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Frauen – die „anderen“ Menschen
Als ich im Jahr 2009 das Bachelorstudium Biologie an der Uni Wien anfing, gab es damals die Vorlesung „Die Frau in den Naturwissenschaften“ als Teil eines Pflichtmoduls über Bioethik und Gender. Darin wurde über Frauen gesprochen die wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse geliefert haben – Marie Curie, Rosalind Franklin und Barbara McClintock zum Beispiel. Es war eine rein historische Vorlesung, es ging ausschließlich um wichtige weibliche Persönlichkeiten in der Naturwissenschaft. Es wurde nicht darüber gesprochen, wie Sexismus in den Wissenschaften zu tragen kam und teilweise immer noch kommt. Es ging nicht darum, Diskriminierung zu erkennen und für das Thema sensibilisiert zu werden. Das einzige Statement war „Frauen sind auch ganz tolle Wissenschaftler!“
Im historischen Kontext betrachtet ist das natürlich absolut bewundernswert und wichtig zu erwähnen dass diese Frauen Dinge geschafft haben, die für viele Geschlechtsgenossinnen unmöglich gewesen sind, weil ihnen schlichtweg der Zugang zu ausreichend Bildung verwehrt blieb, und sie in einer Gesellschaft mit fix verankerten Rollenbildern lebten.
Heute ist das nicht mehr so, könnte man meinen. Mädchen und Frauen können Schulen und Universitäten besuchen. Sie können arbeiten gehen und die Berufe ergreifen, die sie wollen. Wir befinden uns an einem Punkt wo die persönliche Freiheit zur „Entfaltung“ theoretisch bereits eine Gleichberechtigung bietet. Warum gibt es dann aber immer noch solche Probleme mit dem Thema „Gender“ und Sexismus? Warum müssen wir eigentlich überhaupt noch darüber debattieren was man als Frau (oder Mann) kann, soll, darf oder nicht?
Mittlerweile ist viel Zeit vergangen, ich habe in mehreren unterschiedlichen Laboren mit vielen verschiedenen Menschen gearbeitet und konnte viele Erfahrungen sammeln. Nun stehe ich kurz vor dem Abschluss meiner Masterarbeit und frage mich manchmal immer noch, ob ich aus dieser Vorlesung außer ein paar Namen, Daten und Fakten noch etwas anderes hätte mitnehmen können oder sollen. Sind diese Frauen jetzt besser als ihre männlichen Kollegen gewesen und deswegen besonders wichtig? Ging es darum mir zu zeigen dass ich auch ganz Großes leisten kann „obwohl“ ich eine Frau in einem vermeintlich frauenfeindlichen Arbeitsumfeld bin?
Diese Vorlesung mag 6 Jahre her sein (und wird auch nicht mehr angeboten), aber die Aussage die bei mir dauerhaft hängen blieb und einen unheimlich schalen Geschmack hinterließ war „Frauen sind auch wichtig“. Ich für meinen Teil will nicht „auch“ etwas sein. Ich bin Wissenschaftler. Und ich will als Wissenschaftler gesehen werden und für meine Leistungen beurteilt werden, und eigentlich ist es mir dabei völlig egal ob man mich als Wissenschaftler oder –in bezeichnet, denn das ist völlig irrelevant für meine Leistungen. Es ist in dieser Hinsicht auch nicht wichtig was andere Frauen vor mir geleistet haben, wie viele Frauen sich für dieses Studium interessieren, wie viele Frauen noch in meinem Institut arbeiten und wie viele weibliche Rollenbilder ich hatte oder nicht.
