Die Ausgangslage
Ungefähr seit November 1811 erreichten das Home Office – mehr oder weniger das damalige britische Innenministerium – zahlreiche berichte von Magistraten aus den Regionen Nottinghamshire, West Riding of Yorkshire sowie Lancashire. In ihren Briefen erzählten sie von aufgebrachten Arbeitern, Unruhen und Aufständen, vor allem aber von Angriffen auf Webstühle sowie von vereinzelten Morden. Die Aufständischen wurden bereits von den Zeitgenossen als Ludditen bezeichnet. Der Name basiert auf dem Pseudonym Ned Ludd, welches die Arbeiter verwendeten um in Briefen anonym Kritik an der Obrigkeit zu äußern – in etwa eine Art Robin Hood der frühen Arbeiterklasse. Die Obrigkeit griff diesen Namen auf und bezeichnete die Aufständischen kurzerhand als Ludditen.
Wer diese Ludditen waren ist bis heute nicht genau geklärt. In der Forschung besteht aber zunehmend Einigkeit darin, dass es sich nicht um eine organisierte Bewegung handelte, wie der Begriff unterstellt und viele Zeitgenossen glaubten. Statt dessen scheint es sich bei den Aufständen eher um regionale Unruhen gehandelt zu haben, die nur lose miteinander in Verbindung standen und auch nicht unbedingt außergewöhnlich waren. Die Perspektive der Historiker stand den Magistraten jedoch nicht zur Verfügung, sondern lediglich die der teilnehmenden Beobachter.
Bei diesen Magistrate handelte es sich nicht um ausgebildete Staatsdiener. Sie waren Laien, die zur Selbstverwaltung eingesetzt wurden. In ihren Zuständigkeitsbereich gehörte vor allem die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Hier hatten sie prinzipiell freie Hand, allerdings standen ihnen nur begrenzte Mittel zu Verfügung. Eine Polizei oder gar Ermittlungsbehörden gab es nicht – so etwas galt als Einschränkung der Freiheit – und daher blieben die Magistrate auf eigenens angeheuertes Personal angewiesen. Im Ausnahmefall konnten sie das Home Office um militärische Hilfe bitten, welches diese allerdings nur widerwillig gewährte: Mit lokalen Angelegenheiten wollte man sich in London nur ungern beschäftigen, gleichwohl man regelmäßige Berichte über die aktuelle Lage erwartete. So bestand das, was die Magistrate über die aufständischen Arbeiter berichteten, letztlich aus Hörensagen, eigenen (zufälligen) Beobachtungen, unzuverlässigen Zeugenaussagen und Berichten von dubiosen V-Männern. Systematische Ermittlungen waren kaum möglich. Ein guter Nährboden also für Spekulationen und Gerüchte.
Die Beobachtungen der Magistrate
Über das, was die Magistrate meinten gesehen zu haben, sind wir relativ gut informiert: Im britischen Nationalarchiv lagern unzählige Briefe, die so genannte Disturbance Correspondence, welche die Magistrate an das Home Office verfasst haben.(2) Darin schildern sie unter anderem, was sie über die Ludditen in Erfahrung bringen konnten. Nimmt man die Berichte wörtlich, so scheinen viele Magistrate überzeugt gewesen zu sein, es mit einer umfassenden Gefahr zu tun zu haben.
Sie machten zunächst ökonomische Gründe für die Unruhen verantwortlich. Die angespannte wirtschaftliche Lage, verursacht durch den anhaltenden Krieg gegen Napoleon sowie die Einführung neuer Maschinen in die junge Textilindustrie, führten in weiten Teilen des Nordens Englands zu hohen sozialen Spannungen. Ungeachtet dessen blieb das Verständnis für die Aufständischen gering. Die Arbeiter wurden regelmäßig als “disaffected” und “wicked” oder “lawless mob” beschrieben, der diabolische Taten beging und “terror” über die unschuldigen Bewohner bringen würden.
Einige Magistrate maßen den Ereignissen letztlich nur temporäre Bedeutung bei: Wenn sich die ökonomische Lage verbessere, würden sich die Arbeiter wieder beruhigen, meinten einige. Die Mehrheit glaubte jedoch in den Unruhen ein Muster zu erkennen. Dies wäre durchaus ungewöhnlich: Es galt die Vorstellung, dass Arbeiter eher kopflos agierten und nicht fähig waren sich auf längere Zeit zu organisieren. Die Beschreibung des Magistrats Georg Coldham musste daher für Aufsehen gesorgt haben: „Es geschieht immer zwischen 6 Uhr abends und 6 Uhr morgens. Die Gruppe versammelt sich vor einem Haus und wartet auf den richtigen Zeitpunkt um loszuschlagen, wenn man meinte, die Patrouillen wären abwesend“
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