500 Jahre Deutsches Reinheitsgebot! Ins echte Bier dürfen seit 23. April 1516 nur noch Hopfen, Wasser und Malz! Das “älteste Lebensmittelgesetz der Welt” stellt seit 5 Jahrhunderten sicher, dass das deutsche Bier nur aus natürlichen Zutaten besteht und sichert die Vormachtstellung der deutschen Brauereien. Hurra! Ein Grund zu feiern!
Wer braucht das Reinheitsgebot?
Nun, feiern kann man immer. Aber so gut wie nichts was man über das Reinheitsgebot zu hören bekommt, hat irgendwas mit der Realität zu tun. Die Sache mit dem “ältesten Lebensmittelgesetz” zum Beispiel: Das ist eher gutes Marketing. Der Text aus der Bayerischen Landesverordnung von 1516 beschäftigt sich vor allem mit dem Preis für das Bier und droht den Brauern Strafen an, die es zu teuer verkaufen.
Auch von “Hopfen, Wasser und Malz” ist dort nichts zu lesen. Sondern von “allain Gersten, Hopffen und Wasser”. Und damit lässt sich viel machen, aber kein Bier. Dazu braucht es Gerstenmalz und der Grund warum das nicht so auch im Text steht hat weniger mit der “Reinheit” des Bieres zu tun sondern mit der Landwirtschaft. Vermalzen kann man alle möglichen Getreidesorten, aber man wollte damals erreichen, dass Sorten wie Weizen oder Roggen für die Bäcker und die Lebensmittelversorgung zur Verfügung stehen und gestand den Brauern daher nur die Gerste zu.
Von der für das Bier absolut notwendigen Hefe ist im “Reinheitsgebot” von 1516 ebenfalls nichts zu lesen. Und es war bei weitem nicht die erste Vorschrift, die das Brauen von Bier regelte. Solche Gesetze kann man schon im fast 4000 Jahre alten Codex Hammurapi der Babylonier finden. In Nürnberg hat man schon 1303 Gerste als einziges Getreide zum Bierbrauen vorgeschrieben; in Weimar 1348 erklärt das nur Malz und Hopfen verwendet werden dürfe. Das Gasthausgesetz der Thüringer Stadt Weißensee schrieb 1434 vor, dass Bier nur Wasser, Malz und Hopfen dürfe und in München wurde 1446 festgelegt, dass man nur Gerste, Hopfen und Wasser zur Bierherstellung verwenden dürfe. Und so weiter: Eine komplette Auflistung aller Regelungen zum Bierbrauen die vor 1516 erlassen wurden, würde den Rahmen dieses Artikels bei Weitem sprengen.
Das “Reinheitsgebot von 1516” hat auch keineswegs 500 Jahre lang überdauert. Kaum 30 Jahre später hat man in Bayern schon ganz offiziell Weizenbier gebraut und 1602 hat sich Herzog Maximilian I das exklusive Recht gesichert, Bier auch jenseits der Vorschriften des “Reinheitsgebotes” zu erzeugen (so entstand das “Hofbräuhaus” in München).
Und gerade einmal 35 Jahre nach dem Erlass von 1516 hat dann auch schon wieder ein neuer Erlass des Herzogs neben Hopfen auch Koriander und Lorbeer als Bierwürze erlaubt.
Selbst das Wort “Reinheitsgebot” findet man erst in einem Landtagsprotokoll vom 4. März 1918. Und in seiner aktuellen Variante ist es auch nicht wirklich geeignet, für eine “Reinheit” des Bieres zu sorgen. Mit Schadstoffen, wie den Pestizidrückstände wie sie kürzlich in vielen deutschen Bieren nachgewiesen wurden, hat das Reinheitsgebot nichts zu tun (sowas wird vom Lebensmittelgesetz geregelt). Und es gibt durchaus einiges, was man trotz Reinheitsgebot ins Bier geben darf, selbst wenn es weder Hopfen, Wasser oder Malz ist. Zum Beispiel Polyvinylpyrrolidon (PVPP): Klingt fies ist aber in Wahrheit nicht so extrem schlimm sondern als Lebensmittelzusatz E1202 in der Getränkeindustrie als Stabilisierungsmittel verbreitet. Damit lassen sich Trübstoffe ausfiltern und wenn dann auch gleich das PVPP wieder mitgefiltert wird, widerspricht es zwar dem Reinheitsgebot nicht, ist aber trotzdem nicht unbedingt das, was man sich erwarten würde. In obergärigen Bieren darf man unter anderem Rübenzucker, Süßstoff oder Zuckercouleur zusetzen; für Bier gibt es eine ganze Reihe von zugelassenen Zusatz- oder Hilfsstoffen…
Gleichzeitig gibt es im Rest der Welt jede Menge Biere, die laut Reinheitsgebot keine solchen sein dürften. Nicht, weil da irgendwelche fiese “Chemie” reingepantscht worden ist (was sicherlich auch vorkommt, aber das ist eine ganz andere Geschichte), sondern weil dort eben – natürliche – Zutaten verwendet wurden, die nicht dem Hopfen-Wasser-Malz-Fetischismus der deutschen Brauer entsprechen.
