Auf der Suche nach extrasolaren Planeten bei anderen Sternen wollen wir natürlich gerne Himmelskörper finden, die unserer eigenen Erde ähnlich sind. So eine “zweite Erde”, auf der die gleichen Bedingungen herrschen wie hier, wäre eine große Entdeckung und könnte uns helfen, die Frage nach der Existenz von außerirdischem Leben zu beantworten. Und mittlerweile haben wir auch schon sehr viele Planeten gefunden und wir wissen, dass es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit und der nötigen Technik sein kann, bis wir die zweite Erde tatsächlich entdecken. Aber wir haben auf unserer Suche auch jede Menge Planetensysteme gefunden, die völlig anders sind als das, was wir aus unserem Sonnensystem kennen. Es gibt Planeten, die zwei Sterne umkreisen. Es gibt winzige Planetensysteme. Es gibt uralte Planeten. Und vor allem haben wir überall bei anderen Sternen sogenannte Supererden gefunden. Von deren Existenz hatten wir zuvor keine Ahnung, weil sie in unserem Sonnensystem nicht existieren. Aber warum eigentlich?
Die acht Planeten unserer Sonne lassen sich schön in zwei Gruppen einteilen. Da sind einmal die vier kleinen Planeten mit fester, felsiger Oberfläche: Merkur, Venus, Mars und Erde und unsere Erde ist von ihnen der größte und massereichste. Weiter entfernt von der Sonne finden wir vier große Gasplaneten ohne feste Oberfläche: Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Uranus ist der kleinste dieser “Gasriesen”, hat aber trotzdem noch die 15fache Masse der Erde. Dazwischen gibt es nichts – zumindest bei uns nicht. Bei anderen Sternen aber hat man mittlerweile viele Planeten gefunden, die kleiner als Uranus aber größer als die Erde sind. Diese Himmelskörper sind immer noch “erdähnlich” in dem Sinne, dass sie eine feste, felsige Oberfläche haben. Aber sie sind bis zu viermal größer als unser Planet und haben eine 10 bis 20 Mal größere Masse.
Supererden scheinen zum Standardinventar des Universums zu gehören und es ist immer noch unklar, warum es sie anderswo so oft gibt aber nicht auch in unserem Sonnensystem. Französische Astronomen haben nun eine mögliche Antwort gefunden. André Izidoro vom Observatoire de la Côte d’Azur und seine Kollegen haben das Problem in ausführlichen Computersimulationen untersucht (“Gas giant planets as dynamical barriers to inward-migrating super-Earths”) und sind dabei auf einen interessanten Effekt gestoßen.
Um zu verstehen worum es geht, muss man sich zuerst mit der Entstehung von Planeten beschäftigen. Die allgemeinen Grundlagen sind mittlerweile recht gut verstanden: Planeten bilden sich in einer großen Scheibe aus Gas und Staub, die einen jungen Stern umgibt. Die Staubteilchen klumpen im Laufe mehrerer Millionen Jahre zusammen und bilden so immer größere Strukturen. Zuerst entstehen große, felsige Protoplaneten die entweder weiterwachsen können oder nicht. Was genau passiert, hängt davon ab, wo man sich befindet. In jedem Planetensystem gibt es eine sogenannte “Schneelinie”. Auf der einen Seite der Schneelinie, in der Nähe des Sterns, ist es warm. Auf der anderen Seite ist die Strahlung des Sterns schwächer und es ist kühl genug, dass leicht flüchtige Gase in Form von Eis vorliegen können. Dort gibt es also nicht nur Staub- sondern auch Eisbrocken, die den Planeten als zusätzliches Baumaterial zur Verfügung stehen. Hinter der Schneelinie können Planeten also schneller wachsen und größer werden. So groß, dass ihre eigene Gravitationskraft irgendwann ausreicht, um auch die ganzen in der Scheibe befindlichen Gase festzuhalten. Diese Planetenkerne legen sich dicke Atmosphärenschichten zu und werden zu den riesigen Gasplaneten. Auf der anderen Seite der Schneelinie dagegen entstehen nur kleine Planeten, wie die Erde oder die Venus.
So weit ist das Bild noch recht klar. Ein wenig kompliziert wird es durch die Tatsache, dass wir bei anderen Sternen viele Gasplaneten gefunden haben, die sich auf der falschen, sternnahen Seite der Schneelinie befinden. Die Existenz dieser “heißen Jupiter” hat die Astronomen auf das Phänomen der “planetaren Migration” gebracht: Die gravitative Wechselwirkung zwischen den jungen Planeten und den vielen Staubteilchen in der Scheibe um den Stern kann die Planeten wandern lassen (ich habe das hier ausführlich erklärt). Planeten müssen nicht dort bleiben, wo sie entstehen, sondern können näher an ihren Stern heran rücken.
André Izidoro und seine Kollegen haben nun folgenden Mechanismus postuliert: Angenommen, wir haben ein System, in dem gerade Planeten entstehen. Dann wird es dort diverse “Planetenkerne” geben, die so groß wie die Erde oder noch größer sind. Durch die Migration können diese potentiellen zukünftigen Supererden näher an den Stern rücken. Dabei werden sie weiter Staub, Eis und Gas einsammeln, anwachsen und können zu Gasriesen werden. Wenn nun aber gerade die innerste dieser Proto-Supererden zu einem Gasriesen wird, dann blockiert dieser große Planet den Weg der ihm folgenden Himmelskörper, die nun alle hinter der Schneelinie festsitzen und zu Gasplaneten werden. Ist der Weg dagegen frei, dann rauschen die Supererden quasi durch, auf die warme Seite der Schneelinie und bleiben dort, ohne zu Gasriesen zu werden.
