Ich lese gerne Bücher über die Geschichte der Astronomie. Und da stößt man natürlich sehr oft auf diverse Astronomen, über die man mehr erfahren will. Meistens findet sich dann auch irgendwo eine Biografie mit weiterführenden Informationen. Es sei denn, der Astronom ist eine Astronomin. Denn auch die findet man in der Wissenschaftsgeschichte immer wieder und sie sind leider lange nicht so prominent wie ihre männlichen Kollegen. Ich hatte eigentlich vor, das Jahr 2015 für eine monatliche Serie über Astronominnen zu nutzen und wollte eigentlich für jeden Monat eine entsprechende Biografie auswählen und vorstellen. Aber leider habe ich feststellen müssen, dass es auf dem Buchmarkt sehr wenige biografische Bücher über Astronominnen gibt. Ich wollte mich ursprünglich auf deutschsprachige Ausgaben, die im normalen Handel erhältlich sind beschränken – aber nach ein wenig Recherche war ich froh, wenn ich überhaupt Bücher gefunden habe! Ich hoffe, es reicht am Ende für eine monatliche Serie; ein paar Bücher konnte ich dann doch noch auftreiben. Aber wenn ihr noch entsprechende Vorschläge habt, dann sagt bitte Bescheid! Die bisherigen Artikel dieser Serie findet ihr hier.
Wenn man den Namen “Herschel” hört, dann denkt man (sofern man mit dem Namen überhaupt irgendwas anfangen kann) meistens an Wilhelm Herschel. Durchaus zu Recht, denn immerhin war Herschel im 18. Jahrhundert der erste Mensch, der einen neuen Planeten im Sonnensystem entdecken konnte und damit gezeigt hat, dass das damalige Wissen über das Sonnensystem weit davon entfernt war, komplett zu sein. Vielleicht denken manche auch an John Herschel, seinen Sohn, der ebenfalls ein zu Recht berühmter Astronom wurde und unter anderem als einer der ersten die Sterne des südlichen Himmels vermessen hat. Aber den wenigstens wird der Name “Caroline Herschel” einfallen. Dabei hätte es die Schwester von Wilhelm und Tante von John durchaus ebenso zu Recht verdient, dass man sich an sie und ihre astronomischen Leistungen erinnert.
Über die männlichen Herschels kann man in vielen Büchern lesen, aber eine speziell Caroline gewidmete Biografie ist nicht leicht aufzutreiben. Neben diversen kurzen Beiträgen in Zeitschriften und den (immerhin auf deutsch erhältlichen) Briefen von Caroline*, habe ich nur ein Buch gefunden. Es ist nur auf englisch zu bekommen, wurde von Claire Brock geschrieben und heißt “The Comet Sweeper: Caroline Herschel’s Astronomical Ambition”*.
Herschel (und wenn ich hier von “Herschel” spreche, dann meine ich immer Caroline und nicht Wilhelm oder John!) wurde am 16. März 1750 in Hannover geboren und wenn man sich ihr frühes Leben ansieht, dann erscheint es unglaublich, dass sie später wichtige Beiträge zur Astronomie leisten würde. Sie war das jüngste Kind mit einer sehr viel älteren Schwester und vier älteren Brüdern. Dazu kam eine Mutter, die nicht sonderlich gebildet war und auch kein Interesse hatte, ihrer jüngsten Tochter eine entsprechende Bildung zukommen zu lassen. Caroline war im wesentlichen die Familiensklavin, die die Hausarbeit für alle anderen erledigen musste und ansonsten ignoriert wurde. Sie bekam eine grundlegende Schulbildung, aber das war es dann im wesentlichen auch schon. Der männliche Teil der Familie war im Musikgeschäft und Wilhelm, der einzige der noch ein wenig für seine kleine Schwester übrig hatte, ging irgendwann nach England, um dort als Komponist und Musiklehrer zu arbeiten. In Hannover stellte sich Caroline auf ein Leben als unverheiratetes Dienstmädchen ihrer Mutter ein, obwohl sie immer wieder probierte, irgendwie unabhängig zu werden (Versuche, die durch die von ihrer Familie an sie gestellten Ansprüche nie erfolgreich waren).