Biersterne!
Aber egal! Ich habe ja zu Beginn dieses Artikels gesagt: Feiern kann man immer! Also nutzen wir einfach den Anlass um ein bisschen über Bier und Astronomie zu sprechen! Das mache ich ja gerne und oft (siehe zum Beispiel diese Artikel-Serie) – und es gibt genug zu erzählen! Zum Beispiel die Geschichten vom “Bierstern”.
Der Bierstern hat zuerst einmal nicht viel mit Astronomie zu tun. Echte Sterne bestehen aus Wasserstoff und Helium. Bier findet man dort nicht (obwohl Alkohol in Molekülform im Weltall durchaus häufig vorkommt). Der Bierstern um den es geht, ist ein altes Zunftzeichen der Brauer und Mälzer.
Er wird auch Brauerstern oder Zoiglstern genannt und sieht so aus:
Wieso gerade das Hexagramm zum Zeichen der Bierbrauer wurde, ist historisch nicht einwandfrei nachgewiesen. Der sechszackige Stern war natürlich einerseits ein alchemistisches Zeichen und da man bis in die Neuzeit nicht viel Ahnung von den chemischen Vorgängen beim Bierbrauen hatte, scheint es durchaus plausibel, dass die Arbeit am Braukessel bei der aus Getreide und Wasser ein wunderbares Getränk erzeugt wurde mit den alchemistischen Transformationen in Verbindung gebracht wurde.
Die sechs Zacken passen auch zu den drei beim Brauen nötigen Elementen – Feuer, Wasser und Luft – und den drei Zutaten – Wasser, Malz, Hopfen.
Andererseits war es auch ein Schutzzeichen für die abergläubischeren Zeitgenossen unter den Brauern, die sich so zum Beispiel vor einem Feuer schützen wollten das im Mittelalter durchaus auch mal eine ganze Stadt vernichten konnte.
Und schließlich hatte der Bierstern die gleiche Funktion, die in meiner österreichischen Heimat heute der Heurigenbuschen hat: Dieser Strohkranz zeigt in Niederösterreich an, welcher Winzer gerade seinen Wein ausschenkt. Genau so wies der vor dem Haus hängende Bierstern früher die Menschen darauf hin, wo gerade Bier gebraut und frisch getrunken werden konnte (das mit der Lagerung war ja bis zur Einführung der Kühltechnik immer ein wenig problematisch). Im Süden von Deutschland findet man den Bierstern heute immer noch; meistens in Form von Wirtshausschildern oder im Logo einiger Brauereien.
Und die Astronomie? Steckt da auch irgendwo mit drin. Das Hexagramm war schon lange in Gebrauch bevor die Bierbrauer es benutzt haben. Es ist ja auch ein nettes und einfach zu malendes Bild und noch dazu voller Symbolkraft. Es taucht schon in den religiös-kosmologischen Schriften der Hindus und Buddhisten auf und später überall wo es um Religion, Mystizismus und Esoterik ging.
Es wäre vermutlich zu weit hergeholt und – zumindest von mir – historisch nicht belegbar, aber vielleicht gibt es ja tatsächlich einen Zusammenhang zwischen den mystischen Figuren und den realen Vorgängen am Himmel. Dort kann man nämlich ebenfalls sechs- und fünfzackige (das Pentagramm ist in Sachen Mystizismus und Religion mindestens ebenso beliebt wie das Hexagramm) Sterne finde. Wieder nicht in realer Form: Sterne sind rund und haben keine Zacken. Aber sie tauchen bei einer genaueren Betrachtung der Planetenbewegung auf.
Das Pentagramm der Venus
Zum Beispiel bei der Venus. Für einen Umlauf um die Sonne braucht unser Nachbarplanet 224,701 Tage. Die Erde benötigt bekanntlich 365,256 Tage. Auf den ersten Blick ist das vielleicht nicht ersichtlich, aber 8 mal 365,256 ist fast so viel wie 13 mal 224,701 (nämlich 2922,051 und 2921,110). Das bedeutet, dass die Umlaufzeiten von Erde und Venus in einer 8:13-Resonanz stehen. Die Differenz zwischen 13 und 8 ist 5: Während 13 Venusjahren bzw. 8 Erdenjahren kommen sich die beiden Planeten als 5 mal nahe.