Ich hatte das große Glück relativ frei von Geschlechtsstereotypen aufzuwachsen. Ich habe mit Puppen gespielt, aber auch mit Bauklötzen. Habe mir Zöpfchen geflochten und die Nägel lackiert, und Dinosaurier- und Flugzeugmodellfiguren gesammelt. Und habe schon als Kind nicht verstanden warum viele Jungs kategorisch Mädchen „doof“ finden und nicht mit ihnen spielen wollen. Ich hatte keine weiblichen Vorbilder die mich dazu gebracht hätten mein wissenschaftliches Interesse zu verfolgen und zum Beruf zu machen – ich habe nicht einmal einen akademischen Familienhintergrund. Aber meine Familie und vor allem meine Mutter, aber auch meine Lehrer haben mich schlichtweg immer darin bestärkt das zu machen was ich will und was mich interessiert. Niemand hat mir gesagt „Hey, du! Du bist ein Mädchen? Auch DU kannst Wissenschaftlerin werden!“. Mir wurde beigebracht: „Du kannst Wissenschaftler(in) werden. Oder Künstler(in). Oder Bäcker(in). Oder Lehrer(in). Was immer du willst.“
Ein einziges Erlebnis hatte ich, nach dem ich mir gewünscht hätte ich wäre in dieser Situation ein Mann gewesen: nach dem Abschluss meines Bachelors ein letztes Gespräch mit meinem Betreuer an der Fachhochschule. Er fragte mich was meine weiteren Pläne für die Zukunft seien. Ich erklärte, ich wolle an einer Uni weiterstudieren und dann in die Grundlagenforschung gehen. Woraufhin er mir entrüstet entgegnete „Aber, willst du das wirklich? Das muss dir schon klar sein, dass das sich das sehr schwer mit einer Familienplanung vereinbaren lässt!“ Er hat es sicherlich nicht böse gemeint, und daher nehme ich ihm diese Aussage nicht übel. Aber irgendwie nagte es doch an mir. Wieso muss ich mir nach Abschluss meines ersten Studienabschnittes mit ausgezeichnetem Erfolg so etwas anhören? Wieso werde ich auf meine Gebärfähigkeit reduziert? Wieso wird davon ausgegangen dass ich, nur weil ich eine Frau bin, die ersten 3 Lebensjahre meines Kindes zu Hause bleiben und auf meine Karriere verzichten möchte (und dass das nicht genausogut mein Partner übernehmen könnte)? Wieso wird überhaupt mal prinzipiell angenommen dass ich vorhabe Kinder zu bekommen? Ich kann damit leben dass mich meine 74-jährige Großtante fragt, wie ich das schaffen will, eine Familie zu gründen wenn ich jetzt mindestens 4 Jahre PhD vor mir habe und einen PostDoc im Ausland machen will. Aber als so eine Aussage von einem meiner Professoren kam, fühlte ich für einen kurzen Moment dass eben doch noch nicht alles getan ist, dass man als Frau eben doch nicht komplett gleichgestellt ist – nicht weil man nicht rein prinzipiell dieselben Möglichkeiten geboten bekommt, sondern weil man in der Gesellschaft leider in vielen Situationen zuerst als Frau gesehen wird, und dann erst kommt alles andere. Und leider können die momentan praktizierten Ansätze diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen, das Problem höchstens noch weiter verschlimmern.
Meiner Meinung nach sind wir als Gesellschaft an einem Punkt wo ein Umdenken notwendig wäre. Wem ist geholfen durch den Ruf nach mehr weiblichen Rollenbildern, das Bestreben mehr Mädchen und Frauen für die Forschung motivieren, mehr Frauenförderung, Frauenquote, Frauen-bezogene Themen in den Wissenschaften und so weiter und so fort? Sieht so Gleichberechtigung aus? Können wir so wirklich eine Welt erschaffen, in der Mädchen genau dieselben Voraussetzungen wie Jungen haben, zu erreichen was sie wollen? Kann man ein Mädchen wirklich zu etwas motivieren indem man ihm sagt „Das kannst du sicher schaffen, obwohl du ein Mädchen bist!“ ? Nur damit man jungen Frauen dann erst recht komische Blicke zuwirft wenn sie Karriere und Familie eben nicht unter einen Hut bringen können oder wollen, und sich dann nur für das eine oder andere entscheiden?
Nein, ich denke das ist nicht der Weg den wir gehen sollten. Niemandem ist geholfen indem man ein binäres Geschlechter-Rollenbild noch verstärkt, indem man in den Köpfen der Erwachsenen und Kinder weiterhin den Glauben verankert dass das Geschlecht für die individuelle Person auch nur irgendeine Bedeutung hat.