1772, als sie 22 Jahre alt war, lud sie ihr Bruder Wilhelm nach England ein. Er wollte ihr eine Chance geben, sich dort als Sängerin ein unabhängiges Leben aufzubauen. Aber er wollte sie auch als Haushälterin… und den Job erledigte Caroline genau so gehorsam wie sie ihn in Hannover erledigt hatte. Aber tatsächlich unterstützte sie Wilhelm auch dabei, ihre Gesangsausbildung voranzutreiben. Sie absolvierte ihre ersten Auftritte und war dabei durchaus erfolgreich. Die Hausarbeit aber erlaubte es ihr nicht, ausreichend Zeit für eine eigene Karriere aufzuwenden. Aber Wilhelm, mit dem gemeinsam Caroline immer auftrat, war mittlerweile sowieso immer weniger an der Musik interessiert und viel mehr an seinem “Hobby”, der Astronomie. Er konstruierte eigene Teleskope, die besser waren als alles, was die professionellen Astronomen der damaligen Zeit zur Verfügung hatte. Und genau so wie Caroline ihren Bruder zuvor als Haushälterin gedient hatte, arbeitete sie nun als Assistentin bei seinen astronomischen Untersuchungen. Sie schliff Teleskopspiegel, kopierte Forschungsartikel, schrieb Daten auf und notierte Beobachtungen. Wilhelm brachte ihr dazu auch die entsprechenden mathematischen Fähigkeiten bei und Caroline erwies sich als genauso für die Wissenschaft begabt wie für die Musik.
Als Wilhelm dann 1781 den Planeten Uranus entdeckte, wurde er schlagartig berühmt und konnte sich ganz auf die Astronomie konzentrieren. Er bekam eine Stellung als Astronom des Königs und Caroline wurde als seine Assistentin eingestellt. Sie half ihm weiterhin bei seiner Arbeit, hatte aber auch ihr eigenes Teleskop, mit dem sie in ihrer knapp bemessenen freien Zeit eigene Projekte verfolgte. Sie durchmusterte den kompletten Himmel auf der Suche nach den “Nebeln”, von denen man damals noch nicht wusste, worum es sich handelt (heute wissen wir, dass es entweder ferne Galaxien oder näher gelegene interstellare Gaswolken bzw. Sternhaufen sind). Sie konnte den existierenden Katalogen 14 neue Objekte hinzufügen (immerhin ein Zuwachs von 5 Prozent!). Sie entdeckte gleich acht neue Kometen. Sie fertigte Kataloge mit Sternpositionen an. Sie veröffentlichte den ersten Zonenkatalog. Und bekam zumindest aus der damaligen Fachwelt die entsprechende Anerkennung für ihre Arbeit (unter anderem von Carl Friedrich Gauß). Nach dem Tod ihres Bruders im Jahr 1822 kehrte Caroline nach Hannover zurück. Dort arbeitete sie weiter an astronomischen Themen, sortierte den wissenschaftlichen Nachlass von Wilhelm und ermöglichte mit diesen Daten auch ihrem Neffen John den Start seiner eigenen großen Karriere.
Offizielle Ehrungen kamen erst spät in Carolines Leben. 1828 bekam sie die Goldmedaille der britischen Royal Astronomical Society und wurde 1835 als erste Frau als Ehrenmitglied dort aufgenommen. 1838 wurde sie Mitglied in der irischen Royal Astronomical Society. Für eine Ehrung aus ihrem Heimatland Deutschland musste sie bis 1846 (da war sie 96 Jahre alt) warten, bevor ihr die goldene Medaille der Preußischen Akademie der Wissenschaften verliehen wurde. Aber trotz allem steht Caroline heute immer noch im Schatten ihres großen Bruders. So wie viele andere Frauen hat sie maßgebliche wissenschaftliche Arbeit geleistet ohne dafür im gleichen Ausmaß öffentlich anerkannt zu werden, wie ihre männlichen Kollegen. Wilhelm Herschel kennt man heute immer noch; seine Schwester Caroline dagegen ist aus den Augen der Öffentlichkeit mehr oder weniger verschwunden. Das ist schade – und ich würde mir wünschen, es würde zumindest ein bisschen mehr aktuelle, allgemeinverständliche und vor allem ansprechende und inspirierende Literatur zu ihrem Leben und ihrer Arbeit geben. Das Buch von Brock ist zwar durchaus interessant, aber nicht unbedingt fesselnde Lektüre. Das Buch zieht sich ein wenig; hält sich sehr lange bei eher allgemeinen Themen wie den europäischen Bildungsystemen im 18. Jahrhundert auf und könnte mit Sicherheit spannender sein, als es ist. Aber wer ein Buch über das Leben von Caroline Herschel lesen will, der hat leider keine andere Wahl, als dieses Buch zu lesen.
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