Gestern wurde der zweite direkte Nachweis einer Gravitationswelle bekannt gegeben. Das ist großartig. Aber eigentlich würde ich mich freuen, wenn es keine Schlagzeilen mehr zur Entdeckung von Gravitationswellen geben würde.
Nicht, weil ich Gravitationswellen doof oder uninteressant finde. Ganz im Gegenteil! Ich habe ja im Februar, als der erste direkte Nachweis einer Gravitationswelle bekannt gegeben wurde schon ausführlich erklärt, warum das eine super Sache ist. Wer Lust hat, kann gerne hier noch einmal nachlesen, was Gravitationswellen sind und hier bzw. hier mehr zum Nachweis selbst. Dass wir in der Lage sind, Gravitationswellen direkt zu messen, ist einer der größten Durchbrüche in der modernen Physik und wird unser Verständnis des Universums nachhaltig und komplett verändern. Aber eben gerade weil das so revolutionäre Entdeckungen sind, würde ich mir wünschen, dass sie keine Schlagzeilen mehr machen. Bevor ich das aber ausführlich erläutere, möchte ich noch kurz erklären, was beim zweiten Gravitationswellen-Nachweis entdeckt wurde (wer die Fakten schon anderswo gelesen hat, kann den Teil auch gerne überspringen).
Der zweite direkte Nachweis einer Gravitationswelle
Das Gravitationswellenobservatorium LIGO hat zwischen September 2015 und Januar 2016 seinen ersten großen Beobachtungslauf gehabt und Daten gesammelt. Die Auswertung dieser Daten hat im Februar 2016 zur Bekanntgabe des ersten direkten Nachweises einer Gravitationswelle geführt. Nachdem die Daten nun weiter ausgewertet wurde, fand man auch eine zweite Gravitationswelle (und ein drittes Ereignis, bei dem man sich aber noch nicht sicher genug ist, ob es sich nicht vielleicht doch nur um zufällige Störungen handelt). Sie wurde am 26. Dezember 2015 registriert und so wie im ersten Fall stammt auch sie von der Kollision zweier schwarzer Löcher (die wissenschaftliche Facharbeit zum Thema kann hier nachgelesen werden; alle Daten zum ersten Beobachtungslauf von LIGO findet man hier (pdf)).
Die schwarzen Löcher beim ersten LIGO-Event waren vergleichsweise schwer; sie hatten die 36fache bzw. 29fache Masse der Sonne. Beim neuen Nachweis sind die schwarzen Löcher kleiner und haben nur noch die 8fache bzw. 14fache Masse der Sonne. Zufälligerweise hat die Kollision aber in beiden Fällen genau in der gleichen Entfernung von circa 1,4 Milliarden Lichtjahren stattgefunden. Allerdings nicht am gleichen Ort. Wir wissen zwar noch nicht, wo genau die Löcher verschmolzen sind – aber es waren auf jeden Fall unterschiedliche Regionen am Himmel.
Diese Entdeckung hat mehrere wichtige Konsequenzen:
- Erst einmal bestätigt der zweite Nachweis, dass LIGO wirklich funktioniert und der erste Nachweis kein reiner Zufall war. Ebenfalls bestätigt werden damit auch ein weiteres Mal die Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie.
- Das “O” in “LIGO” ist tatsächlich gerechtfertigt! LIGO steht ja für “Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory”. Und wie LIGO nun gezeigt hat, ist es tatsächlich ein Observatorium. Es ist nicht “nur” ein Detektor; es ist eine Anlage, mit der sich der Himmel beobachten lässt und mit dem man Daten über die Eigenschaften verschiedenster realer Himmelskörper dort draußen sammeln kann.
- Wir wissen nun, dass Gravitationswellen oft genug auftauchen, um tatsächlich lohnend beobachtet zu werden. Mit den beiden Fällen die man nun hat, kann man auch erste vernünftige Abschätzungen über die Häufigkeit verschmelzender Schwarzer Löcher machen: Zwischen 9 und 240 solcher Ereignisse sollten pro Kubik-Gigaparsec und Jahr stattfinden. Anders gesagt: Alle 10 Jahre muss es mindestens eine Kollision in einem Volumen geben, das eine Milliarde mal größer ist als unsere Milchstraße.
- LIGO ist großartig, aber nicht ausreichend. Mit LIGO alleine können wir die Quelle der Gravitationswellen nicht eng genug eingrenzen, um auch mit anderen astronomischen Instrumenten danach zu suchen. Dafür braucht es noch mehr Detektoren anderswo auf dem Planeten. Zum Glück wird LIGO bald um eine weitere Station in Indien erweitert und der italienische VIRGO-Detektor wird schon gegen Ende des Jahres mit seinen Daten LIGO unterstützen. Je mehr Detektoren wir haben, desto genauer können wir die Gravitationswellen messen. Gravitationswellenastronomie muss zwangsläufig ein internationales Unternehmen sein.
