Wenn eine Schiffsschraube das Gerüst eines Riffes bildet, reicht aber ein Durchmesser von 20-40 cm um deren Funktion auszuschalten. Die mechanische Ablösung mit einer Spatel oder einem speziellem Handschuh ist zwar nicht schwierig, umständehalber aber dennoch eine garstige, unappetitliche Arbeit. Wenn man ein Röhrenbüschel vom Untergrund ablöst zerfällt es in tausende kleine Teile, die sich nebelartig im Wasser verbreiten. Da finden sich Kalksplitter, Würmer und Wurmreste sowie viele kleine Ruderkrebschen, die mit dem Ficopomatus offenbar in Symbiose leben. Diese Partikel sinken dann nicht nur zum Grund, sondern haften auch in allen kleinsten Ritzen und Fältchen, so auch beim tauchenden Primaten. Und zwar wirklich überall! Fluchen unter Wasser klingt lustig.
Nicht nur Freizeitkapitäne ärgern sich über den Wurm. Es wurde berichtet, dass Wehranlagen und Schleusen schon außer Betrieb gesetzt wurden. Wegen des bevorzugten Habitats haben die Würmer nur wenige Feinde. Euryhyaline Bewohner gibt es halt nicht viele. In dem Adriahafen konnte ich nur die Großkopfmeeräsche als Gegner ausmachen. Diese Fische fallen durch ihr Fressverhalten in der warmen Jahreszeit auf, weil sie mit breit geöffnetem Maul, das auf und zuklappt die Wasseroberfläche abfiltern, sie nehmen dabei organische Substanzen auf dem Wasserfilm auf. Aussehen tut das, als ob sie nach Luft schnappen würden. Ansonsten grasen sie die Algen ab. Nur sporadisch wenden sie sich den Ficopomati zu. Sie rammen mit der Schnauze die Riffe und schnappen sich dann aus dem Teilchenregen die organischen Happen raus. Ein weiterer Feind ist der Mensch. Der hat jahrtausendelange Erfahrung unliebsame Lebewesen zu eliminieren, einschließlich und speziell die eigene Spezies betreffend. Und er hat erschreckend viel und erfolgreiche Ergebnisse erzielt. Gegen den Ficopomatus hat er aber nur eine mögliche Strategie: Simple mechanische Entfernung der Riffe.
Die Fortpflanzung des Kalkröhrenwurms geschieht angeblich sowohl geschlechtlich als auch ungeschlechtlich. Die Larven gehören zum Mikroplankton. In warmen Gewässern gibt es mehrere Zyklen pro Jahr. Während der Primat nach seinem Tauchgang sich unter der Dusche sorgfältig zu reinigen versucht setzen sich schon wieder zigtausende junge Ficopomati an den Messingteilen seines Bootes fest, um neue Röhren zu bauen. Die nur 2 mm im Durchmesser haltenden Röhren werden von dem ca. 2 cm langen Wurm mit einer Geschwindigkeit von 2,5 cm im Monat aufgebaut. Hochgerechnet auf 500 Mio Jahre würde ein einziger fiktiver Ficopomatus alleine bereits eine Menge von Kalk gebildet haben. Als Fossil findet sich kein Ficopomatus, dazu ist er zu fragil, von ihm bleibt nichts Identifizierbares über. Es ist aber anzunehmen, dass er so wie andere Serpuliden seit mehreren Hundert Mio Jahren die Erde bevölkert. Unter den Kalkgesteinen gibt es u.a. den Serpelit, der seinen Namen von ihnen erhielt.
In einigen Millionen Jahren werden die Reste der Riffe gemeinsam mit den Schalen anderer Kalkbildner wie Muscheln und Schnecken zusammengepresst und aufgetürmt einen Teil der südlichen Kalkalpen bilden und einige winzige Krümel dieses Massivs werden von sich sagen können, sie wären in ferner Vergangenheit einmal von einer Schiffsschraube abgekratzt worden.
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Hinweis zum Autor: Dieser Artikel wurde von “meregalli” geschrieben: “Bewohner der südlichen Kalkalpen, der beruflich nur mit Fingerwürmern zu tun hat.”
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