das ist eigentlich kein Problem. Es macht Spaß, durch eine verschneite Landschaft zu laufen und mit der richtigen Kleidung wird einem auch nicht kalt. Und sooo enorm dick war die Schneedecke ja heute auch nicht:

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Das Problem war nicht der Schnee an sich. Das Problem waren die anderen Erscheinungsformen des Wassers. Denn Wasser ist der einzige Stoff der auf der Erde unter Normalbedingungen in nennenswerten Mengen in allen drei Aggregatszuständen vorkommt. Das ist höchst außergewöhnlich! Wir sind so sehr daran gewöhnt, das Wasser mal gefroren, mal flüssig und mal als Dampf anzutreffen, dass wir darüber meistens nicht weiter nachdenken. Aber das sollten wir tun!

Ich denke jetzt jedenfalls erst Mal über den Start nach. Das Rennen geht so los, wie alle Rennen: Hektisch. Ich hab ja schon in der letzten Folge erwähnt, dass ich Starts nicht sonderlich mag. Man muss zuerst ewig warten bis es los geht und sich dann im Gedränge eine halbwegs brauchbare Bahn freirempeln und dabei meistens noch ein Tempo laufen, dass schneller oder langsamer ist, als das, das man eigentlich gerne laufen würde. Dass es beim Wintercrosslauf unmittelbar nach dem Start einen steilen Hügel hinauf und gleich danach steil herab und um eine 180-Grad-Kurve herum geht, macht die Sache nicht einfacher. Aber nach etwa 200 Metern habe ich Platz zum Laufen und schlängle mich an Bäumen und Büschen vorbei über die erste lange Gerade der ein Kilometer langen Runde. Es lässt sich gut laufen; die Temperaturen liegen bei etwa -4 Grad und der Untergrund ist zwar von Schnee bedeckt, aber gefroren und fest.

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Eigentlich ideale Bedingungen, was das Wasser angeht: Es steckt in Form von Eis im Untergrund und der darüber liegende Schnee (der ja ebenfalls nichts anderes ist als gefrorenes Wasser) sorgt dafür, dass es nicht zu rutschig ist. Ich würde zwar lieber bei wärmeren Frühlingstemperaturen laufen anstatt bei Minusgraden über gefrorenen Boden. Aber so bietet sich die Möglichkeit, darüber nachzudenken, wie faszinierend die Existenz von Wassereis eigentlich ist. Zumindest bietet sich die Möglichkeit in den kurzen Phasen, in denen ich nicht auf das Rennen achten muss. Da die Strecke nur einen Kilometer lang ist und achtmal durchlaufen werden muss; jede Menge Kurven, Hügel und andere Hindernisse hat und auch viele langsame Läuferinnen und Läufer dabei sind, die ziemlich bald überrundet werden müssen, bleibt eigentlich wenig Zeit übrig, um über die Chemie des Wassers nachzudenken. Aber ich tue es trotzdem, denn es ist wirklich faszinierend!

Ich hab erst vor wenigen Tagen für einen anderen Artikel ein wenig über Wasser recherchiert und bin dabei auf eine Information gestoßen, die mir so noch nicht bewusst war: Vergleicht man das Wassermolkelül mit anderen Molekülen die eine ähnliche Masse haben, dann sollte es eigentlich schon bei minus 80 Grad Celsius kochen! Unter den Normalbedingungen auf der Erde dürfte es also eigentlich nur gasförmiges Wasser geben und kein flüssiges Wasser und schon gar kein Eis!

Momentan könnte ich auch gut auf das Eis verzichten, denn ein kleines Stück der Runde führt auch über den Kunststoffbelag der Laufbahn des Sportplatzes und die ist von einer Eisschicht bedeckt, die das Laufen enorm schwierig macht.