Geschlecht – naturwissenschaftlich betrachtet und definiert
Wissenschaftlich betrachtet gibt es keinerlei Basis für eine derartig unterschiedliche Behandlung von „Männern“ und „Frauen“. In einer Vorlesung der Evolutionsbiologin Hanna Kokko stellte diese die vermeintlich simple Frage: „Was denken Sie, wie definiert man eigentlich männlich und weiblich?“. Sie zeigte am Beispiel des Seepferdchens, dass weder Paarungsverhalten noch Brutaufzucht (beim Seepferdchen ist es bekanntlich das Männchen, das die Larven in einer Art Bauchtasche aufzieht) die Basis für eine Definition liefern. Noch klarer wird dies bei der Betrachtung von zweihäusigen Pflanzen oder einfachen Lebewesen wir Schwämmen und Anemonen.
Es gibt auch keine klare Definition von „männlich“ oder „weiblich“ auf genetischer Basis die universell auf alle Lebewesen anwendbar ist. So gibt es Tiere die sequentiellen Hermaphroditismus zeigen – diese Tiere können ihr Geschlecht unter bestimmten Bedingungen ändern. Clownfische leben zum Beispiel in Gruppen von mehreren Männchen und einem weiblichen „Anführer“. Stirbt das Weibchen, ändert sich das Geschlecht des dominantesten Männchens und es nimmt seinen Platz ein. Auch umgekehrt ist so eine Geschlechtsänderung bei manchen Arten möglich. Schließlich gibt es sogar „Environmental Sex Determination“, also die Festlegung des Geschlechts durch Umweltbedingungen, wie zum Beispiel die Temperatur des Lebensraums. Es reicht also nicht zu sagen „XX ist Weibchen, XY ist Männchen“. Stattdessen ist die universelle Definition viel simpler: Das Weibchen ist schlichtweg, wer die größere Zelle zur sexuellen Fortpflanzung besteuert, das Männchen die Kleinere.
Dieses Wissen kann man nun nützen um nicht-biologische Definitionen zu hinterfragen. So ist es an dieser Stelle wichtig zu bedenken, dass es für den Deutschen Begriff „Geschlecht“ ja eigentlich zwei Bedeutungen gibt, die im Englischen jeweils ein eigenes Wort haben. „Sex“ ist das biologische Geschlecht, grundsätzlich orientiert an der oben stehenden Definition und im Menschen im speziellen über die An- oder Abwesenheit eines Y Chromosomes. Es ist nämlich Gene auf diesem speziellen Chromosom die in einem Embryo bei der Entwicklung männliche Geschlechtsorgane entstehen lässt und die Entwicklung weiblicher Geschlechtsorgane unterbindet. Man könnte also sagen, Menschen entstehen standardmäßig als Weibchen, und werden nur zu Männchen wenn dieses spezielle genetische Programm angeschaltet wird. Das ist also das biologische Geschlecht, bei gesunden Menschen ist es an die Aufgabe bei der Reproduktion gekoppelt – Ei- oder Spermienproduktion.
„Gender“ hingegen ist das soziale Geschlecht, und das ist viel, viel Komplizierter, weil es hier eben keine klare Definition gibt. Zwar gibt es haufenweise Attribute die wir mit „männlich“ (stark, rational, ehrgeizig) oder „weiblich“ (schwach, emotional, fürsorglich) assoziieren, aber wenn ich nun fragen würde, welche dieser Attribute für die „Definition“ einer Frau unabdingbar sind, könnten wir noch ewig diskutieren und fänden keine Einigung. Ich bin zum Beispiel nicht sehr fürsorglich (tue mir schwer mich um Menschen zu kümmern wenn es ihnen schlecht geht), zeige nicht wirklich viele Emotionen, und habe manche Hobbies und Verhaltensweisen die gesellschaftlich als eher „männlich“ gesehen werden – aber ich habe auch „weibliche“ Verhaltensweisen und Hobbies. Mir selbst fällt es extrem schwer mich in einem oder dem anderen „Rollenbild“ wiederzufinden. Aber wer ist schon die perfekte Hausfrau oder der 100%ige Macho-Mann?
