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Die ökonomische Perspektive hat sich zur einer dominierenden Sichtweise des modernen Lebens entwickelt. Angesichts der enormen Bedeutung der Ökonomie für unser alltägliches Leben lohnt es sich immer, einen genauen Blick auf deren Mechanismen zu werfen. Die Bewertung einer Sache oder einer Leistung erfolgt überwiegend nach ökonomischen Prinzipien. Was passiert dabei genau, wie sieht dieser Prozess im Detail aus? Es wäre toll, wenn der ökonomische Wert mit einer Eigenschaft wie dem Gewicht in Beziehung stünde. In diesem Fall würde er zu einer handfesten Eigenschaft werden, die begreifbar wäre: Je schwerer desto wertvoller!
Die Goldwährung bedient sich dieser naiven Vorstellung des Wertes und übt daher auf viele einen gewaltigen Reiz aus. Der Zusammenhang zwischen Gewicht und Wert ist nicht grundsätzlich falsch, denn Geld war einst nichts anderes als eine Prägung des Materialwertes eines Klumpen wertvollen Metalls und diese Geldform hat bis jetzt in Form von Goldbarren oder Sondermünzen überdauert. Das Geld hat sich dann allerdings zu bedrucktem Papier weiterentwickelt und besteht heute hauptsächlich aus Buchungen in einem Computersystem. Das Geld wird immer abstrakter, es scheint sich von seiner materiellen Existenz zu lösen. Kann ein solches Nichts werthaltig sein? Ja, es ist offensichtlich möglich. Aber wie entsteht diese sonderbare Schwerelosigkeit des Wertes?
Um das Rätsel zu lösen, veranstalten wir eine fiktive Aktion eines wertvollen Gemäldes. Bevor wir die Auktion starten, befragen wir einige der imaginäre Anwesenden über ihre Motivation zur Teilnahme. Der erste hat eine lange Anreise auf sich genommen, um das Kunstwerk sehen und erwerben zu können, da er die Kreativität und Einzigartigkeit des Gemäldes bewundert. Der zweite möchte seine Sammlung komplettieren, zu der das Auktionsangebot perfekt passt. Der letzte Interessent sagt, er spekuliere auf den baldigen Tod des schon in die Jahre gekommenen Künstlers. Die Preise seiner Werke würden dann über Nacht explodieren.
Das Kaufinteresse und vor allem die Einschätzung des Wertes des Kunstwerks basieren auf völlig unterschiedlichen Konzepten. Unsere Interessenten richten ihre Auktionsgebote zum einen an der Kunstfertigkeit des Gemäldes aus, zum anderen leiten sie sich aus einer übergeordneten Strategie ab und schließlich handelt es sich um eine schnöde, aber realistische Wette auf eine baldige Wertsteigerung. Daraus folgt, dass der Wert des Gemäldes nicht eine Eigenschaft des Gemäldes an sich ist, sondern der Bewertende bildet ihn. Daher hat ein Angebot stets soviele Werte wie es Interessenten gibt. Der Wert ist aus diesem Grund immer subjektiv und verfügt über eine individuelle, meist mehrdimensionale Struktur. Eine Auktion hat nun die Aufgabe, den Interessenten mit der höchsten individuellen Wertepräferenz zu ermitteln.
Auf einem Markt dient das Feilschen dazu, die maximale Wertepräferenz des Käufers zu bestimmen. Bei handwerklicher Produktion, die im Grunde Unikate vergleichbar mit Kunstwerken erzeugt, ist diese Art der Wertermittlung sinnvoll. Bei einer modernen Massenproduktion mit ihren nahezu identischen Produkten ist dieses Vorgehen hingegen zu umständlich und zu langwierig. Der moderne Markt orientiert sich daher nicht nur an der Wertepräferenz des Nachfragenden, sondern nimmt einen weiteren Faktor, die Knappheit des Angebots, hinzu. Auf einer Auktion spielt die Knappheit jedoch keine Rolle. Sämtliche Angebote weisen nämlich eine nahezu maximalen Knappheit auf, da sie zumeist aus der Menge 1 bestehen – nur noch nicht vorhanden ist noch knapper. Der Auktionator hat daher ein Monopol auf das Angebot und verfügt aus diesem Grund über die Marktmacht, den maximalen Kaufpreis einfordern zu können.
Sind auf einem Markt jedoch mehrere Anbieter vorhanden, die dasselbe Produkt oder dieselbe Leistung verkaufen wollen, können diese nicht mehr die maximalen Preise einfordern, sondern müssen sich auf das Spiel der Marktkräfte einlassen: Harmonisch interpretiert besteht dieses Spiel aus einem Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage, martialischer interpretiert ist es die Intensität des Konkurrenzkampfs sowohl auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite.
Die Knappheit der meisten Güter lässt sich leicht ermitteln, der Einfluss der Knappheit auf die Preisbildung ist einfach zu bestimmen und die Kontrolle über diesen Faktor ist entsprechend unkompliziert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich der theoretische und praktische Fokus der Ökonomie auf diesen Aspekt konzentriert.
