Die zweite Erklärung der Gezeiten die man oft zu hören bekommt ist ein wenig komplizierter. Man muss sich zuerst einmal klar machen, dass die Gravitationskraft vom Abstand abhängt. Stellen wir uns die Erde und den Mond vor. Dann gibt es auf der Erdoberfläche einen Punkt, der genau unter dem Mond liegt und der demnach auch von allen Punkten der Erdoberfläche dem Mond am nächsten ist. Genau so gibt es auf der gegenüberliegenden Seite der Erde einen Punkt, der von allen Punkten vom Mond am weitesten entfernt ist. Dazwischen liegt der gesamte Durchmesser der Erde: fast 13.000 Kilometer.
Diese Distanz sorgt dafür, dass die Gravitationskraft des Mondes auf den ihm nahe gelegenen Punkt stärker wirkt als auf den entfernten Punkt. Und die Gezeitenkraft entsteht genau aus diesem Unterschied! Betrachten wir nun die Sache vom Mittelpunkt der Erde aus. Der wird ebenfalls in Richtung des Mondes angezogen und zwar mit einer Kraft, die schwächer ist als die am dem Mond nahegelegen Punkt aber stärker als am mondfernen Punkt. Der mondahe Punkt bewegt sich also vom Mittelpunkt fort. Der Mittelpunkt bewegt sich aber auch vom mondfernen Punkt fort! Aus Sicht des Mittelpunkts entfernen sich also BEIDE PUNKTE in entgegengesetze Richtungen. Oder anders gesagt: Der Unterschied in der Stärke der Gravitationskraft erzeugt eine Gezeitenkraft, die auf der dem Mond zugewandten Seite in Richtung Mond wirkt, auf der dem Mond abgewandten Seite aber genau in die andere Richtung. Anschaulich kann man sich das so vorstellen, als würde das Wasser auf der dem Mond zugewandten Seite von der Erde weggezogen. Auf der dem Mond abgewandten Seite wird dagegen die Erde vom Wasser weggezogen; der Ozean hängt hier gewissermassen ein wenig hinterher. So entstehen zwei Flutberge auf gegenüberliegenden Seiten der Erde unter denen sich die Erde hinweg dreht und es gibt alle 12 Stunden eine Flut.
Man findet diese Erklärung in Lehrbüchern, in populärwissenschaftlichen Arbeiten und auch Fachleute benutzen sie regelmäßig. Sogar ich habe früher die Gezeiten auf diese Art und Weise erklärt und es ist gar nicht so einfach zu sehen, warum sie ebenfalls nicht wirklich funktioniert.
Auch hier sollte eigentlich alles gleich stark angezogen werden, nicht nur das Wasser. Wenn man sich gerade genau unter dem Mond befindet, sollte man also die gleiche Gezeitenkraft spüren wie die Meere. Aber wir beobachten Ebbe und Flut eben nur in den großen Gewässern und spüren selbst weder etwas davon noch bemerken wir die Gezeiten in der Badewanne oder im Baggersee. Es kann also nicht die Kraft der Gravitation sein, die das Wasser hebt – oder von der Erde wegzieht, wie ich es oben beschrieben habe. Man kann auch berechnen, wie stark die Beschleunigung ist, die von der Gravitationskraft des Mondes auf Objekte ausgeübt werden, die sich genau unter ihm auf der Erdoberfläche befinden. Und wenn man das macht, stellt man fest, das sie enorm winzig ist; knapp 10 Millionen mal geringer als die Schwerkraft der Erde. Definitiv zu wenig, um irgendwas zu heben…
Das bringt uns jetzt zur dritten Erklärung der Gezeiten. Und die ist – hoffentlich! Bei den Gezeiten ist das, wie gesagt, hinterhältig – richtig. Dazu muss man sich nicht die Punkte auf der Erde ansehen, die dem Mond am nächsten oder am fernsten sind. Sondern die, die sich im rechten Winkel zur Verbindungslinie zwischen Erdmittelpunkt und Mond befinden. Wenn wir uns vorstellen, dass der Mond exakt über dem Äquator der Erde steht, wären das beispielsweise der Nord- und der Südpol. Nun wird es – ohne entsprechende Abbildungen – ein wenig schwer sich vorzustellen, wie hier die Kräfte wirken. Aber soo schwer ist es auch nicht. Bleiben wir bei dem typischen Bild der Erde, auf dem der Nordpol “oben” ist. Er wird dann natürlich ebenfalls in Richtung Mond beschleunigt und die Kraft ist dann nicht nur in Richtung des Mondes gerichtet, sondern auch ein wenig nach “unten” also nach Süden zum Äquator. Beim Südpol ist es genau umgekehrt, der wird auch ein wenig Richtung Norden beschleunigt. Nur beim Erdmittelpunkt ist Gezeitenkraft genau geradeaus in Richtung des Mondes orientiert.
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