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In wissenschaftsphilosophischen und -theoretischen Diskussionen kann es zuweilen hoch hergehen, insbesondere dann, wenn solche nach 22 Uhr abends auf Cocktail-Partys zwischen Naturwissenschaftlern und denjenigen, die der Nüchternheit und Stringenz der wissenschaftlichem Methode weniger Vertrauen entgegenbringen, stattfinden. Nicht selten entzündet sich der Streit um einen Standpunkt, nach welchem jegliches physikalisches, biologisches oder gar gesellschaftliches System in seinen Eigenschaften vollständig durch die Merkmale seine Einzelbestandteile bestimmt werden kann. Die philosophische Terminologie bezeichnet diese Auffassung als „Reduktionismus“. Der Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg hat sie einmal folgendermassen zusammengefasst:
Wenn die Wissenschaft abgeschlossen ist, werden alle Erklärungspfeile abwärts zeigen, von den Gesellschaften zum Menschen, von dort zu den Organen (wie dem Gehirn), zur Biochemie, zur Chemie und letztlich zur Physik und der endgültigen Theorie der Natur.
Im öffentlichen Diskurs (unter den auch die erwähnten Cocktail-Partys zu zählen sind) erhält dieser Begriff jedoch allzu oft eine eher verschwommene Bedeutung. Zumeist ist er in polemischer Absicht stark negativ konnotiert und wird von seinen Gegnern mit ebenso negativen Begriffen wie „Materialismus“ (alle Phänomene der Welt lassen sich auf Materie und deren Gesetzmässigkeiten reduzieren) oder „Szientismus“ (alle Phänomene und sinnvolle Fragen lassen sich ausschliesslich mit naturwissenschaftlichen Methoden erfassen) gleichgesetzt. Max Weber „Entzauberung der Welt durch die Wissenschaft“ zitierend wird argumentiert, dass die zunehmend umfassender arbeitenden Naturwissenschaften immer mehr Bereiche der menschlichen Lebenswelt besetzen und dabei nicht-naturwissenschaftliche Beschreibungsweisen entwerteten. Zuletzt wird der Reduktionismus dann gar zu einem Dogma einer „imperialistisch verfahrenden Wissenschaft“. Als Gegenposition dazu gilt das philosophische Konzept des „Holismus“. Diese fordert eine ganzheitliche Betrachtung und fasst dies zusammen in dem vielzitierten Satz „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile”.
Die Auseinandersetzung zwischen Reduktionismus und Holismus reicht zurück bis in die Zeit der europäischen Aufklärung und die an sie angrenzenden Epoche der Romantik. Während so mancher Aufklärer in der Euphorie der neuen Newton‘schen Naturbeschreibung so weit ging, Tiere oder gar Menschen als reduktiv erklärbare Automaten zu sehen (am deutlichsten wohl Julien Offray de La Mettrie in seinem Werk „L’homme machine“ (1748; zu Deutsch: „Der Mensch als Maschine“)), betonten die Romantiker eine oft als mystisch bezeichnete Erfahrung des „Gefühls, Bestandteil eines grösseren Ganzen“ zu sein. Letztere formulierten die philosophische Vorstellung eines Zusammenfalls der Gegensätze zu einer Einheit, in der sich zuletzt jenseits aller augenscheinlicher Dualität die Widersprüche zwischen scheinbar Unvereinbarem auflösen sollten (solche sich zuletzt auf höherer Ebene vereinigende „Polaritäten“ waren generell ein wichtiger Bestandteil des Denkens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts). Vorläufer diese Auffassung finden wird aber bereits in den Fragmenten der Vorsokratiker wie Parmenides oder Heraklit, wo sich Gegensätze von Sein und Nicht-Sein auflösen, bei mittelalterlichen Mystikern wie Meister Eckhart und Cusanus, bei denen eine solche Einheit die Allgegenwärtigkeit Gottes beschrieb, welcher zugleich den Ort dieser Einheit darstellte, sowie in den Mahayana-buddhistischen Lehren des bedingten Entstehens (pratityasamutpada). Bezüge zu transzendenten Entitäten wie in der mittelalterlichen christlichen Mystik oder der Romantik im 19. Jahrhundert (sowie in Teilen der heutigen „New Age“-Bewegung) sind für Wissenschaftler allerdings nur sehr schwierig zu erfassen und methodisch zu akzeptieren. Sie argumentieren daher oft im Gegenzug, dass anti-reduktionistische Intuitionen durch veraltete metaphysische und theologische Vorurteile motiviert seien.
Dieser Diskussion ist in den letzten Jahren eine interessante neue Dimension hinzugefügt worden, und zwar – nicht ganz der Ironie entbehrend – von Seiten der mit dem Reduktionismus bisher am engsten verbundenen Disziplin: der Physik. Der in diesem Zusammenhang geprägte Begriff ist unterdessen zu wissenschaftsbegrifflicher Prominenz gekommenen: „Emergenz“. Emergent ist ein System, wenn es Eigenschaften besitzt, welche sich prinzipiell nicht aus den Eigenschaften seiner einzelnen Systemkomponenten ableiten lassen, was die Möglichkeit einer Reduktion zuletzt grundsätzlich ausschliesst. Beispiele aus der Physik sind Paramagnetismus (spontane Magnetisierung eines Stoffes in einem externen Magnetfeld), Supraleitung, Suprafluidität (Zustand einer Flüssigkeit ohne jede innere Reibung), Phasenübergänge (wie Gefrieren oder Schmelzen von Wasser), der fraktionale Quanten-Hall-Effekt, sowie einige andere quantenphysikalische Phänomene. Sie finden allesamt in makroskopischen Systemen statt, in denen nur wenige Grössen das Verhalten von Vielteilchen-Systemen bestimmen, die sehr plötzlich ihre Grösse ändern können, so genannte „Ordnungsparameter“. Auch viele Eigenschaften von Festkörpern wie Festigkeit oder Elastizität entstehen erst im Zusammenschluss sehr vieler Atome. Für einzelne Teilchen müssen wir diese Begriffe als schlicht sinnlos erachten.
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