Betrachten wir die sogenannte untere Konjunktion zwischen Venus und Erde. Das ist der Zeitpunkt, an dem sich die beiden Planeten besonders nahe kommen. Da 8 Umläufe der Erde genau so lang dauern wie 13 Umläufe der Venus um die Sonne, wiederholt sich die untere Konjunktion nach 8 Erd- bzw. 13 Venusjahren exakt: Die beiden Planeten kommen sich an der gleichen Stelle wieder nahe. Konjunktionen gibt es aber auch währenddessen, nur eben an anderen Orten. Es gibt genau 5 (=13-8) davon und die Position, die die Venus dabei jeweils einnimmt, verteilen sich während dieser Zeit gleichmäßig über ihre Umlaufbahn.
Oder anders gesagt: Verbindet man die aufeinanderfolgenden unteren Konjunktionen, erhält man einen fünfzackigen Stern; ein Pentagramm:
In der Realität ist die Resonanz nicht exakt; die Vielfachen der Umlaufzeiten stimmen nicht komplett überein. Aber doch gut genug, um ein hübsches Pentagramm auf den Himmel zeichnen zu können.
Was mit einem Pentagramm geht, klappt auch mit einem Hexagramm. Dazu betrachten wir Jupiter und Uranus. Während der ferne Uranus eine Runde um die Sonne schafft, kreist der schnellere Jupiter gleich 7 mal um unseren Stern herum. Sie stehen in einer – ebenfalls nicht exakten – 1:7-Resonanz und man kann nun das gleiche Spiel treiben wie bei Venus und Erde. Nur dass hier eben kein fünfzackiger Stern entsteht sondern ein sechszackiges Hexagramm (da 7-1=6 ist).
Solche annähernden Regelmäßigkeiten bei den Umlaufzeiten der Planeten haben die Astronomen lange Zeit motiviert, nach einem ebenso regelmäßigen Gesetz zu suchen, mit dem sich der Aufbau des Sonnensystems beschreiben, erklären und verstehen lässt. Johannes Kepler versuchte das ebenso (über seine Versuche habe ich hier mehr erzählt) wie später im 18. Jahrhundert der Astronom Johann Daniel Titius. Nach ihm ist auch die berühmte Titius-Bode-Reihe benannt, die im 18. und 19. Jahrhundert als Durchbruch beim Verständnis des Aufbaus des Sonnensystems galt. Wie ich hier ausführlich beschrieben habe, dachte man lange Zeit, man hätte nun endlich eine simple Regel gefunden, mit der sich die Abstände und Umlaufzeiten der Planeten beschreiben lassen.
Man dachte – nur gestimmt hat es leider nicht. Spätestens als Mitte des 19. Jahrhunderts der Neptun entdeckt wurde und nicht mehr in das Schema passte, war die Sache verdächtig. Und als dann auch noch Henri Poincaré 1889 mathematisch bewies, dass es unmöglich ist, die Bewegung der Planeten exakt vorherzusagen war klar, dass keine mystische Ordnung das Sonnensystem regiert, sondern das Chaos.
Bier braucht Chaos!
Über die Grundlagen der Chaostheorie habe ich schon öfter berichtet (zum Beispiel in dieser Serie in meinem Blog: Einleitung, Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4. Aber auch in den Folge 93, 94, 95 und 96 meines Podcasts. Wer möchte, kann auch die mathematischen Hintergründe des planetaren Chaos nachlesen – auch dazu gibt es eine Serie: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.
Aber in Sachen Bier geht es vor allem um die Auswirkungen des Chaos. Die Umlaufbahnen die die Planeten heute einnehmen sind nicht die Bahnen, die sie früher gehabt haben. Das gilt besonders für die vier Gasriesen im äußeren Sonnensystem. Sie sind in der Frühzeit unseres Systems ein wenig gewandert und haben dabei die ganze Umgebung destabilisiert. Dabei haben sie auch jede Menge Asteroiden und Kometen gestört und auf Bahnen gelenkt, die schließlich in einer Kollision mit der Erde gemündet haben. Und das war wichtig, denn so kam ein Großteil des Wassers, das wir heute vorfinden auf unseren Planeten.
Ohne Wasser kein Bier. Ohne Asteroiden- und Kometenkollisionen kein Wasser. Ohne Chaos keine Kollisionen.
Mittlerweile haben sich die Planeten auf einigermaßen stabilen Umlaufbahnen eingefunden. Die angenäherten Resonanzen, die uns die oben beschriebenen fünf- und sechszackigen Sterne liefern, spielen dabei durchaus eine Rolle. Resonante Bewegungen können zwar destabilisierend wirken aber genau so für eine besonders stabile Ordnung sorgen. Keine immerwährende: Unser Sonnensystem ist immer noch prinzipiell chaotisch und in ferner Zukunft könnte es durchaus wieder ein wenig rund gehen. Besonders Merkur könnte dann für Ärger sorgen.
Aber bis dahin ist noch genug Zeit. Die Verfechter des deutschen Reinheitsgebotes können noch bis dahin noch ein paar Millionen Mal Jubiläum feiern. Und der Rest sucht sich einfach ein gutes Bier. Prost!
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