1630 ziehen die beiden nach Pietschen (immer noch in Schlesien) und widmen sich der Sternenkunde. Sie kommunizieren mit prominenten Kollegen wie Johannes Hevelius, sammeln immer neue und bessere Instrumente und beobachten den Himmel. Maria ist aber viel mehr an der Mathematik interessiert als an der Beobachtung. Sie will keine neuen Instrumente zur Beobachtung bauen; sie will die Sterne nicht beobachten (obwohl sie das natürlich trotzdem macht), sie will sie berechnen! Die theoretische Astronomie war in der damaligen Zeit noch sehr rudimentär und bestand im wesentlichen darin, die Positionen der Sterne und Planeten möglichst genau zu bestimmen und dann ebenfalls so genau wie nur möglich zu berechnen, wie sich die Planeten in Zukunft bewegen werden. Das Ergebnis dieser Bemühungen war dicke Bücher mit langen Tabellen, aus denen die zukünftige Position der Himmelskörper abzulesen war.
Diese Liebe zur Himmelsmechanik (die ja auch immer mein Spezial- und Arbeitsgebiet als Astronom war) ist der erste Punkt, der mir Maria Cunitz so sympathisch macht. Aber nicht der einzige…
In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammten die genauesten der Kataloge und Tabellen von Johannes Kepler. Kein Wunder, der er war auch der erste, der mit seinen Gesetzen die Bewegung der Planeten wirklich genau erklären konnte. Er schaffte es als erster, sich vom Dogma der kreisförmigen Bewegung zu lösen. Das war auch dafür verantwortlich, das es Kopernikus so schwer hatte. Sein heliozentrisches Planetenmodell war zwar viel eleganter als das alte ptolemäische Modell mit der Erde im Zentrum des Universums – aber nicht in der Lage, bessere Vorhersagen zu liefern. Denn auch Kopernikus war fest davon überzeugt, dass sich die Planeten auf kreisförmigen Bahnen bewegen müssen. Erst Kepler erkannte, dass das nicht der Fall ist und war in der Lage, genaue Vorhersagen zu machen.
Die wurden 1627 in Form der sogenannten “rudolfinischen Tafeln” (zu Ehren von Keplers Dienstherrn, Kaiser Rudolf II) veröffentlicht. Maria hat diese Tafeln natürlich studiert und entsprechend ob ihrer Genauigkeit gelobt. Aber sie war eine selbstbewusste Frau und machte, wie sie später schrieb, auch klar, es solle “niemand meinen, das nichts darinnen zu verbessern sei”.
Das, was Maria an den rudolfinischen Tabellen störte, war die komplizierte Mathematik. Sie selbst war natürlich in der Lage zu verstehen, was Kepler gemacht hatte. Aber sie war auch so sehr von der Astronomie begeistert, dass sie möglichst viele anderen Menschen an dieser Faszination teilhaben wollte. Und nicht jeder beherrscht die Mathematik. Es sollte, so Maria, einen “leichten, kurzen, schnurgeraden, richtigen Weg [geben um den] Kern und Nutzen der Sternkunst zu weisen”. Oder anders gesagt: Maria beschwerte sich darüber, das Kepler sich nicht vernünftig um die Öffentlichkeitsarbeit gekümmert hat!
Dieser Wunsch, die Faszination für die Astronomie auch an Menschen zu vermitteln, die keine Fachleute sind, ist der zweite Grund, warum mir Maria Cunitz so sympathisch ist. Sie beginnt nun damit, die Daten von Kepler selbst durch Beobachtungen und vor allem durch eigene Berechnungen zu überprüfen. Und erstellt daraus ihre eigenen Tabellen, in denen sie auf die logarithmischen Zahlenangaben verzichtet, die Keplers Werk mathematisch so kompliziert und für Laien unverständlich gemacht haben. Vor allem schreibt sie ihr neues Buch nicht nur in der damals üblichen Gelehrtensprache Latein. Sondern auch, und das war damals gar nicht üblich, auf Deutsch. Wie unüblich das war zeigt sich auch in der Einleitung des Werks, in dem sich Maria bemüßigt fühlt, extra zu erklären, warum sie auch in Deutsch schreibt: Damit die “Kunstliebenden deutscher Nation” die gerne etwas über Astronomie erfahren wollen nicht “durch Unkundigkeit der lateinischen Sprache davon zurückgehalten werden”.
Im Vorwort sind auch noch weitere Rechtfertigungen nötig. Noch unüblicher als ein deutschsprachiges Buch über Astronomie ist in der damaligen Zeit eine wissenschaftliche Arbeit die von einer Frau verfasst wird. Maria schildert daher ausführlich ihre bisherige Ausbildung um klar zu machen, das sie weiß, wovon sie schreibt. Sie merkt an, dass es ihr nicht um “Ruhmsucht” geht, sondern darum, den ihr “von Gott geschenkten Lebenslauf wohl anzuwenden” und ihr Talent für die Mathematik sinnvoll anzuwenden. Auch ihr Ehemann Elias hat einen Teil des Vorworts verfasst und darin explizit betont, dass dieses Buch von seiner Frau verfasst worden ist und nicht von ihm.
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