Reise zum Mittelpunkt der Erde
Die Abfälle einfach von der Erde zu entfernen ist also keine realistische Option. Wie sieht es denn mit dem umgekehrten Weg aus, alles in das flüssige Erdinnere zu bringen? Das wurde und wird tatsächlich immer mal wieder diskutiert. Im Grunde ist es hier allerdings wie mit der Idee, alles auf den Mond zu schießen. Der Weg dahin ist gefährlich. Unter unseren Füßen ist – und das ist ja eigentlich ein beruhigender Gedanke – ziemlich viel Gestein, das NICHT geschmolzen ist. Flüssig wird Stein erst in sehr vielen Kilometern Tiefe. Unsere tiefsten Bohrlöcher sind dafür noch nicht tief genug. Was also tun? Man könnte erst einmal auf dem Festland auf Stellen ausweichen, wo man nicht so tief gehen muss – und das wäre eine blöde Idee. Im Grunde würde man die Abfälle in der Nähe von Vulkane vergraben – wo sie dann unkontrolliert beim nächsten Ausbruch wieder an die Oberfläche kämen. Gerne auch Gasförmig und im Zuge eine Explosion. Die Idee einer schmutzigen Bombe wäre damit auf geologische Maßstäbe vergrößert und niemand hat so etwas jemals ernsthaft in Erwägung gezogen. Mehr Charme hat die Idee, die Abfälle da zu platzieren, wo sie quasi von selbst in die Tiefe der Erde gezogen werden.
Solche Plätze gibt es. Seit Alfred Wegener wissen wir, dass sich die Kontinente bewegen. Die dicken Kontinentalplatten schieben sich dabei oft über die dünneren Ozeanischen Platten. Anders gesagt: Es gibt Orte, an denen der Ozeanboden unter die Kontinente abtaucht. Allerdings mit der behäbigen Geschwindigkeit eines Kontinents. Die wissenschaftliche Vorliebe für lateinische Begriffe führte für diese Gebiete zu dem Namen “Subduktionszonen”. Wenn man die radioaktiven Abfälle gezielt an der richtigen Stelle platziert, werden sie zusammen mit dem Ozeanboden unter die Kontinente geschoben und damit für jeden relevanten Zeitraum aus unserer Biosphäre entfernt. Damit das funktioniert, muss man den Abfall ein paar tausend Meter im Wasser und schließlich nochmal tief in das Tiefseesediment einbringen. So etwas wäre – vorsichtig ausgedrückt – technisches Neuland. Wenn die Abfälle dann langsam in die Tiefe wandern, werden auch welche kaputt gehen. Zumindest wird es sehr schwer sein, das Gegenteil plausibel zu machen. Man müsste also außerdem sicherstellen können, dass beschädigte Behälter nicht zu einer Gefährdung der Umwelt führen können.
Wenn man alle radioaktiven Abfälle der Welt (inkl. Brennelemente nach einer normalen Lagerzeit) fein zermahlen im Meer verteilen würde, würde das die natürliche Radioaktivität der Ozeane verdoppeln.Da es sich hier allerdings um Stoffe handelt, die zum Teil in Tieren angereichert (also aufkonzentriert) werden, wäre das weitaus bedenklicher als es auf Anhieb klingt. Natürlich würde bei einer Endlagerung in Subduktionszonen auch im schlechtesten Fall nur ein winzig kleiner Teil der Abfälle wirklich im Ozean verteilen. Wie das geschähe, in welchen Lebewesen es sich anreichert und wohin die Meeresströmungen alles wie gut verdünnt transportieren, wird sich kaum zuverlässig sagen lassen. Das Risiko wäre nicht nur schwer zu berechnen, sondern würde auch Länder betreffen, die nie etwas mit Kernkraft zu tun hatten. Internationale Verträge verbieten diese Option daher – und sie wird in der Fachwelt auch nicht wirklich ernsthaft erwogen.
Transformers
Kann man den Abfall denn nicht eleganter unschädlich machen? Zum Beispiel indem man ihn in etwas anderes verwandelt? Jain! Das Stichwort heißt “Transmutation”.
Der Begriff “Transmutation” stammt aus dem Mittelalter. Alchemisten nannten so die Umwandlung eines Elementes in ein anderes. So gesehen findet Tranmutation in jedem Kernreaktor statt, wenn z.B. Plutonium durch den Einfang eines Neutrons durch einen Urankern entsteht. In Wirklichkeit waren Alchemisten (Überraschung!) natürlich von Gold fasziniert und meinten mit dem Begriff auch meist die Umwandlung von Blei in Gold (das Interesse an der reinen Wissenschaft war damals doch eher rar gesät). Für sie hätte es die erste erfolgreiche Transmutation in Jahr 1946 gegeben, als einige Atome des Quecksilbers, dass zur Kühlung des Clementine-Reaktor in Los Alamos verwendet wurde, durch die Neutronenstrahlung tatsächlich in Gold umgewandelt wurden. Zufrieden wären sie mit der Ausbeute aber nicht gewesen.
Heute meint man, wenn man von Transmutation spricht, meist die Umwandlung radioaktiver Elemente mit langen Halbwertszeiten in solche mit kurzen Halbwertszeiten. Damit könnte im Idealfall die Zeit drastisch reduziert werden, die radioaktiver Abfall noch gefährlich ist. Die dafür benötigten Neutronen kämen aus speziell dafür konstruierten Reaktoren oder Beschleunigern (von denen bräuchte man dann aber sehr viele). Soweit klingt es eigentlich nicht schlecht.
Transmutation funktioniert aber nicht mit einem beliebigen Gemisch unterschiedlicher Radionuklide. Das sogenannte “Partitioning”, die Trennung der unterschiedlichen Nuklide des radioaktiven Abfalls, ist etwas, um das man als Vorstufe leider nicht herumkommt. Dafür braucht man im Grunde eine Wiederaufarbeitungsanlage. Alle Argumente gegen die Wiederaufarbeitung sprechen also auch gegen die Transmutation.
Wenn Transmutation zur Lösung des Endlagerproblems beitragen soll, müssen dafür ganz neue kerntechnische Industrieanlagen inklusive Wiederaufarbeitung errichtet werden. Es ist wirklich mehr als zweifelhaft, ob das wirklich sicherer als ein Endlager wäre – von der politischen Durchsetzbarkeit ganz zu schweigen. Es ist auch noch unklar, ob das Verfahren im großen Maßstab funktionieren wird. Bisher baut man an einer europäische Forschungsanlage im belgischen Mol, die in 10 Jahren fertig sein soll. Es gibt derzeit und auf absehbare Zeit noch keine funktionierende Anlage für Transmutation im industriellen Umfang.
Auch wenn die Transmutation funktioniert, wird man dennoch ein Endlager brauchen. Das Verfahren funktioniert nicht zu 100% und nicht für alle Abfallarten und Nuklide. Der Abfall im Endlager mag dann weniger gefährlich sein – sparen kann ich mir das Endlager dennoch nicht.
Überspitzt gesagt kann man mit dieser Technologie – wenn sie denn in der Zukunft im großen Maßstab funktionieren sollte – die immer noch nötigen Endlager etwas einfacher machen – um den Preis der Risiken zusätzlicher nuklearindustrieller Komplexe. Aus heutiger Sicht wäre das wohl ein schlechter Deal und eine unsichere Wette auf die Zukunft. Wir werden uns wohl bis auf weiteres damit abfinden müssen, dass unser Atommüll weiterhin Atommüll bleibt.
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