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Im Jahr 1812, in Manchester, England: Reverend William Hay erhielt von einem jungen Mann eine beunruhigende Nachricht. Einige Männer hätten ihn angesprochen und gefragt, ob er nicht „mitmachen“ wolle. Für Hay stand fest: Der junge Mann wurde von den so genannten Ludditen rekrutiert, einer Gruppe von rebellierenden Arbeitern, die seit einiger Zeit den Norden Englands durch Sabotage von Webstühlen und sogar Morden in Aufruhr versetzten. Wer diese Ludditen waren, wusste keiner so genau. Dennoch war sich die Obrigkeit sicher, dass mehr dahinter stecken musste als die Umtriebe einer Bande von Kriminellen. Es gab nämlich berichte, dass dies nur der Anfang sei. Die Ludditen würden nämlich gemeinsam mit irischen Katholiken und sogar revolutionären Franzosen eine Invasion des Königreichs vorbereiten. Beweise dafür gab es praktisch keine. Trotzdem schienen viele Briten fest von der Existenz dieser Gefahr überzeugt gewesen zu sein. Heute würden wir sagen: Sie glaubten an eine Verschwörungstheorie.
Was ist eine Verschwörungstheorie?
Verschwörungstheorien sind uns zu genüge bekannt. Es scheint so, als hätten sie in den letzten Jahren viele neue Anhänger gewonnen. Zumindest erwecken zahllose Internet-Diskussionsgruppen und Debunking-Seiten diesen Eindruck: Die BRD ist nur eine GmbH, Impfungen sind eine Erfindung der Pharmaindustrie und die Kondensstreifen von Flugzeugen Teil eines Plans zur Schaffung einer neuen Weltordnung.
Was eine Verschwörungstheorie ist und was deren Verfechter antreibt, wird sowohl im Allgemeinen als auch von Wissenschaftlern überraschend knapp beantwortet. Verschwörungstheorien werden vornehmlich als eine Narrationen aufgefasst, mit deren Hilfe komplexe Vorgänge und Prozesse auf einen einfachen Nenner gebracht und so für den Einzelnen verständlich sowie begreifbar werden. Sie dienen somit der Reduktion von Komplexität. Sie werden weiterhin „falsches Wissen“ beschrieben: Wer einer Verschwörungstheorie anhängt, verfügt nur über begrenztes Wissen. Solche Theorien entstehen demnach aus Unwissenheit, Ignoranz oder intellektueller Unfähigkeit. Der Verschwörungstheoretiker gilt folglich als ungebildet, unaufgeklärt und häufig sogar als mental Instabil.
Zwar sind diese Aussagen nicht gänzlich falsch. Als Erklärung sind sie auf Dauer dennoch unbefriedigend. Dass Verschwörungstheorien komplexe Zusammenhänge auf einen einfachen Nenner reduzieren und dass sie die Wirklichkeit massiv vereinfachen, ist offensichtlich. Folgt man darüber hinaus der Systemtheorie, dann ist Komplexitätsreduktion nicht etwa die Ausnahme, sondern der Regelfall: Um sozial interagieren zu können, muss Komplexität reduziert werden. Was konkret also leisten Verschwörungstheorien?
Mit einer kurzen Episode aus der britischen Geschichte möchte ich das Phänomen aus einer anderen Perspektive beleuchten. Dazu werde ich Verschwörungstheorien nicht einfach als „falsches Wissen“ verstehen, wie dies bisher meistens getan wurde. Anstelle aufzuzeigen, wo sich die Verschwörungstheoretiker irrten und wie es „eigentlich gewesen ist“, geht es mir darum Aspekte hinter dem Glauben an eine solche Theorie zu beschreiben. Ich werde weniger auf diejenige eingehen, die sich Verschworen haben, sondern mir vor allem ansehen, wie seitens der damaligen staatlichen Behörden, den Magistraten, über diese angeblichen Verschwörer geschrieben wurde.
Der Ansatz basiert dabei auf einer Idee des Historikers Richard Hofstadter. Er brachte in den 60ern den Begriff „paranoid style“ ins Spiel. Anders als „paranoid“ suggeriert, soll dieser Begriff aber keine psychologische Beschreibung bieten: Der „[paranoid style] has to do with the way in which ideas are believed and advocated rather than with the truth or falsity of their content.“(1) Oder anders gesagt: Ob es die Verschwörung tatsächlich gegeben hat, ist erstmal zweitrangig. Von Interesse ist viel mehr wie aus Beobachtungen eine Verschwörungstheorie konstruiert wurde, wie diese dann kommuniziert wurden und welche Konsequenzen sich im jeweiligen Kontext daraus ergaben.
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