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Aber nach diesem rutschigen Stück und dem steilen Hügel bin ich wieder auf der langen Geraden und erinnere mich daran, was der Grund für dieses besondere Verhalten des Wassers ist: Die Wasserstoffbrückenbindungen. Beziehungsweise probiere ich mich daran zu erinnern, denn ich leider gehört die Chemie zu meinen Schwachpunkten. Der Chemieunterricht in meiner Schule war nicht sonderlich gut und wir haben nicht wirklich viel gelernt. Soweit ich glaube, es verstanden zu haben, geht es bei diesen Wasserstoffbrückenbindungen um die Größe und elektrische Ladung der beiden Wasserstoff- und des einen Sauerstoffatoms, aus denen ein Wassermolekül besteht. Die drei Atome können sich nur in einer ganz speziellen Konfiguration zusammenfinden. Die Elektronen in den Atomhüllen, die für die Verbindung zwischen Wasserstoff und Sauerstoff sorgen, sind nicht gleichmäßig verteilt und so können auch zwischen den einzelnen Molkülen elektrische Anziehungskräfte wirken: das sind die Wasserstoffbrückenbindungen (sollte das nicht stimmen oder falsch/missverständlich erklärt sein, freue ich mich über Korrekturen von chemisch begabten Leserinnen und Lesern!).

Die Wassermoleküle bilden durch diese Kräfte sogenannte “Cluster” und wenn man Wasser zum schmelzen oder zum sieden bringen will, muss man zusätzlich Energie aufwenden, um diese Bindungen aufzubrechen. Darum siedet Wasser eben nicht bei minus 80 Grad, sondern bei 100 Grad und darum kann es auch gefroren auf der Crosslauf-Strecke im Boden stecken und mir auf die Nerven gehen.

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Obwohl sich die Sache mit dem Eis ja mittlerweile erledigt hat. Ich bin nun schon in der vierten Runde und mir fallen verschiedene Dinge auf: 1) Ich habe wie üblich zu schnell begonnen und mir gehen langsam die Kräfte ein wenig aus. Vorgestern habe ich im Training noch das erste Mal die 5 Kilometer unter 20 Minuten geschafft und heute kann ich froh sein, wenn ich meinen Pace unter 4:15 min/km halten kann (aber wahrscheinlich war es einfach eine schlechte Idee, einen Tag vor dem Rennen eine neue persönliche Bestleistung aufstellen zu wollen). 2) Trotzdem ich langsamer bin als geplant haben mich überraschend wenig Läufer überholt. Alle, die vor mir sind, waren auch schon kurz nach dem Start vor mir. Während des Rennens sind bis jetzt nur drei Leute an mir vorbei gezogen. Scheinbar bin nicht nur ich langsamer geworden, sondern auch alle anderen. Und das liegt wohl daran, dass 3) der Schnee und das Eis auf der Strecke mittlerweile völlig verschwunden sind, die jetzt im wesentlichen aus Matsch besteht!

Auf gerader Strecke stört das nicht so, aber die beiden Hügel lassen sich nur noch mit viel Anlauf hoch und äußerst zögerlich und langsam runter laufen. Und in den Kurven rutscht man nun im Matsch stärker als vorher auf dem Eis. Das Eis ist jetzt flüssig geworden und keine Wasserstoffbrückenbindung kann verhindern, dass auch die Strecke immer flüssiger wird. Das Wort “Bindung” ist sowieso ein wenig irreführend. Diese “Wassercluster” sind keine stabilen oder dauerhaften Gebilde. Sie existieren nur ein paar Billionstel einer Sekunde, bevor sie zerfallen und sich neu bilden. Das ist auch der Grund, warum Wasser keine “Informationen” speichern kann – auch wenn diverse Esoteriker und “Wasserbeleber” gerne etwas anderes behaupten. Selbst wenn man Wasser irgendwie “informieren” könnte, hätte es diese Information blitzschnell wieder vergessen.