Dennoch beharren viele Menschen auf diesen Begriffen und dieser doch ziemlich willkürlichen Einteilung, die rein gar nichts mit der individuellen Person zu tun hat, und wirklich nichts über individuelle Talente, Leistungsfähigkeit oder sonstiges aussagt.
Erschwerend hinzukommt, dass vieles was heute vor Allem im deutschen Sprachraum die Etikette „Gender“ aufgedrückt bekommt hat, meint eigentlich „Sex“. Das beste Beispiel liefert wohl die medizinische Forschung: „Gender-Medizin“ beschäftigt sich z.B. mit Krankheiten die bei Männern und Frauen unterschiedlich häufig oder ausgebildet sind, und Therapien deren Wirkung sich bei Männern und Frauen unterscheidet. Dabei liegt der Fokus aber eigentlich immer auf physiologischen Aspekten: Frauen erkranken nicht so häufig wie Männer an Herz-Gefäß-Erkrankungen, zumindest bis sie die Menopause erreichen, da Östrogen eine Schutzwirkung gegen Gefäßverkalkung bietet. Mit Abfall des Östrogenspiegels sind Frauen ab Ende 50 mehr und mehr gefährdet und die Morbidität gleich sich an. Ebenso ist heutzutage bekannt dass es bei Männern und Frauen unterschiedliche pharmakologische Effekte bei ein und demselben Medikament geben kann.
Das hat aber nichts mit der Geschlechterrolle – dem sozialen Geschlecht der Frau – zu tun, sondern mit Eigenheiten des (biologisch) weiblichen bzw. männlichen Körpers. Es ist also eigentlich „Sex-specific medicine“ und nicht Gender-Medizin. „Gender-Medizin“ – so hat ein Dozent in einer Vorlesung mal zu uns Studenten gesagt – das ist, wenn in Afrika ein Großteil der an Flussblindheit erkrankten Menschen Frauen sind. Flussblindheit wird so genannt weil sie durch Infektion mit einem Parasiten verursacht wird, dessen Überträger sich in der Nähe von Gewässern aufhalten. Und es sind schlichtweg größtenteils die Frauen die zum Wäsche waschen oder Wasser holen zum Fluss gehen – die Infektion betrifft sie wegen ihrer Geschlechterrolle, nicht weil sie aufgrund ihres physiologischen Geschlechts anfälliger wären.
Sex vs. Gender
Diese Vermischung der beiden Begriffe schadet dem Ziel einer Gleichberechtigung massiv. Immer und immer wieder werden biologisches und soziales Geschlecht in einen Topf geworfen und in kaum einer Diskussion über die Rolle oder Situationen von Frauen – sei es in den Wissenschaften, generell in der Berufswelt oder allgemein in der Gesellschaft – wird differenziert über diese beiden Aspekte gesprochen. So fällt es natürlich vielen Menschen umso schwerer das Konzept einer Gleichberechtigung ernst zu nehmen oder zu verstehen wenn Argumente wie „Frauen werden in technischen/wissenschaftlichen Berufen/Situation XY benachteiligt“ (sozial) gegenüber Aussagen wie „das Gehirn von Frauen ist anders entwickelt weswegen sie für Situation XY weniger begabt sind“ (biologisch und negativ verallgemeindernd).
Sicherlich gibt es auf physiologischer Ebene Aspekte die Männer und Frauen voneinander Unterscheiden – statistisch gesehen, im Durchschnitt betrachtet. So sind Frauen durchschnittlich kleiner als Männer (haben daher auch durchschnittlich ganz logischerweise ein kleineres Gehirn, wie auch alle anderen Organe kleiner sind). Es mag auch sein dass durchschnittlich weniger Frauen als Männer Begabungen für räumliches Denken oder höhere Mathematik zeigen, und umgekehrt mag es auch stimmen dass mehr Frauen aufgrund ihrer natürlichen Mutterinstinkte sehr fürsorglich sind. Genauso gibt es aber auch Frauen die für einen klassischen „Frauenberuf“ wie Kindergärtnerin oder Krankenpflegerin absolut ungeeignet wären, so wie es auch Männer gibt die dafür quasi prädestiniert sind, weil sie sehr aufopferungsbereit sind. Sicherlich würden mich die meisten Männer in meinem Umfeld beim Armdrücken besiegen. Ich kenne aber auch Frauen die die meisten Männer in meinem Umfeld besiegen würden.
