Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2015. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier. Informationen über die Autoren der Wettbewerbsbeiträge findet ihr jeweils am Ende der Artikel.
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Ich bin hier in mir, und die Welt ist überall sonst.
Es ist nicht relevant für meinen Alltag, was in der Atmosphäre des Jupiter passiert oder im Zentrum von Andromeda oder auf der gegenüberliegenden Seite der Erde oder in den Atomen meines Körpers. Dinge, die sich der Wahrnehmung entziehen, sind nicht relevant. … Jedenfalls solange nicht, bis man sich mit ihnen beschäftigt. Denn diese Dinge passieren, es passiert ständig irgendwas überall! Und _dass_ es passiert, dass es _überall_ passiert, dass es ein so weites und tiefes “Überall” überhaupt gibt, das ist das Absurdeste und Schönste, was man sich vorstellen kann. Und wenn man es sich vorstellt, dann streckt und spannt sich der Gedanke in kurzen, energischen Ausdehnungsversuchen, und zuckt dabei immer wieder weit über das hinaus, was wir gewohnt sind – zum Beispiel hin zu dem Gefühl, auf einem rasenden Felsen um einen Stern unterwegs zu sein, oder zur Gewissheit, dieser Stern sei einer von Milliarden weit verstreuter Nachbarn, oder zur vagen Vorstellung, diese Nachbarn und ihre rasenden Felsen seien durch eine Eigenschaft miteinander verbunden, die sie genauso zuverlässig umeinander kreisen lässt, wie sie zuverlässig Raum und Zeit verformt… Irre und absurd und schön!
Je größer meine Neugier und mein Wissen und meine Freude daran, sich die Gedanken ausdehnen und strecken zu lassen, desto größer wird ihre Bandbreite. Es sind erstmal kurze Freuden, denn so ein gestretchter Gedanke schnellt leicht zurück. Das ist gut so, denn auf Dauer wäre es auch nicht sehr alltagstauglich, beim Anblick der einen oder anderen Sonne jedesmal vor Ehrfurcht zu erstarren oder sich sich ständig beim Gedankenstrecken zu beobachten wie ein Muskelflexer vor dem Spiegel. Obwohl es da eine Parallele gibt, denn das Strecken lässt sich üben, die Gedanken werden flexibler und unsere Vorstellung von der wirklichen Welt und ihren Zusammenhängen weitet und vertieft sich, je mehr wir uns mit ihr beschäftigen. Sie wird verfügbarer, präsenter, und damit nun doch richtig relevant. Ganz konkret im Alltag. Nicht für einen Wissenschaftler, der sich damit jeden Tag befassen muss, sondern für den normalen “Erleber”, der diese neue Vorstellung gerade in dem Maße von den Erkenntnissen (und Mitteilungen) der Wissenschaft nähren kann, wie es für ihn verdaulich ist.
Gut genährt, kann diese ausgedehnte Vorstellung von der Wirklichkeit der Welt einiges leisten. “Ich bin hier in mir, und die Welt ist überall sonst.” Das klingt nach zwei getrennten Welten, und selbst wenn man seine Innenwelt noch überschaubar findet, ist zumindest die andere, die äußere, das “Ganze” in seiner Weite und Tiefe, zu groß um sich ihm verbunden zu fühlen. Und hier kommt die neue, ausgedehnte Vorstellung ins Spiel – etwas unerwartet, wenn man es zum ersten Mal erlebt. Denn mit jedem Stück Verständnis für die Schwerkraft oder die Evolution oder die Kernfusion (und schon das Wissen, _dass_ sie passiert, ist, vom Nichtwissen kommend, ein gewaltiges Stück Verständnis), ändert sich auch ein wenig unser Standpunkt, unser Schwerpunkt, unsere Bedeutung vor uns selbst, ganz privat und emotional. Da ist zum Beispiel dieses weite, irre Gefühl, nach einem langen Irgendwann in einem kleinen Irgendwo aufgetaucht zu sein und ein Stück der großen Universumsshow mitzuerleben, ja sie sogar ein bißchen verstehen zu können! Dann wäre da noch diese kribbelige, bodenständige Empfindung, von außen bis innen durchweg aus der gleichen Materie zu bestehen, aus der alles andere (zumindest das sichtbare :)) besteht. Von der Entzückung, Sterne hätten diese Materie erst aufwendig zusammenfusionieren müssen, mal ganz zu schweigen!
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