Robert Wilson war im Jahr 1964 allerdings nicht darauf aus, eine neue Kosmologie zu begründen oder in den Streit zwischen Urknall-Theorie oder Steady-State-Universum einzugreifen. Gemeinsam mit Arno Penzias arbeitete er bei den Bell Laboratories und beobachtete mit einer großen Radioantenne den Himmel. Ihre Vermessung der Milchstraße im Radiolicht sollte Technikern dabei helfen, die damals noch neue Satellitentechnik besser in den Griff zu bekommen und auch den Astronomen bei ihrer Arbeit nutzen. Und die gesammelten astronomischen Daten wollten Penzias und Wilson für ihre jeweiligen Doktorarbeiten verwenden.

Die Holndel-Antenne mit der Wilson und Penzias ihre Entdeckung gemacht haben (Bild: NASA, public domain)

Die Holmdel-Antenne mit der Wilson und Penzias ihre Entdeckung gemacht haben (Bild: NASA, public domain)

Was dann aber folgte, war eine der berühmtesten Zufallsentdeckungen der Wissenschaftsgeschichte. Um möglichst genaue Daten zu bekommen, mussten die beiden Physiker alle störenden Einflüsse so weit wie möglich reduzieren. Ein ganz spezielles Rauschen das von der Antenne registriert wurde, konnte aber trotz aller Anstrengungen nicht zum Verschwinden gebracht werden. Erst über Umwege erfuhren sie von der Arbeit des theoretischen Physikers Robert Dicke, der schon Jahre zuvor vorhergesagt hatte, das beim Urknall auch eine Strahlung entstanden sein muss, die heute noch mit Radioteleskopen nachweisbar sein sollte.

Es schien genau die Art von Strahlung zu sein, die die Beobachtungen von Penzias und Wilson störte. Aber die beiden blieben skeptisch. “Wir glaubten an die Physik!”, sagt Wilson als er diesen Teil der Geschichte in Lindau erzählt und meint damit, dass auch damals noch die Kosmologie von den meisten Physikern nicht als ernsthafte Wissenschaft angesehen wurde, die in der Lage ist, konkrete Vorhersagen zu machen. Deswegen hielten sie sich auch bei der Publikation der Ergebnisse zurück und veröffentlichten nur einen kurzen Artikel, der nüchtern die reinen Beobachtungen darlegte und auf jede Interpretation der Daten verzichtete. Die überließen sie Dicke und seinem Team, die in einem eigenen Artikel erklärten, dass die “Hintergrundstrahlung” von Wilson und Penzias eine Bestätigung der Urknall-Hypothese darstellen muss.

Der “Big Bang” gewinnt

Die Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung war das Argument, das die Wissenschaftler in Scharen in das Lager der Urknalltheoretiker überlaufen ließ. Das Steady-State-Universum verlor schlagartig an Glaubwürdigkeit und verschwand in der Versenkung. Das alte Weltbild des statischen Universum wankte schon länger und Wilson und Penzias haben ihm mit ihrer Entdeckung den letzten Stoß versetzt, der es schließlich fallen ließ.

So zumindest sehen wir die Geschichte, wenn wir heute aus der Gegenwart auf die Vergangenheit blicken. Für Wilson war die Arbeit des Jahres 1964 kein spektakuläres und singuläres Ereignis:

Es gab damals keinen echten “Aha”-Moment bei der Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung. Es war ein kontinuierlicher Verständnisprozess.

sagt er und gibt ohne Hemmungen zu, dass er damals absolut nicht wusste, wie wichtig die kosmische Hintergrundstrahlung für die weitere Entwicklung der Kosmologie werden würde. Aber Wilson erzählt dem Publikum auch, wie glücklich er heute ist, damals bei den Bell Laboratories genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein um an diesem großartigen Prozess teilhaben zu können.

Die Geschichte die Wilson erzählt hat, ist nicht neu. Es ist nicht nur eine Geschichte, es ist Geschichte. Geschichte, die man mittlerweile auch schon in den Büchern der Historiker nachlesen kann. Aber es ist trotzdem ein besonderer Moment, diese Geschichte nicht einfach nur irgendwo zu lesen, sondern von demjenigen erzählt zu bekommen, der sie (mit) gemacht hat. Das sind die Ereignisse, die die Lindauer Nobelpreisträgertagungen so außergewöhnlich machen.

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Kommentare (3)

  1. #1 Anti-Held
    12. Juli 2015

    Da bringt mir der Postbote gestern die neue (kostenlose)
    “Helmholtz Perspektiven”, und wen entdecke ich da auf Seite 19?……Herrn Freistetter
    Gutes Portrait übrigens

  2. #2 dgbrt
    12. Juli 2015

    Danke für diesen Bericht.
    Es ist immens wichtig die Entwicklung der Wissenschaft im Kontext der Geschichte zu kennen. Und das Ganze ist auch noch äußerst spannend, selbst wenn man das Ergebnis eigentlich schon kennt.

    Faszinierend!

  3. #3 Stirner
    19. Februar 2016

    soso Zufallsentdeckung ausgerechnet bei Wilson ツ – War da nicht Synchronizität im Spiel? – das Prinzip akausaler Zusammenhänge gepaart mit kosmischem Witz + das ist um Klassen dezent etwas mehr als zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein (und trotzdem nichts zu bewegen ツ

    Hoyle beschreibt die Intelligenz “da draussen” gut im Original – “The Intelligent Universe” das passt besser.