Es ist einfach zu verführerisch, der schlichten Eleganz der Knappheit zu erliegen und dabei die komplexere Seite der Nachfrage zu vernachlässigen. Machen wir diesen Fehler nicht und betrachten eingehender die Struktur und die Prozesse der Nachfrage. Ausgangspunkt sind individuelle Wertepräferenzen, die aus einer simplen Bedürfnisbefriedigung, aus einem Verlangen, rationalen Erwägungen oder riskanten Wetten bestehen können. Besteht überhaupt die Möglichkeit, ein solch merkwürdiges Phänomen, das aus einem Sammelsurium verschiedenster, diffuser Konstrukte besteht, zu messen? Ja, zum Glück ist es fast so einfach zu bestimmen wie die Knappheit. Der Schlüssel liegt in einem einfachen Vergleich. Ein wertvolles Objekt, welches ein Verlangen bei mir auslöst, das ich daher gerne besitzen möchte und auf dem Markt nachfragen will, vergleiche ich mit einem anderen begehrenswerten Objekt. Dieses Vergleichsobjekt verändere ich solange, bis das Begehren nach dem zu bewertenden Objekt und dem Vergleichsobjekt best möglichst übereinstimmt. Hierzu muss das Vergleichsobjekt möglichst leicht in der Begierdenerweckung veränderbar sein, indem sein Wert leicht vergrößert oder verkleinert werden kann, wie dies in etwa mittels Messgewichten bei einer alten Balkenwaage möglich ist. Richtig, dieses Vergleichsobjekt, das eine einfache Messung des Wertes ermöglicht, gibt es schon und heißt in der Umgangssprache Geld.
Geld ist knapp, die Erfahrung kennt jeder, und es löst ein Verlangen bzw. vielmehr eine Gier aus, egal ob das Geld aus Gold, aus Papier oder einer Buchung im Computersystem besteht. Es ist daher wertvoll und es hat praktischerweise seinen Wert bereits aufgedruckt. Somit lässt sich aus Geld leicht ein Vergleichsobjekt zusammenstellen, mit dem der Wert anderer Sachen und Leistungen verglichen und somit bestimmt werden kann. Bei einem Kauf vergleicht der nachfragende Kunde den Angebotspreis mit seiner individuellen Präferenz. Ist der Preis niedriger, greift er möglicherweise zu, ist er höher, lehnt er das Angebot sicherlich ab.
Aus der Tatsache, dass Geld ein Messinstrument für den ökonomischen Wert ist, können wir eine oft gestellte Frage beantworten: Welchen tatsächlichen Wert hat ein 5-Euro Schein? Diese Frage ist ebenso sinnvoll wie die Frage, wie lange ein Kilometer ist oder wie schwer die Eichgewichte einer Waage sind. Geld hat immer exakt den auf ihm notierten Wert, denn die Standardisierung des Geldwertes ist nichts anderes als die Messskala der ökonomischen Wertermittlung.
Wenn das Geld neben der Tauschfunktion auch ein Messinstrument ist, dann muss es einen Messfehler haben, wie jedes andere Messinstrument. Derzeit wird dieses Problem durch das Konzept der Preisstabilität gelöst, indem durch eine eine gezielte Beeinflussung der Knappheit des Geldes, der Geldmengensteuerung mittels Zentralbankzinsen, das Verlangen nach Geld konstant gehalten wird und dadurch ein Messfehler ausgeschlossen werden soll. Diese Strategie stößt an ihre Grenzen. Aber weshalb? Wenn man die etwas unkonventionelle Messmethode der Preisfindung verstanden hat, sich nicht nur auf die abstrakte Knappheit des Geldes konzentriert, sondern auch die niederen, menschlichen Bedürfnisse wie die Gier nach Geld berücksichtigt, erkennt man den Denkfehler an diesem Ansatz. Die Nachfrage nach Geld ist eine Akkumulation zahlreicher individueller Messprozesse. Eine eingehender Betrachtung dieser Struktur findet bisher weder theoretisch noch praktisch statt. Eine individuelle Messung eines Marktangebots ist jedoch abhängig von der zur Verfügung stehenden Geldmenge des einzelnen Anbieters sowie des einzelnen Nachfragenden. Wie sehr die individuell zur Verfügung stehende Geldmenge die Wertmaßstäbe beeinflusst, kann jeder selbst erforschen, in dem er einmal kurz von einem Hauptgewinn im Lotto träumt! Die eigenen ökonomischen Wertmaßstäbe kommen plötzlich gewaltig ins Rutschen!
Verlässt man die individuelle Perspektive und schaut sich wieder das abstraktere Konstrukt der Nachfrage an, wird plötzlich deutlich, dass die Verteilung des Geldes eine wesentliche Determinante der unzähligen individuellen Wertmaßstäbe ist, aus der sich wiederum die Nachfrage zusammen setzt. Die Steuerung der Geldmenge allein gewährleistet daher noch nicht ein fehlerfreies Funktionieren des Wert-Messinstrumentes Geld. Es ist entscheidend, dass eine möglichst optimale Verteilung des Geldes sichergestellt ist, um die individuellen Wertmaßstäbe nicht zu sehr zu verzerren. Eine ungleiche Verteilung des Geldes führt daher zu systematischen Fehlern der Wertermittlungen, das Marktgleichgewicht kann sich nicht mehr ungestört ausbilden, die Preisfindung ist fehlerhaft und der Markt verliert seine Fähigkeit zur effektiven Steuerung der Wirtschaftsgüter.
Die angebliche Rationalität des Marktgeschehens entsteht durch die Fokussierung auf die Knappheit und dem Ignorieren der menschlichen Aspekte des Wirtschaftens. Das Problem ist nur, dass dadurch die Rolle des Geldes als eines der wichtigsten Messinstrumente, die einer Gesellschaft zur Verfügung stehen, nicht korrekt verstanden wird. Die Messgenauigkeit des Geldes kann nicht überprüft werden, da die derzeitigen Theorien der Ökonomie dafür nicht ausreichend sind. Die daraus entstehenden wirtschaftlichen Schäden bleiben unerkannt.
Geld ist eines der ältesten Messinstrumente, das die Menschheit entwickelt hat. Merkwürdigerweise ist es heute noch das am meisten missverstandene.
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Hinweis zum Autor: Dieser Artikel wurde von Marc Schanz geschrieben.
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