Vergessen kann ich auch das Ziel für dieses Rennen, nicht überrundet zu werden. Der Spitzenläufer (der am Ende nach 28:21 Minuten ins Ziel kommen wird) hat mich in der sechsten Runde eingeholt… Aber auch wenn ich mittlerweile noch langsamer geworden bin, hab ich zumindest auch schon einige Läufer überrundet. Und jetzt ist es auch nicht mehr weit ins Ziel und das ist auch gut so. Meine Kräfte lassen immer mehr nach und die Strecke wird wirklich enorm fies zu laufen. Es ist alles voller Matsch und selbst wenn ich körperlich noch könnte, wäre es an vielen Stellen vermutlich nur schwer möglich, schneller zu laufen.

Aber so oder so: Am Ende komme ich dann doch noch an und sogar noch in 34:45 Minuten. Platz 29 in der Gesamtwertung (23 in der Altersklassenwertung, die hier aber alle über 18jährigen Männer inkludiert und nicht weiter aufgesplittet ist). Angesichts der Hochschulmeisterschaft eigentlich gar nicht so schlecht! Ich bin auf jeden Fall zufrieden und durstig! Es wird Zeit, für Wasser in seiner flüssigen Form; am besten noch mit ein paar Aromastoffen angereichert. Zum Glück hatte ich eine entsprechende Flasche eingepackt:

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Übers Wasser gäbe es noch viel zu erzählen. Die “Dichteanomalie” zum Beispiel, die dafür sorgt, dass sich Eis immer an der Wasseroberfläche befindet und ohne die das Leben auf der Erde vielleicht gar nicht möglich wäre. Oder den immer noch ungeklärten Mpemba-Effekt. Oder die vielen Formen, in denen Wasser außerhalb der Erde existiert. Aber der 8km Wintercrosslauf war zu kurz, zu kompliziert und zu anstrengend, um sich über all das auch noch Gedanken zu machen. Um ausreichend detailliert über Wasser nachdenken zu können, müsste man wohl mindestens einen Marathon laufen…

wertung

Kommentare (12)

  1. #1 JW
    24. Januar 2015

    Ich sag nur: Cross-Spikes und 9er Dornen. Länger macht bei Eis keinen Sinn.
    Schlimmer, und da kann ich aus eigener Erfahrung berichten, ist Eiswasser auf gefrorenem Boden. Ich hatte noch nie so kalte Füße, das war kurz vor Erfrierungen…

  2. #2 Florian Freistetter
    24. Januar 2015

    @JW: “Ich hatte noch nie so kalte Füße, das war kurz vor Erfrierungen…”

    Naja, so dramatisch war es bei mir nicht. Fies ist es nur, wenn man querfeldein läuft und dann durch dünne Eisdecken in Pfützen einbricht, die man nicht gesehen hat, weil Schnee drüber lag. Das gibt dann auch kalte Füsse, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann 😉

  3. #3 rolak
    24. Januar 2015

    noch viel zu erzählen

    Ob das Phänomen einen Namen hat weiß ich nicht und gelaufen sind wir damals auch nur in dem Sinne, daß wir zu Fuß unterwegs waren. An einem klirrkalten Morgen war das (gewesene) Wasser im Wald(weg)boden 5-8cm in Säulen nach oben gewachsen, ähnlich wie beim Devils Postpile die Steine, nur mit etwas mehr relativem Abstand untereinander.
    Sehr fragil, in höchsten Tönen unter den Schritten quietschend-knirschend, teppichweich nachgebend, bisher nur einmal wieder erlebt, scheint nur unter eher seltenen Rahmenbedingungen vorzukommen.

  4. #4 los-bartos
    25. Januar 2015

    Ich finde die Idee mit der Serie “Running Research – Denken beim Laufen” eine ziemlich coole Idee. Bin schon auf die weiteren Artikel gespannt und werde selber beim laufen auch mal bewusster auf die Umgebung achten.

