In diesem Fall aber war Simon Marius tatsächlich unschuldig. Und der Streit um die Priorität löst sich auf, wenn man genau auf die beiden Entdeckungsdaten blickt. Marius hatte die Monde am 29. Dezember 1609 entdeckt. Diese Angabe bezieht sich aber auf den julianischen Kalender, der damals eigentlich schon veraltet war. Denn im Jahr 1582 hatte Papst Gregor XIII den neuen und verbesserten gregorianischen Kalender eingeführt. Der hatte sich aber noch nicht überall in Europa durchgesetzt (wie ich in Folge 101 der Sternengeschichten erzählt habe). Galileo dagegen hat den neuen Kalender schon benutzt. Rechnet man beide Angaben in den gregorianischen Kalender um, dann machte Galileo Galilei seine Entdeckung am 7. Januar 1610 und Marius stellte seine Beobachtungen am 8. Januar 1610 an. Also einen Tag später. Galilei war tatsächlich der erste, der die Jupitermonde entdeckte. Aber das soll die Leistung von Marius nicht schmälern, denn wie man heute weiß, hat er seine Beobachtungen nicht nur unabhängig von Galilei gemacht, sondern sie waren teilweise auch noch viel genauer als die seines italienischen Kollegen.
Marius beobachtete – so wie Galilei – auch die Phasen der Venus und war so wie Galilei einer der ersten, der die Sonnenflecken entdeckte. Was die Beobachtungen angeht, war er ein mindestens so fähiger Astronom wie sein heute berühmter Zeitgenosse. Das Marius Name im Laufe der Zeit in Vergessenheit geriet, hat mehrere Gründe. Der Prioritätsstreit um die Entdeckung der Jupitermonde war sicherlich einer davon. Die Angriffe von Galilei verhinderten, dass er für seine Arbeiten auch den ihm gebührenden Rum ernten konnten. Marius war – im Gegensatz zu Galilei – aber auch viel konservativer, was die Interpretation seiner Beobachtungen anging. Wo Galilei vehement für das heliozentrische Weltbild eintrat, was ihm die bekannten Schwierigkeiten mit der katholischen Kirche einbrachte, zog sich Marius auf einen Kompromiss zurück. Er war ein Anhänger des nach Tycho Brahe benannten tychonischen Weltbilds. In diesem Modell kreisen die Planeten tatsächlich auch um die Sonne. Die Sonne selbst und auch der Mond bewegen sich aber so wie im alten geozentrischen Weltbild um die Erde. Das war zwar viel komplizierter und nicht so elegant wie das sonnenzentrierte Modell. Aber zumindest mit den damaligen Beobachtungsdaten konnte es nicht völlig ausgeschlossen werden.
Marius verbrachte den Rest seines Lebens in Franken, wo er am 26. Dezember 1624 in Ansbach starb. In seiner Zeit wurde er nur von seiner Heimatstadt Gunzenhausen geehrt. Heute hat die Internationale Astronomische Union immerhin einen Mondkrater und ein paar andere Landschaftsmerkmale auf dem Mond nach ihm benannt. Außerdem gibt es einen Asteroiden, den Namen Marius trägt. Und dann sind da noch die Jupitermonde! Bis ins 20. Jahrhundert hatten sie keine wirklich schönen offiziellen Namen. Man sie einfach mit den Zahlen 1 bis 4 durchnummeriert. Diese eher unkreative Benennung stammte noch von Galileo Galilei selbst. Er weigerte sich standhaft, die Namen zu verwenden, die sein Kollege Simon Marius als erster vorgeschlagen hat. Der wollte sie Io, Europa, Ganymend und Callisto nennen. Und genau so heißen sie heute – auch wenn die wenigsten wissen, dass diese Namen auf den Astronom aus Franken zurück gehen…
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