In der Serie “Fragen zur Astronomie” ist heute ein großer Klassiker an der Reihe. Eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird: Wozu braucht man Astronomie?
Wer diese Frage stellt, ist meistens nicht daran interessiert, einen Überblick über die aktuellen Forschungsfelder der Astronomie zu bekommen. Es geht viel mehr um eine grundlegendere Rechtfertigung der Astronomie. Was soll es den Menschen bringen, über irgendwelche unvorstellbar weit entfernte Sterne und Galaxien Bescheid zu wissen? Wie beeinflusst das unseren Alltag? Was bringt uns das für unser tägliches Leben? Wozu das ganze Geld für die großen Teleskope und Forschungseinrichtungen ausgeben, wenn am Ende nur abstraktes Wissen über Phänomene entsteht, das mit uns Menschen nichts zu tun hat?
Im Vergleich mit anderen Naturwissenschaften hat die Astronomie ja auf den ersten Blick tatsächlich eine Sonderstellung. Den praktischen Wert von Disziplinen wie Chemie, Biologie oder Physik muss man kaum erklären. Neue Medikamente, neue Werkstoffe, neue Geräte: Die Forschung dort resultiert in jeder Menge neue Produkte, die unser Leben verbessern oder zumindest verändern. Firmen werden aufgrund wissenschaftlicher Resultate gegründet; Konsumartikel werden produziert; Geld wird verdient und Arbeitsplätze werden geschaffen. Und die Astronomie? Was produziert sie und worin liegt ihr Wert?
Nun – die Astronomie produziert nichts. Nichts zumindest, was irgendwo im Regal eines Supermarktes auftaucht. Aber deswegen ist sie nicht wertlos. Es zeugt von einer sehr eingeschränkten Sicht auf die Welt, wenn man den Wert eines Vorhabens nur in finanziellen/wirtschaftlichen Kategorien beurteilt. Aber selbst wenn man das tun möchte, ist die Astronomie wichtig. Damit irgendetwas neues entstehen kann; damit irgendeine Wissenschaft in konsumierbaren Produkten resultieren kann, braucht es Forschung. Es braucht vor allem Grundlagenforschung! Die ist – wie der Name schon sagt – die Grundlage für alles weitere. Angewandte Forschung kann nicht für sich allein existieren. Die Astronomie ist nun insofern etwas außergewöhnlich, als dass sie fast ausschließlich aus Grundlagenforschung besteht. Was aber nicht heißt, dass diese Grundlagen nicht irgendwann zur Basis für verschiedenste Anwendungen werden können.
Mein Lieblingsbeispiel dafür ist Max Planck, der sich im Jahr 1900 Gedanken über die Strahlung Schwarzer Körper gemacht hat. Das war ein völlig abstraktes Problem aus der Physik/Astronomie und unter anderem notwendig um zu verstehen, wie Sterne ihre Energie abgeben. Um es zu lösen, musste Planck eine komplett neue Beschreibung der Strahlung entwickeln: Die Quantenmechanik. Auch die war Anfang des letzten Jahrhunderts noch abstrakte Grundlagenforschung. Heute aber ist aus dieser Grundlage eine gigantische Industrie erwachsen. Jeder Computer, jeder Laser, quasi unsere gesamte moderne Technik basiert auf den Erkenntnissen der Quantenmechanik. Und nichts davon gäbe es, wenn sich nicht damals der junge Max Planck Gedanken darüber gemacht hätte, wie Sterne leuchten!
Ähnliche Beispiele gäbe es genug; die Grundlagenforschung und damit auch die Astronomie hat immer wieder Dinge über die Welt herausgefunden, die zuerst rein abstraktes Wissen dargestellt haben, später aber in wichtigen Anwendungen resultiert sind. Ohne Grundlagenforschung kann es keinen Fortschritt geben. Wir brauchen Grundlagenforschung – und damit auch die Astronomie!
Aber wie ich schon gesagt habe: Das ist nicht der einzige Wert der Astronomie. Die Welt besteht nicht nur aus Kapitalisten und Konsumenten, die Welt besteht vor allem aus Menschen! Und die Dinge, die uns menschlich machen, sind gerade die, die nicht in irgendwelchen Supermarktregalen zu finden sind. Wir Menschen sind zum Beispiel neugierig. Wir wollen die Welt verstehen in der wir leben. Ja, aus einer rein wirtschaftlichen Sicht mag es völlig unerheblich sein zu wissen, wie weit die Sterne entfernt sind. Das hat uns aber nicht davon abgehalten über Jahrhunderte hinweg immer wieder darüber nachzudenken und nach Wegen zu suchen, diese Frage zu beantworten (und sie schließlich auch zu finden). Es ist “nutzlos”, das Verhalten schwarzer Löcher zu verstehen – und trotzdem haben wir enorm viel Zeit in die Forschung darüber investiert. Und so weiter: Wir wollen und müssen all diese “nutzlosen” Dinge wissen. Weil wir eben Menschen sind und keine Maschinen oder rein instinktgesteuerte Tiere.
Wir betreiben Astronomie aus den gleichen Gründen, aus denen wir Musik komponieren, Romane schreiben oder Bilder zeichnen. Die Betrachtung der Mona Lisa, die Lektüre von Goethes Faust oder der Besuch einer Symphonie von Beethoven hat auf den ersten Blick auch keinen “Nutzen”. Wir machen es, weil wir uns danach besser und menschlicher fühlen. Und genau so ist es auch mit der Astronomie. Zu wissen, wie unser Planet entstanden ist, unsere Galaxie oder unser Universum; den Kosmos zu erkunden in dem wir leben und unsere eigene Rolle darin zu verstehen: All das brauchen wir, weil wir Menschen sind und damit wir Menschen bleiben.
Natürlich könnten wir aufhören, die Welt zu erforschen. Wir könnten all das bleiben lassen, was sich nicht unmittelbar in wirtschaftliche/finanzielle Vorteile umsetzen lässt. Die Welt würde dadurch nicht untergehen (nicht sofort zumindest). Aber es wäre keine menschliche Welt mehr! Und darum brauchen wir die Astronomie.
Mehr Antworten findet ihr auf der Übersichtsseite zu den Fragen, wo ihr selbst auch Fragen stellen könnt.
Kommentare (45)