Dornröschen
Was bleibt dann noch, wenn man kein Endlager will? Man kann den Atommüll an der Oberfläche stehen lassen und bewachen, bis uns eine bessere Lösung einfällt. Wir haben darin einige Jahrzehnte Erfahrung und es scheint bisher ziemlich sicher zu klappen. Und es gibt auch ein Industrieland, das diesen Zeitraum ganz offiziell auf Jahrhunderte ausdehnen will. An der Westerschelde in den Niederlanden hat die Centrale Organisatie Voor Radioactief Afval (COVRA) Lagergebäude errichtet, in denen alle radioaktiven Abfälle für mehr als 100 Jahre zwischengelagert werden sollen. Im Grunde umgehen die Niederlande mit ihrem Konzept erst einmal das Problem, dass für ihr kleines Atomprogramm ein Endlager unverhältnismäßig teuer wäre. Außerdem ist es in dem kleinen und dicht besiedelten Land schwer, einen geeigneten Standort zu finden. Allerdings gehen auch die Niederlande davon aus, dass die Abfälle irgendwann endgelagert werden müssen. Denn bei einer langfristigen Zwischenlagerung an der Erdoberfläche steht man vor einer Reihe ernsthafter Probleme.
Das vielleicht kleinste Problem ist, dass während des gesamtem Lagerzeitraums das nötige KnowHow zum Umgang mit den Abfällen erhalten bleiben muss. Nicht nur theoretisch in Lehrbüchern, sondern auch in der praktischen Anwendung. Außerdem müssen die Lagerstätten durchgehen bewacht werden. Das ist alles nicht unmöglich, bürdet unseren Nachfahren aber finanziell und organisatorisch einiges auf. Es kann darüber hinaus auch eine Menge schief gehen. Es mag nicht einfach sein, geologische Vorgänge für 1 Million Jahre vorherzusagen. Es ist wohl unmöglich, die Entwicklung der Menschlichen Gesellschaft für die nächsten Jahrhunderte vorherzusagen. Gesellschaftliche Umwälzungen, Kriege, terroristische Anschläge, Umweltkatastrophen – die Liste der Gefahren ist lang. Wenn uns dann nach ein paar Jahrhunderten immer noch nichts Besseres eingefallen ist, weiß hoffentlich noch jemand, was Atommüll ist, wo er steht und was man am besten damit macht. Das Vorherzusagen ist schon recht gewagt. Hinzu kommt, dass jede Zwischenlagerung auch immer mit einer Strahlenbelastung verbunden ist. In sehr geringem Maße für die Anwohner und schon weniger vernachlässigbar für die Arbeiter vor Ort. Diese Belastung muss man rechtfertigen können. Sie trifft Menschen, die im Gegensatz zu uns nie einen Nutzen von der Kernenergie hatten. International wird eine zeitlich unbegrenzte Zwischenlagerung nicht als Lösung angesehen.
Der Einäugige unter Blinden
Alle Alternativen zur Endlagerung haben schwere Nachteile. Wer gegen Endlagerung als solches ist, muss schon sehr gut darlegen, wie er diese Nachteile ausgleichen will. Das Internationale Regelwerk z.B. der IAEA und der EU sowie internationale Verträge schreiben mittlerweile die Endlagerung als letzten Schritt vor. Wie die Dinge derzeit stehen, werden wir nicht darum herum kommen, ein Endlager zu bauen.
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Hinweis zum Autor: Dieser Artikel wurde von “Kai” geschrieben: “Ich bin Geowissenschaftler mache in Atommüll. Endlager sind mein Beruf. Das kommt auf Partys nicht so gut wie Chirurg – verschafft aber Aufmerksamkeit von Menschen mit ziemlich festen Ansichten. Ich weiß nicht, ob es nur auf meinem Fachgebiet so ist – aber Wissen und feste Meinung scheinen negativ zu korrelieren…”
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