    Zu der Ausbildung der Wasserstoffbrücken kann ich vielleicht noch etwas beitragen.
    Entscheidend für die Ausbildung der Wasserstoffbrückenbindungen ist die stark unterschiedliche Elektronegativität von Wasserstoff und Sauerstoff. Die Elektronegativität ist die Stärke, mit der die Atome Elektronen zu sich ziehen. Bei Sauerstoff ist sie sehr hoch, bei Wasserstoff sehr niedrig. Das Sauerstoffatom zieht die Elektronen, die die chemische Bindung zwischen ihm und den Wasserstoffatomen darstellen, zu sich hin. Dadurch entsteht eine Polarisierung des Moleküls, das ja aus Ursprünglich elektrisch neutralen Atomen besteht. An den Wasserstoffatomen befindet sich eine positive Polarisierung und am Sauerstoff eine negative. Die Wassermoleküle richten sich dadurch wie Magnete aus. Wenn die Bewegungsenergie, also die Temperatur, einen bestimmten Wert unterschreitet, reicht sie nicht mehr aus, um die “Magnete” durcheinander zu schütteln und es entsteht die kristalline Eisstruktur.

  5. #5 Marcus
    25. Januar 2015

    Die Wasserstoffbrückenbindung hast du sehr gut erklärt. Diese Wechselwirkungen können auch mit Stickstoff oder Fluor auftreten. Eine anderer interessanter Umstand zur Anomalie: festes Wasser verflüssigt sich bei gleichbleibender Temperatur und starker Erhöhung des Druckes wieder. Bei hohen Drücken und niedrigen Temepraturen drängen sich die Atome in der Regel eher zusammen, beim Wasser hingegegen treiben sie wieder auseinander.

  6. #6 gaius
    26. Januar 2015

    @ rolak

    Das erinnert mich an zwei Spektrum-Artikel (leider nur die Artikelanfänge frei zugänglich):

    https://www.spektrum.de/alias/schlichting/eiszapfen-die-gen-himmel-wachsen/1061773
    https://www.spektrum.de/alias/naturbeobachtung/blueten-und-baender-aus-eis/1214050

    Abgefahrene Sache. Deine Beobachtung hört sich eher nach dem ersten Effekt an.

  7. #7 Franz
    26. Januar 2015

    Und wegen der Dipole funktioniert auch die Mikrowelle, quasi eine Wasserschaukel.
    Ich hab mich früher auch immer gefragt warum das schwere CO2 gasförmig ist, das leichte H2O aber nicht.

  8. #8 Kyllyeti
    26. Januar 2015

    Das im zweiten Link von @gaius besprochene Phänomen ist hierzulande unter dem Begriff Haareis bekannt. Nach aktuellem Stand der Forschung ist dafür ein Pilz im Totholz wesentlich verantwortlich. (Dies hatte übrigens vor fast hundert Jahren auch schon Alfred Wegener vermutet.)

    Im Netz sind übrigens sehr schöne Bilder zu finden – einfach mal die Suchmaschine mit ‘Haareis’ beschäftigen 😉

  9. #9 rolak
    26. Januar 2015

    Haareis

    War zwar nicht das von mir ‘entdeckte’, Kyllyeti, doch von dort aus ging es ruckzuck und sprachlich erstaunlich naheliegend zum Richtigen, dem KammEis. Schönen Dank für die Aufklärung.

  10. #10 Alderamin
    26. Januar 2015

    @los-bartos

    Schön erklärt. Als Zusatzinformation sollte man noch erwähnen, dass die Wassermoleküle nicht (wie etwa CO2 mit seinen beiden Doppelbindungen) eine Linie, sondern einen Winkel bilden, so dass die Wasserstoffatome auf einer Seite und das Sauerstoffatom auf der gegenüberliegenden Seite angeordnet sind. Dadurch erst kann sich ein Dipol ausbilden. CO2 kann das nicht.

  11. #11 los-bartos
    26. Januar 2015

    Genau. Dieser Winkel kommt durch die beiden freien Elektronenpaare am Sauerstoff zustande, die die Bindungselektronen zwischen Wasserstoff und Sauerstoff von sich weg stoßen.