Ob das nur eine gute Idee ist oder ob das auch wirklich funktionieren kann, haben Izidoro und seine Kollegen in umfangreichen Computermodellen untersucht. In fast 5000 Simulationen haben sie die Migration von Protoplaneten und ihre Folgen betrachtet. Die Ergebnisse bestätigen die Hypothese: Ein großer Planet an der Grenze der Schneelinie beeinflusst die Bewegung nachfolgender Supererden tatsächlich massiv. Bei ihrer eigenen Migration in Richtung Stern kommt es vor dem Gasriesen zu einem regelrechten Stau. Ihre Bahnen werden bei einer Annäherung an den großen Planeten entweder instabil und sie fliegen komplett aus dem System hinaus in den interstellaren Raum. Sie können aber auch durch gravitative Resonanzen eingefangen werden und bleiben dann im äußeren Bereich des Planetensystems. In einigen Fällen haben Izidoro und seine Kollegen aber auch sogenannte “Jumper” beobachtet. Das sind Supererden, die durch die gravitativen Störungen des großen Planeten in den sternnahen Bereich auf der anderen Seite der Schneelinie geworfen werden. Dort können sie dann entweder auf instabilen Bahnen in den Stern oder aus dem System stürzen. Oder sich noch einmal beruhigen und dann auf einer stabilen Bahn den Stern umkreisen. Wie oft solche “Jumper” auftreten können, ist ein Maß für die Stärke der Barriere, die der große Gasplanet darstellt (hängt aber auch natürlich davon ab, wie viele Supererden probieren, die Barriere zu überwinden und dem großen Planeten nahe kommen). In den Simulationen, die unserem Sonnensystem ähnelten, gab es nur in knapp 20 Prozent der Fälle einen “Jumper”.
Typische Ergebnisse der Computermodelle sehen so aus:
Man sieht hier wie sich der Abstand der Planeten vom Stern (y-Achse) im Laufe der Zeit (x-Achse) ändert. Die dicke schwarze Linie ist “Jupiter”, also der blockierende große Gasplanet. Die dünneren grauen Linien repräsentieren die Supererden. In der ersten Simulation im oberen Diagramm erkennt man schön, wie die Supererden zuerst alle friedlich immer weiter in Richtung Stern migrieren, bis sie dann auf die dicke schwarze Linie treffen und die Angelegenheit chaotisch sind. Einige werden sofort aus dem System geworfen (erkennbar an den Linien, die vertikal nach oben davon schießen). Andere beruhigen sich aber nach einiger Zeit wieder und nehmen stabile Bahnen außerhalb der Bahn des Gasriesen ein. Im oberen Diagramm haben von den 10 anfänglich vorhandenen Supererden am Ende zwei überlebt. Im unteren Diagramm sind es sogar drei und zusätzlich hat es eine Supererde auch geschafft, als “Jumper” auf die andere Seite der Schneelinie zu wechseln.
Das Modell ist also einigermaßen plausibel. Natürlich setzt es voraus, dass es immer der erste der nach innen rückende Planetenkerne ist, der zu einem großen Gasriesen wird und dann alles hinter ihm aufhält. Aber das ist nicht unwahrscheinlich, denn weiter außen in der Staub- und Gasscheibe bewegen sich die Teilchen alle sehr langsam, es kommt weniger oft zu Kollision und die Protoplaneten wachsen nicht so schnell. Weiter innen sind die Bedingungen besser. Darum ist ja auch bei uns Jupiter der größte der Planeten und befindet sich gleich hinter der Grenze der Schneelinie. Die weiter außen liegenden Planeten Uranus und Neptun konnten nicht so weit anwachsen, weil es ihnen an ausreichend Kollisionen gefehlt hat und noch weiter draußen waren Zusammenstöße zwischen den Staubteilchen so selten, dass gar keine Planeten mehr entstanden sind, sondern nur die vielen kleinen Asteroiden des Kuiper-Asteroidengürtels.
In dem Modell von Izidoro und seinen Kollegen wäre also Jupiter dafür verantwortlich, dass aus Uranus, Neptun und Saturn keine Supererden geworden sind. Bei dieser Idee wird vorausgesetzt, dass Supererden in den äußeren Bereichen eines Planetensystems entstehen und erst später durch Migration weiter nach Innen wandern. Es könnte natürlich auch sein, dass sie direkt im inneren Planetensystem entstehen, dort also, wo wir sie heute überall beobachten. Dann würde Izidoros Modell nicht funktionieren und die Frage nach dem Fehlen von Supererden in unserem Sonnensystem wäre immer noch ohne Lösung. Aber zum Glück lässt sich die Sache auch überprüfen. Der Vorschlag von Isidoro und seinen Kollegen sagt vorher, dass es in Planetensystemen mit Supererden keine (oder kaum) weiter außen liegende große Gasplaneten gibt. Das alternative Modell ohne Migration enthält keine solche Einschränkung. Wenn wir in Zukunft ausreichend Daten über die extrasolaren Planeten gesammelt haben, werden wir in der Lage sein, die Vorhersage zu bestätigen oder zu falsifizieren.
Es wäre auf jeden Fall gut zu wissen, warum unser Sonnensystem keine Supererde bekommen hat. Denn das ist ziemlich schade – man stelle sich vor, wir hätten statt des winzigen Mars einen riesigen “Supermars” in unserer kosmischen Nachbarschaft! Ich frage mich, ob die Entwicklung unseres astronomischen Wissens dann anders abgelaufen wäre, wenn wir die Supererden nicht erst vor kurzem überraschend bei anderen Sternen entdeckt hätten, sondern ihre Existenz immer schon mit eigenen Augen an unserem Himmel gesehen hätten?
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