In diesem Zusammenhang ist gerade das Leisten eines Eides, wie es Hays Zeuge „Mi“ beschreibt, von großer Bedeutung. Das Schwören war eine äußerst heikle Angelegenheit. Der Eid ist in vormodernen Gesellschaften, die sich nicht durch Schriftlichkeit organisieren, d.h. mit öffentlichen Unterlagen, Verträgen, Unterschriften und dergleichen, nämlich ein zentraler Akt. Er gilt zu dieser Zeit als ein konstitutives Element in der Politik und der Rechtsprechung – als „Sakrament der Herrschaft“.(3) Da als Zeuge in der Regel Gott als strafende Instanz aufgerufen wurde, war das Schwören eines Eides nichts, was man leichtfertig vagen konnte. Wer freiwillig Teil einer conjuratio – grob übersetzt einer Verschwörung – wurde, der musste, so die Annahme, etwas Gefährliches vorhaben und die dunkelsten Absichten verfolgen. Der Eid über den “Mi” berichtete galt daher in der Rechtsprechung als ein großes Vergehen mit „schweren Konsequenzen für die Sicherheit des Königreiches“.(4) Das Ziel einer solchen Verschwörung konnte nur darin bestehen dem Königreich zu schaden. Das Schwören führte zwangsläufig zum „schwersten aller Verbrechen“, nämlich Hochverrat (high treason).
Die Szenarien, die die Magistrate beschrieben haben, waren aus damaliger Sicht durchaus Glaubwürdig. Auch dass Katholiken, wie die Iren am Umsturz des Königreiches arbeiten würden, galt seit Jahrhunderten als erwiesen. Ebenso war die Angst vor einer Invasion ein immer wiederkehrendes Schreckensszenario. Für viele Briten waren derartige Schilderungen daher keineswegs aus der Luft gegriffen.
Gegen eine solche Bedrohung, eine Verschwörung im Bunde mit den Feinden des Landes, vorzugehen schien dringend geboten. Es überrascht daher nicht, dass die Schilderungen vieler Magistrate letztlich darauf hinaus liefen solchen Anliegen Nachdruck zu verleihen. Es sei „unumgänglich für den Frieden und die Sicherheit der Stadt und der Nachbarschaft, sofort eine effizientere militärische Kraft zu mobilisieren und diese den Magistraten zu unterstellen.“ Andere Magistrate forderten mehr Befugnisse. Sie merkten an, dass es massiven illegalen Waffenbesitz gäbe, aber mit den bestehenden Gesetzen hätten sie keine Möglichkeit diese zu suchen und zu beschlagnahmen. Das Parlament müsse daher die Befugnisse der Magistrate erweitern.
Die Politik der Verschwörungstheorie
Viele Elemente scheinen uns heute vertraut: Die Verschwörer wurden nie klar benannt, sondern es blieb bei vagen Szenarien mit einer klaren Einteilung in Gut und Böse. Man unterschied lediglich zwischen der breiten Masse und den Drathziehern mit ihren dunkelen Absichten. Es stand am Ende unumstößlich fest, dass dem britischen Staat eine große Gefahr drohe. Aus einzelnen Versatzstücken und Beobachtungen wurde so ein umfassendes Bedrohungsszenario kreiert.
Mit Hilfe des Verschwörungsgedankens ließ sich also auch hier eine unübersichtliche Sachlage in eine einfache Erzählung verpacken. Doch es geschieht noch mehr: Durch die Beschreibung als Verschwörung wird die Situation nicht nur begreifbar, sondern aus den Aufständen wird gleichsam ein hochgradig krimineller Akt: Hochverrat galt als eines der höchsten Verbrechen. Dabei ging es nicht mehr nur um bereits begangene Taten: Allein der Plan solche Taten zu begehen war strafbar.
Aber haben die Magistrate wirklich geglaubt, was sie gesehen und geschrieben haben? Hätten sie besser nachgeforscht, dann hätte ihnen doch auffallen müssen, dass die Beweislage auf wackeligen Beinen stand. Oder wollten sie aus reiner Machtbesessenheit mit Hilfe des Verschwörungsszenarios Angst schüren? Über die tatsächlichen Motive der Magistrate lässt sich nur spekulieren. Würde man jedoch die Sache mit dem Verweis auf deren Unfähigkeit beenden, übersieht man einen wichtigen Aspekt: Hinter der Beschreibung als Verschwörung steht in diesem Kontext eine politische Funktion. Mit dem Verschwörungs- und Verratsvorwurf wird ein Bedrohungsszenario konstruiert aus dem sich politischer Handlungsbedarf ableitet: Der Ruf nach Reformen, nach neuen Befugnissen und so fort. Es ist daher erstmal zweitrangig ob oder inwiefern es die Verschwörungen wirklich gegeben hat. Mit Hilfe eines Verschwörungsszenarios ließ sich ein lebendiges Bild einer unmittelbar bevorstehende Krise heraufbeschwören. Aus dieser Krise ergaben sich drastische Folgen für das gesamte Land. Nur wenn harte Maßnahmen ergriffen würden, bestehe die Chance eine Katastrophe zu verhindern.
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