Chemie ist, wenn es ordentlich knallt und stinkt. Das zumindest könnte man glauben, wenn man mit dieser Wissenschaft noch nie näher zu tun hatte und die Chemie nur aus den üblichen populären Darstellungen kennt. Da wird dann tatsächlich so gut wie immer irgendwas angezündet oder zur Explosion gebracht. Und das ist natürlich auch enorm beeindruckend und wenn man Wissen vermitteln will, muss man die Menschen auf die eine oder andere Art beeindrucken. Astronomen machen es ja nicht anders, wenn sie ihre Arbeit mit fantastischen Bildern des Universums präsentieren. Und bei der Chemie knallt es eben. Aber wenn Wissenschaftsvermittlung bei den “Explosionen” stehen bleibt, dann bringt sie nicht viel, sondern vermittelt ein falsches Bild. Genau das ist die These des Chemikers Andrea Sella, der kürzlich mit dem Michael-Faraday-Preis für die öffentliche Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse ausgezeichnet wurde. Der Vortrag, den er anlässlich der Preisverleihung gehalten hat, trägt den Titel “Is chemistry really so difficult?” und ihr solltet ihn euch unbedingt ansehen!
Natürlich beginnt auch Sella mit einer großen Explosion. Aber nimmt sie als Ausgangspunkt, um auf das grundlegende Problem bei der öffentlichen Darstellung der Chemie zu sprechen zu kommen.
“Wir haben die letzten 300 Jahre im wesentlichen damit verbracht, Dinge in die Luft zu jagen.”
sagt Sella, und fragt sich, wie das weiter gehen soll. Macht man immer größere und lautere Explosionen? (Sieht man sich Sendungen wie “Galileo” an, muss die Antwort darauf wohl “Ja!” lauten…) Und wenn ja, was ist die Botschaft, die damit vermittelt wird? Am Ende bleibt nur das übliche “Chemie ist laut, gefährlich und stinkt!” übrig. Sella verweist dabei auch auf den Titel des Buchs “Feuer und Flamme, Schall und Rauch: Schauexperimente und Chemiehistorisches”*, um zu zeigen, dass die Vermittlung von Chemie anscheinend tatsächlich nur aus dem Explosions-Blinkwinkel gesehen wird. Und das ist seiner Meinung nach ein großes Problem:
“Chemie ist eine überragende intellektuelle Errungenschaft unserer Zeit!”
meint Sella und wenn man sich nur auf die Explosionen beschränkt, dann kann man das nicht vermitteln. Er kommt auf die Astronomen, Biologen und Physiker zu sprechen, die ihre Forschung in den Kontext der wirklich “großen Fragen” stellen und merkt an, dass die im Grunde auch immer auf die eine oder andere Art chemische Fragen sind. “Wie ist das Leben entstanden?”, “Was passiert im Inneren der Sterne?” Und so weiter. Wenn ich hier im Blog begeistert über die Forschung der Raumsonde Rosetta und ihre Suche nach dem Ursprung des Lebens schreibe, dann ist das im wesentlichen auch eine chemische Frage. Chemie zeigt uns die Verbindung zwischen der belebten und unbelebten Materie, wie Sella erklärt.
Die Chemie hat in den letzten Jahrhunderten maßgeblich zur Erforschung all dieser Fragen beigetragen und wird doch immer nur als komplizierte und/oder langweilige Wissenschaft angesehen, die mit unverständlichen Formeln hantiert. “Chemie” ist mittlerweile fast schon zu einem Schimpfwort geworden. Nur Dinge “ohne Chemie” sind gut, gesund und menschenfreundlich; wenn irgendwo “Chemie drin ist”, dann sollte man besser die Finger davon lassen. In seinem Vortrag, den ich jetzt auch gar nicht weiter zusammenfassen will – seht ihn euch selbst an, er ist wirklich gut und ihr werdet Rüben danach mit ganz anderen Augen sehen! – erklärt Sella, wie wichtig die Chemie tatsächlich ist und das man sich bei ihrer Vermittlung nicht nur auf das reine experimentelle Beeindrucken beschränken sollte, sondern probieren muss, die ganze Geschichte zu erzählen.
Ich habe vor fünf Jahren schon mal einen Artikel mit dem Titel “Schreibt mehr Bücher über Chemie!” veröffentlicht. Darin habe ich erzählt, dass der Chemieunterricht in meiner Schule extrem mies war; ich so gut wie nichts gelernt habe und mittlerweile merke, wie viel ich dadurch verpasse. Es ist aber enorm schwer, wirklich gute populärwissenschaftliche Bücher über Chemie zu bekommen! Es gibt einige brauchbare Werke, die sich aber meistens darauf beschränken, lustige Anekdoten über die chemischen Elemente zu erzählen. Vergleicht man das mit den Büchern aus Physik und Astronomie, dann sieht man, was fehlt. “Eine kurze Geschichte der Zeit” von Stephen Hawking war nicht deswegen so enorm erfolgreich, weil Hawking darin so verständlich über Kosmologie schreibt. Ganz im Gegenteil – das Buch ist erschreckend unverständlich. Aber es erzählt eine faszinierende Geschichte und vermittelt den Lesern, was für tiefschürfende Fragen über das Universum man mit der ganzen unverständlichen Mathematik und Physik beantworten kann.
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