Der Knackpunkt ist, dass jede biologische Voraussetzung oder Veranlagung nur die Rahmenbedingungen stellt, innerhalb derer es große Variabilität gibt. So sind nicht alle Menschen oder Männer oder Frauen gleich groß, nicht alle sind gleich klug oder dumm, und genauso wenig teilen sie sich alle ihre Begabungen nur mit ihren Geschlechtsgenossen. Dennoch beharren viele Menschen darauf, dass diese Unterschiede existieren und Naturgegeben seien – und was viel schlimmer ist, dass sie so wichtig seien, dass sie in unseren Lebensalltag implementiert sein müssten.
Menschen neigen sehr stark dazu, alles kategorisieren zu wollen. Alles braucht einen Begriff um es zu beschreiben, alles muss irgendwie unterteilt werden – vermutlich fühlen sich einige nur dann sicher, wenn sie ihre Welt in „gut“ und „böse“, „Schwarz“ und „weiß“ und eben „Mann“ und „Frau“ einteilen können. Alles andere, alles dazwischen, ist beängstigend und wird daher nicht akzeptiert. So kam es in der Vergangenheit dazu, dass Menschen aufgrund ihrer „Rasse“ unterschiedlich behandelt wurden. Auch diese problematische Einstellung ist leider noch nicht aus der Welt, dennoch sind Menschen unterschiedlicher „Rasse“ soweit gleichgestellt, dass sie theoretisch dieselben Rechte und Möglichkeiten haben (ich sage theoretisch, weil das natürlich aufgrund sozialer Aspekte noch lange nicht in einer realen 100%igen Gleichberechtigung resultiert). Jedenfalls würde niemand mehr heutzutage auf die Idee kommen zu sagen „Natürlich können Sie sich Vorne im Bus hinsetzen OBWOHL Sie Schwarz sind“. Wenn es aber um Frauen und ihre Rolle in der Gesellschaft geht, müssen wir uns aber immer wieder sagen lassen, was wir nicht alles erreichen können „obwohl“ wir Frauen sind.
Ich, du, er, sie, es – und unser aller Gleichberechtigung
Der wahre Sexismus und das eigentliche Problem beginnt schon dort, wo man der Meinung ist dass es unentbehrlich und wichtig ist dass wir Menschen in Männer und Frauen unterteilen – nach welchen Kriterien auch immer – in einem Kontext, wo dies keinerlei reellen Nutzen bringt. Natürlich ist es im Kontext einer Suche nach – zum Beispiel – einem Samenspender wichtig dass dieser ein (biologischer) Mann ist. Aber es gibt realistisch betrachtet nur sehr, sehr wenige solche Situationen, wo die Frage ob jemand ein Mann oder eine Frau ist, wirklich relevant ist. Während meines Erasmus-Semesters in Finnland sah ich das mit besonderer Deutlichkeit. Im Finnischen gibt es für die Wörter „er“ und „sie“ nur einen Begriff, „hän“. Auf die Frage eines Schülers im Sprachkurs, wie man denn dann wissen könne ob von einem Mann oder einer Frau die Rede sei, überlegte die Finnischlehrerin kurz, und meinte dann: „Meistens ist es einfach nicht wichtig“. Und statt wegzugehen von einem binären Weltbild, einer binären Sprache, versuchen wir im Moment anscheinend alles nur noch immer weiter zu unterteilen – Sprache wird gegendert damit sich Frauen mitangesprochen fühlen können, weibliche Vorbilder müssen her damit kleine Mädchen sich mit jemandem identifizieren können, Frauenförderung muss her damit Frauen gezielt motiviert werden dies oder jenes zu machen. Wollen wir das eigentlich wirklich, eine Welt in der Mädchen sich nur mit Frauen identifizieren können und Jungen nur mit Männern? Eine Welt in der wir genau dieselben blöden Stereotype und Rollenbilder immer und immer wieder durchexerzieren, und nur bei Bedarf ein bisschen erweitern (Frauen dürfen jetzt auch studieren/wählen gehen/Ärzte werden etc.) aber im Endeffekt genau gar keinen Schritt näher an einer realen Gleichberechtigung in den Köpfen der Menschen kommen?
