Vor ein paar Tagen habe ich über eine interessante Beobachtung in der Teilchenphysik berichtet. Ungarische Nuklearphysiker haben schon im letzten Jahr Daten veröffentlicht, die auf die Existenz eines bis jetzt unbekannten Elementarteilchens hindeuten. Und amerikanische Teilchenphysiker haben diese Daten nun neu interpretiert und kamen zu dem Ergebnis, dass sie vielleicht auf eine bis jetzt noch nicht entdeckte fünfte Fundamentalkraft zurückgeführt werden können.
Alles sehr aufregend und zumindest prinzipiell nicht unplausibel. Früher oder später müssen wir neue Teilchen oder Kräfte entdecken; die derzeitigen Theorien reichen nicht aus, um alle Beobachtungen zu beschreiben. Ein vorgestern veröffentlichter Artikel im Quanta-Magazin (WebCite) liefert nun aber einige neue Informationen zu dieser ganzen Angelegenheit.
Eine offensichtliche Frage die sich angesichts der Behauptung der Existenz neuer Teilchen ergibt lautet ja: Wieso hat man das noch nicht viel früher entdeckt? Immerhin sind die Teilchen um die es hier geht vergleichsweise massearm; sie hätten schon bei anderen Experimenten in der Vergangenheit auftauchen müssen. Im Artikel werden einige Möglichkeiten erwähnt: Es könnte zum Beispiel sein, dass das neue Teilchen hauptsächlich mit Neutronen wechselwirkt und nicht mit Protonen (also genau umgekehrt wie es das bekannte Photon tut). Diese Art von Teilchen wäre bis jetzt nur schwer zu entdecken gewesen.
Aber bevor man zu exotischen physikalischen Erklärungen greift, sollte man nicht auf das naheliegendste vergessen: Vielleicht hat dieses Teilchen bis jetzt niemand entdeckt, weil es schlicht und einfach nicht da ist? Und auch für diese, eher unspektakuläre Variante, liefert der Artikel im Quanta-Magazine einige Belege. Der Kernphysiker Oscar Naviliat-Cuncic von der Universität Michigan hat sich die vergangenen Experimente der ungarischen Arbeitsgruppe genauer angesehen und anscheinend ist dort nicht alles so, wie es sein sollte…
Schon vor der Publikation der aktuellen Daten gab es zwei weitere Artikel der ungarischen Gruppe in der ebenfalls die Existenz neuer Teilchen vorhergesagt wurde. Diese Hinweise sind jedes Mal verschwunden, nachdem die experimentelle Anordnung verändert und verbessert worden ist. Früher wurden die Experimente vom niederländischen Physiker Fokke de Boer geleitet, der laut Naviliat-Cuncic ebenfalls eine lange Vergangenheit voller Behauptungen zur Existenz neuer Teilchen hat die ebenfalls nie nachgewiesen werden konnten. Nun sind gescheiterte Experimente an sich nicht verwerflich – aber Naviliat-Cuncic hat recht wenn er anmerkt, dass man das zumindest erwähnen sollte, wenn man ein neues Experiment mit neuen Daten durchführt und veröffentlicht. Nur die Daten zu berücksichtigen, die die eigenen Thesen bestätigen und den Rest zu ignorieren ist keine gute Wissenschaft – und hätte eigentlich auch von den Gutachtern der Physical Review Letters (der Zeitschrift in der die aktuellen Daten veröffentlicht wurden) erkannt werden müssen.
Das Fazit? Vielleicht hat man in Ungarn tatsächlich erste Hinweise auf eine Physik jenseits des Standardmodells gefunden. Vielleicht aber auch nicht. Die vergangenen gescheiterten Experimente lassen das zumindest nicht unwahrscheinlich erscheinen. An der Ausgangslage hat sich aber jedenfalls nichts geändert. Eine neue Physik ist nötig. Und gefunden werden kann sie nur durch seriöse wissenschaftliche Methoden. Durch saubere Experimente und unabhängige Bestätigung der Resultate. Die wäre in diesem Fall so oder so notwendig gewesen.
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