Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2015. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier. Informationen über die Autoren der Wettbewerbsbeiträge findet ihr jeweils am Ende der Artikel.
——————————————
Manche meinen, der – nunmehr Zwergplanet – Pluto wurde nach Walt Disneys Zeichentrickhund Pluto benannt. Dass dem nicht so ist, auch wenn der Gedanke, einen (damals noch) Planeten nach einer Trickfilmfigur zu benennen, recht nett sein mag, lässt sich leicht herausfinden, wenn man das Datum der Entdeckung Plutos (des Planeten) mit dem Datum der ersten Namensnennung Plutos (des Hundes) vergleicht.
Ab „The Moose Hunt“ von 1931 heißt der bislang namenlose Hund von Micky Mouse „Pluto“. (1)
Inwiefern wirklich die Entdeckung Plutos dafür maßgeblich war, lässt sich nicht hundertprozentig sagen, aber es spricht wenig dagegen. (2)
Venetia Burney Phair, die offiziell als Namensgeberin des Planenten Pluto gilt, äußert sich in einem BBC Interview auch dahingehend: “People were repeatedly saying: ‘Ah, she named it after Pluto the dog’. It has now been satisfactorily proven that the dog was named after the planet, rather than the other way round. So, one is vindicated.” (3)
Offiziell…
Aber, ob die offizielle Geschichte so ganz der Wahrheit entspricht, ist wohl auch stark zu bezweifeln.
Durch einen Zufallsfund auf einem Bücherflohmarkt im April 2011 entdeckte ich etwas, was die ganze Angelegenheit wohl doch nicht ganz so eindeutig macht.
Aber erst mal die „Offizielle Version“:
Nun, wie kam es dazu, dass ein damals elf Jahre altes britisches Schulmädchen einem neuentdeckten Planeten den Namen verleiht?
Die wirklich rührende Geschichte, die überall zu lesen ist und so auch offiziell in die Geschichte der Astronomie Eingang fand, ist schnell erzählt:
Am 18. Februar 1930 wurde von Clyde Tombaugh nach langer Suche ein neuer, bis dato unbekannter Planet entdeckt, indem er von dem Lowell-Observatorium angefertigte Photographien mittels Blinkkomperator verglich. Wichtig in dem Zusammenhang mit der späteren Namensgebung ist der Name des Gründers des Lowell-Observatorium, Percival Lowell (1855-1916) welcher selbst – leider vergeblich nach dem Planeten-X suchte, welcher sich jenseits der Neptunbahn aufhalten sollte.
Da weder „Transneptun“ noch „Planet-X“ brauchbare Kandidaten für den neuentdeckten Himmelskörper waren, wurde entsprechend nach einem passenden Namen gesucht.
Da es damals üblich war, dass der „Entdecker“ – in diesem Fall das Lowell Observatory – dem neuen Planeten einen Namen gibt, gingen bei der Sternwarte mehr als 1000 Vorschläge ein.
Cronus, Odin, Persephone, Erebos, Atlas, Prometheus – ein junges Paar wollte sogar, dass der Planet nach ihrem neugeborenem Kind benannt werde.(4)
Constance Lowell, die Witwe des Sternwartengründers, schlug als Namen Zeus, dann Percival (nach ihrem verstorbenen Mann) und letztendlich ihren eigenen Namen „Constance“ vor. (5)
Keiner dieser Vorschläge erschien den Verantwortlichen geeignet, denn üblicherweise wurden den Planeten die Namen römischer Gottheiten gegeben (wie auch aus „Herschel“ später Uranus wurde, und auch Neptun nicht „LeVerrier“ genannt wird, wobei auch das eine spannende Geschichte an sich ist, welche Irrungen und Wirrungen dem voran gingen).
Schließlich kristallisierten sich drei Namen heraus:
Minerva, Cronus und Pluto.
„Minerva“ war ungeeignet, weil es bereits einen so benannten 1867 entdeckten Asteroiden gab.
„Cronus“ fiel durch, weil der Vorschlag von Thomas Jefferson Jackson See kam, welcher zwar früher am Lowell Observatory arbeitete, aber durch seine arrogante Art in Ungnade gefallen und bereits 1898 entlassen worden war.
Übrig blieb „Pluto“!
Wer nun hatte die Idee zu diesem Namen?
Hier beginnt ein Rührstück, welches so wohl einzigartig ist – aber ob diese Geschichte so ganz der Wahrheit entspricht…
Eines Morgens, man schrieb den 14. März, saß die elfjährige Venetia Burney mit ihrem Großvater in dessen Haus in der Nähe von Oxford beim Frühstück. Dieser Großvater, Falconer Madan, las seiner Enkelin einen Artikel auf Seite 14 der Time über die Entdeckung des lange gesuchten Planeten jenseits der Neptunbahn vor – und, dass jener noch keinen Namen hatte.