Dabei wäre es so viel wichtiger zu verstehen dass die Unterschiede zwischen zwei Menschen viel, viel größer sind als die gemittelten Unterschiede zwischen „allen Frauen“ und „allen Männern“. Es wäre wichtig zu verstehen, dass es völlig irrelevant ist ob jemand als biologischer Mann oder biologische Frau geboren wurde, sondern welche Fähigkeiten und Begabungen die individuelle Person hat. Keine „Schublade“ in die Menschen andere Menschen steckt ist so gigantisch groß wie die die Schublade „Mann“ oder „Frau“. Und genau das macht sie so lächerlich obsolet dass man doch im Jahr 2015 doch endlich einmal aufhören könnte alles danach zu kategorisieren.
Mir ist es völlig egal ob jemand seinem Geschlecht entsprechend Hosen trägt oder Röcke oder Nagellack oder lange oder kurze Haare oder in seiner oder ihrer Freizeit Cupcakes bäckt, Beauty-Tutorials auf Youtube schaut, oder Motocross fährt und Paintball spielt, oder Kinder hat oder haben will oder nicht. Ich habe durch meinen Beruf so viele völlig unterschiedliche und wunderbare Menschen kennengelernt – Freunde, Vorbilder, Kollegen, Vorgesetzte – es gibt abertausende Begriffe mit denen ich diese Menschen beschreiben kann, die so viel mehr aussagen als „Mann“ oder „Frau“.
Alles was ich mir wünsche, ist eine Gesellschaft in der auch ich zuerst als „Wissenschaftler“ gesehen werde. Vielleicht, für die die mich näher kennen, auch als „umgänglich“ oder „humorvoll“. Als jemand der gerne bäckt und Computerspiele spielt. Und nicht als „Frau“ die all diese Dinge ist oder tut, entweder weil oder obwohl sie eine Frau ist.
Gleichberechtigung ist schlichtweg nicht dann erreicht, wenn genau jeweils 50% Frauen und Männer den Aufnahmetest zum Medizinstudium an der Uni Wien schaffen. Sie ist dann erreicht wenn es dem Patienten egal ist ob ihn eine weibliche Chirurgin operiert und ein männlicher Krankenpfleger seine Bettpfanne leert oder umgekehrt. Wenn Mütter nicht mehr sagen sie haben ein „schlechtes Gefühl“ ihre Kinder in der Obhut eines männlichen Kindergärtners zu lassen. Wenn Kinder nicht mehr andere dafür hänseln dass sie mit „Mädchen-„ oder „Jungsspielzeug“ spielen, weil sie von ihren Eltern keine solche binäre Einteilung zu so etwas banalem wie Spielzeug vermittelt bekommen haben!
Und – sie ist dann erreicht, wenn eine Frau sich nicht mehr routinemäßig und völlig ohne Kontext die Frage anhören muss, wie sie ihre wissenschaftliche Karriere mit ihrer Familienplanung vereinbaren will.
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Hinweis zur Autorin: Dieser Artikel wurde von Stephanie K. geschrieben: “Ich studiere Molekulare Medizin, bin jedoch seit einem knappen Jahr im Alltag im Labor und forsche im Bereich synthetische Physiologie für meine Masterarbeit, ab Herbst dann als PhD Student. Seit ein paar Jahren schreibe ich einen privaten Alltags-Blog unter einem Pseudonym, wo ich aufgrund meines Studiums auch immer wieder mal wissenschaftliche Themen aufgreife. Seit längerer Zeit überlege ich, parallel dazu einen wissenschaftlichen Blog zu schreiben – mein Beitrag ist also eine Art „Testlauf“ dafür.”
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