LIGO wird im Herbst wieder mit dem Sammeln von Daten beginnen. Die Genauigkeit der Detektoren wird dann noch größer sein als jetzt und wir werden noch mehr schwarze Löcher nachweisen können. Wir können dann endlich anfangen, echte Astronomie zu betreiben. Wir können die Population der schwarzen Löcher im Universum kartieren; herausfinden, wo es viele davon gibt und wo nicht; können ihre Eigenschaften untersuchen – und vielleicht auch endlich Gravitationswellen finden, die aus anderen Quellen (rotierende Neutronensterne, Supernova-Explosionen, etc) stammen.
Angesichts dieser Entwicklungen werden vielleicht auch die Pläne für die Gravitationswellenobservatorium im Weltall ein wenig beschleunigt. Die erste Mission zur Demonstration der Technologie – LISA Pathfinder der Europäischen Weltraumagentur – war ja schon erfolgreicher als erwartet. Es bleibt zu hoffen, dass die echte Mission bald folgt!
Und ich hoffe, dass die Entdeckung von Gravitationswellen bald keine Schlagzeile mehr wert ist…
Warum ich keine Schlagzeilen über die Entdeckung von Gravitationswellen mehr lesen will
Die Gravitationswellenastronomie verspricht eine revolutionäre Technik zum Verständnis des Universums zu werden. Und gerade weil sie das verspricht und weil ich so ungeduldig bin, kann ich es kaum mehr erwarten, dass die Entdeckung von Gravitationswellen keine Schlagzeilen macht. Denn wenn das einmal der Fall ist, dann bedeutet das, dass wir die Technik so sehr beherrschen, dass sie Normalität geworden ist!
Man kann die Entwicklung mit der Erforschung der extrasolaren Planeten vergleichen. Nach diesen Planeten bei anderen Sternen haben die Menschen Jahrhunderte lang gesucht; ohne Erfolg. Die erste Entdeckung eines solchen Planeten im Jahr 1995 war daher auch zu Recht eine riesige Sensation. Zufälligerweise war das auch das Jahr, in dem ich mein Astronomiestudium begann. Ich konnte die Entwicklung quasi live verfolgen; auch weil die Exoplaneten später mein Arbeitsgebiet als Astronom werden sollten. In den ersten Jahren war jede neue Entdeckung eines Exoplaneten fast ebenso sensationell wie die erste. Die Entdeckung eines Exoplaneten hat ausgereicht, um darüber eine Doktorarbeit zu schreiben. Die Leute die auf dem Gebiet gearbeitet haben, kannten alle Exoplaneten und ihre Eigenschaften auswendig. In den Kaffeepausen wurde jede neue Entdeckung ausführlich diskutiert. Geändert hat sich das erst, als nach der Jahrtausendwende die Zahl der Entdeckungen dank der Weltraumteleskope wie Kepler oder CoRoT extrem anstieg. Jetzt waren neue Planeten nicht mehr automatisch eine Sensation. Jetzt konnte niemand mehr den Überblick über alle Planeten behalten. Schlagzeilen machten die Exoplaneten nur noch, wenn sie irgendwelche besonderen Eigenschaften hatten. Mittlerweile sind wir an einem Punkt angekommen, wo neue Funde gleich in Paketen von über 1000 Objekten bekannt gegeben werden. Wir wissen, das Exoplaneten völlig normal sind; es gibt sie überall im Universum. Und weil wir das wissen und genug von ihnen gefunden haben, können wir auch endlich anfangen, vernünftig über dieses Thema zu arbeiten! Wir haben das, was Wissenschaftler immer wollen: Genug Daten! Genug, um allgemeine Fragen zu beantworten und nicht nur Spezialfälle zu betrachten.
Diese Situation wünsche ich mir auch für die Gravitationswelle. Die Technik zu ihrem Nachweis soll so gut funktionieren, dass die Detektionen Alltag sind und keine Sensation mehr. Ich will, dass wir jeden Tag so viele davon entdecken, dass eine individuelle Gravitationswelle kein Schlagzeilen-Potential mehr hat. Ich will dass die Beobachtung von Gravitationswellen genau so normal wird, wie die des Sternenlichts. Ich will, dass die Gravitationswellenastronomie endlich Realität wird! Ja, ich weiß – so schnell wird es nicht gehen. Ein bisschen warten wir man noch müssen. Und zum Glück ist die Wartezeit ja auch recht aufregend. Die Entdeckungen sind spektakulär! Aber es wäre mir lieber, sie wären es nicht mehr…
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