„A NEW PLANET
DISCOVERY BY LOWELL OBSERVATORY
(From our correspondent)
NEW YORK, March 13
Professor Harlow Shapley, Director of
the Harvard Observatory, announced to-
day that the Lowell Observatory at Flag-
staff, Arizona, had discovered a ninth
major planet. The planet, which has
not yet been named, is beyond Neptune.
It is probably larger than the Earth, but
smaller than Uranus.
The discovery confirms the belief of
the late Dr. Percival Lowell that such a
planet existed and was in fact the result
of a systematic search of several years in
support of Dr. Lowell’s belief. Professor
Shapley calls the discovery the most
important since the discovery of Neptune
in 1846.
—The Times, Friday, 14th March 1930; p.14.
Da die kleine Venetia sich zu dieser Zeit für die Geschichte der Griechen und Römer interessierte, sich auch in der Schule spielerisch unter anderem mit den Abständen der Planeten von der Sonne beschäftigte, kam ihr der Name „Pluto“ in den Sinn und erzählte dies ihrem Großvater.
Dieser Großvater, welcher ehemaliger Chef-Bibliothekar der Bodleian Library in Oxford und auch zufälligerweise der Bruder von Henry George Madan, welcher, wie es der Zufall so will, der Namensgeber der beiden Marsmonde Daimos und Phobos war, war sofort hellauf von dieser Namensidee begeistert.
Da dieser Großvater einige Bekannte in höheren astronomischen Kreisen hatte, entschied er sich, Herbert H. Turner, welcher ein ehemaliger Astronom am Royal Greenwich Observatory war, in London über die Namensidee seiner Enkelin zu informieren.
Genauer gesagt zufälligerweise, denn eigentlich wollte er seinem Steckenpferd, Nachforschungen über Lewis Caroll (dem Alice im Wunderland-Erfinder) an der Bodleian Library nachgehen, und hinterließ seinem Freund Turner in dessen Haus eine Nachricht bezüglich des Namensvorschlages seiner Enkelin.
Und wie es der Zufall so will, befand sich Professor Turner gerade auf einer Konferenz der Royal Astronomical Society in London, wo sich die versammelten Herren just mit der Frage beschäftigten, welchen Namen man wohl dem neu entdecktem Planeten geben könnte…
Jener Turner entsandte am 15 März, also nur einen Tag später, ein Telegrammen an das Lowell Observatorium in Flagstaff, Arizona mit genau diesem Namensvorschlag, welchen er für vorzüglich geeignet empfand: Pluto!
Und, welch Zufall – niemand anderes hat jemals zuvor unter all den 1000 und mehr Namen an „Pluto“ gedacht:
„None of them came up with Pluto. That was another stroke of luck,“ (7)
„They were all thinking about names, but for some reason, none of them thought of Pluto.“ (8)
Am 1. Mai 1930 war es dann offiziell, Vesto Slipher, der Direktor des Lowell Observatoriums gab bekannt, der neue Planet heißt: Pluto!
(6)(7)(8)(9)
Doch zufälligerweise entdeckte ich auf einem Flohmarkt einen wunderschönen Halblederband in Braun und Blau von Dr. R. Buschick „Sternenkunde und Erdgeschichte“, in welchem auf Seite 232 steht:
„Störungen in der Neptun- und Uranusbahn lassen einen Planeten vermuten – manche Forscher nehmen sogar zwei an – , der noch weiter draußen im Raume die Sonne umkreist. Man hat schon seine Massen, ja den mutmaßlichen Standort berechnet, auch der Name ist gegeben:
Pluto
alles ist vorhanden, nur der Stern fehlt noch. Es bleibt rätselhaft, warum seine Entdeckung noch nicht gelungen ist.“ (10)
Pluto, ja klar… Natürlich heißt der so.
Moment, das Buch ist von 1927 – also drei Jahre vor der Entdeckung, drei Jahre vor der Namensgebung durch ein kleines Mädchen.
Irgendetwas stimmt da nicht!
Die nächsten Jahre über suchte ich mir aus dem Literaturnachweis (bei Buschick) ein Buch um das andere zusammen – in Antiquariaten, online und ganz real zwischen staubigen Regalen.
Bei Max Valier wurde ich erneut fündig. In „Der Sterne Bahn und Wesen“ steht da auf Seite 206:
„Lau findet schließlich für „Pluto-I“ 46,5 AE, für „Pluto-II“ 71,8AE, die Masse des ersten zu ½ Neptun, des zweiten zu 1/5 Neptun. Danach sollte wenigstens Pluto-I im Bereich mittlerer Fernrohre liegen. Nach Lau ähnelt das System Uranus-Neptun-Pluto-I dem der drei ersten Jupitermonde. …
Es bleibt rätselhaft, warum die Entdeckung Plutos noch nicht gelang.“ (11)
Und dies in einem Buch aus dem Jahr 1926!
In der Erstauflage von 1924 dieses Buches des zukünftigen deutschen Raketenpioniers (12) war allerdings noch nichts von Pluto zu lesen – dort steht noch brav „Transneptun“ – in der zweiten Auflage im Stichwortverzeichnis S.513 findet sich jedoch „Pluto = Transneptun 206.“
Irgendwann nach 1924 muß Max Valier auf den Namen „Pluto“ für den Planeten gestoßen sein, der zu jenem Zeitpunkt weder entdeckt war, noch einen Namen hatte… Falsch, den Namen hatte er ja schon: Pluto!
Nun ist wohl so, dass doch zumindest im deutschsprachigen Raum in einem (zugegebenen mit der Welteislehre verschwurbelten) Buch Valiers von dem (sic!) Planeten Pluto eindeutig die Rede ist.
Der Band von Buschick (welcher auch eine zweite Auflage erlebte – und heute sehr günstig und einfach antiquarisch zu beziehen ist) richtete sich sogar an eine noch breitere Masse an Lesern, die so lange vor seiner Entdeckung und Benennung von Pluto als Pluto erfuhren.
Falsch ist jedenfalls die weit verbreitete und fast überall zu lesende Fassung, dass niemand jemals vor der elfjährigen Venetia auf den Namen Pluto gekommen wäre – ob das nun an Vergesslichkeit oder Ignoranz lag, lässt sich heute wohl nicht mehr in Erfahrung bringen.
Weitere Recherchen welche ich unternahm, erbrachten bislang nur, daß zum Beispiel im Jahre 1897 ein französischer Astrologe (sic!) Fomalhaut (bürgerlicher Name Charles Nicoullaud) in einem seiner Bücher schrieb: “Es gibt einen Planeten jenseits von Neptun, der Pluto heißt” (13)
Noch früher, allerdings auch wesentlich obskurer, tauchte 1818 bei dem Astrometeorologen Christian Daniel Gerdum der Name Pluto für einen Planeten auf. (14)
Auch kann man mittlerweile in der deutschsprachigen Wikipedia seit einiger Zeit lesen:
„Der Namensvorschlag Pluto für den gesuchten neunten Planeten kam erstmals bereits 1919 von dem französischen Astronomen P. Reynaud, doch daran konnte sich 1930 niemand mehr erinnern.“ (15)
Aber selbst, wenn man von den astrologischen Quellen absieht, es sind genug astronomische Quellen und Belege vorhanden und es bleibt erstaunlich rätselhaft, wie der Name Pluto für genau jenen Transneptun trotzdem so komplett in Vergessenheit geraten und als Idee einer elfjährigen Britin wieder auftauchen und in den Vereinigten Staaten dann offiziell ans Tageslicht treten konnte.
Wer immer Pluto seinem Namen gab, Venetia Burney – offizielle Geschichtsschreibung hin und rührseelige Geschichte her – war es ursprünglich wohl nicht.
(1) Smith, Dave. Disney Trivia from the Vault: Secrets Revealed and Questions Answered. New York: Disney Editions, 2012.
(2) Brasch, Walter M. (1983). Cartoon Monickers: An Insight into the Animation Industry. Bowling Green, OH: Bowling Green University Popular Press. p. 69.
(3) https://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/4596246.stm
(4) https://www.space.com/860-finding-pluto-tough-task-75-years.html
(5) https://www.discoveryofpluto.com/pluto05.html
(6) https://inamidst.com/notes/venetia
(7) https://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/4596246.stm
(8) https://www.nasa.gov/multimedia/podcasting/transcript_pluto_naming_podcast.html
(9) https://www.daviddarling.info/encyclopedia/T/Turner.html
(10) Dr. R. Buschick „Sternenkunde und Erdgeschichte“ Verlegt bei Georg Dollheimer in Leipzig 1.Auflage 1927 (Halbleder), 2.Auflage 1927 (Ganzleinen) Beidemal S.232
(11) Max Valier „Der Sterne Bahn und Wesen“ R. Voigtländers Verlag / Leipzig 1.Auflage 1924 (Ganzleinen) S.236 / 2.vollständig umgearbeitete Auflage 1926 (Ganzleinen) S.206
(12) Gartmann „Träumer Forscher Konstrukteure“, Econ Verlag GmbH 1957 S.135 ff
(13) Manuel d’astrologie sphérique et judiciaire. 332 Seiten. Paris, Édition Vigot Frères, 1897, https://www.astro.com/astrowiki/de/Charles_Nicoullaud
(14) https://wiki.astro.com/astrowiki/de/Pluto
(15) https://de.wikipedia.org/wiki/Pluto
————————————————-
Hinweis zum Autor: Dieser Artikel wurde von Joachim geschrieben: “Obwohl ich mich von Klein auf an sehr für Astronomie interessierte bog ich irgendwann zu früh in eine komplett andere Richtung ab – statt Interesse dominierte Talent – und ich wurde Künstler (siehe www.kynstla.de), oder was auch immer mit dem ich heute mein Brot verdiene – das Interesse und die Begeisterung für die Astronomie schwand nie 🙂 Daher auch endlich nach jahrelangen Anlauf dieser Text – auf die letzten paar Minuten :-)”
Kommentare (35)