In meiner Serie über Schlechte Schlagzeilen gab es schon lange keinen neuen Eintrag mehr. Nicht, weil es auf einmal keine schlechten Schlagzeilen mehr gab. Ganz im Gegenteil – aber ich habe nicht mehr so viel Zeit für mein Blog wie früher und die Beschäftigung mit medialem Unsinn ist auch nicht besonders erfreulich. Aber kürzlich bin ich auf ein Exemplar schlechter Schlagzeilen gestoßen, das so prächtig ist, das ich es nicht ignorieren kann. Man findet es (zumindest fand man es am 25. Juli 2016) direkt auf der Startseite der deutschsprachigen Ausgabe des “Weather Channel” (WebCite). Dort stand zu lesen: “Wir haben ein Jahr Zeit, um uns auf eine Super-Eruption vorzubereiten”.
Klingt gruselig. Und dramatisch. Eine “Super-Eruption”. Und nur noch ein Jahr Zeit für die Vorbereitungen um diese anscheinend nächstes Jahr stattfindende Apokalypse abzuwehren. Folgt man dem Link gelangt man zu einem kurzen Video, das dann schon ein Stück weniger spektakulär ist. Dort wird auf die Forschung amerikanischer Wissenschaftler hingewiesen (aber natürlich ohne konkrete Quellenangabe) die herausgefunden haben, dass sich der Ausbruch eines Supervulkans nur ein Jahr im voraus voraussagen lassen würde.
Also keine Prophezeiung des nahenden Weltuntergangs – aber irgendwie immer noch beunruhigend. Supervulkane sind fiese Dinger. Im Gegensatz zu einem normalen Vulkanausbruch können sie globale Auswirkungen haben und durchaus auch Massensterben verursachen. Zum Glück kommen sie nur sehr selten vor und die paar die man heute kennt, werden überwacht – wie ich hier oder hier schon erklärt habe. Und selbst wenn sie ausbrechen, müssen die Folgen nicht immer apokalyptisch sein. Aber wenn die neuesten Ergebnisse nun die Vorwarnzeit auf ein einziges Jahr verkürzen, ist das trotzdem nicht so toll.
Nur: Das ist gar nicht passiert. Sucht man die Quelle, die der Weather Channel nicht angeben wollte, findet man eine (netterweise frei verfügbare) Forschungsarbeit mit dem Titel “The Year Leading to a Supereruption” von Guilherme Gualda und Stephen Sutton. Die Arbeit ist ziemlich technisch und beschäftigt sich mit der mikroskopischen Analyse des Wachstums von Quarzkristallen. Dieses Wachstum hängt von der Menge an Magma ab, die sich unter der Erdkruste sammelt. Aus der Untersuchung der Kristalle konnten die beiden Geologen bestimmen, wie lange es dauert bis sich vor einem Ausbruch ausreichend Magma in der richtigen Zusammensetzung für eine Eruption angesammelt hat. Das Fazit: Ungefähr ein Jahr.
Aber daraus folgt nicht, dass das auch mit der Vorhersagezeit für einen Ausbruch zusammenhängt. Von “Vorhersagen” ist im Fachartikel auch nirgendwo die Rede. Dort geht es nur um die unterschiedlichen Zeitskalen auf denen im Vorfeld einer Eruption die unterschiedlichen Phänomene ablaufen. Das zeigt auch dieses Bild aus der Arbeit:
Und selbst hier geht es nur um das Wachstum von verschiedenen Kristallen; die ganzen anderen Methoden der Geologen um den Zustand und die Veränderungen von Supervulkanen zu überwachen sind kein Teil der Arbeit.
Es ist also absolut nicht so, dass die Vorwarnzeit für den Ausbruch eines Supervulkans nur ein Jahr beträgt. Bestimmte Kristalle zeigen ein Jahr vor einem Ausbruch ganz bestimmte Veränderungen: Das ist alles. Und das ist zwar interessant und für ein Verständnis dieses Phänomens wichtig. Aber eben kein Grund für apokalyptische Schlagzeilen.
Das wirklich unangenehme an der ganzen Sache ist aber, dass man dem Weather Channel (und all den anderen Medien die diese Nachricht ebenfalls verbreitet haben), nicht einmal einen Vorwurf machen. Beziehungsweise “nur” den Vorwurf eine Pressemitteilung völlig unkritisch verbreitet zu haben (was genau genommen durchaus ein relevanter und wichtiger Vorwurf ist; in der Wissenschaftsberichterstattung aber leider mittlerweile so häufig passiert, das es sich kaum noch lohnt es zu kritisieren). Denn die Sache mit der Vorwarnzeit findet man leider schon genau so direkt in der Pressemitteilung der Vanderbilt Universität (WebCite), dem Arbeitsplatz von Guilherme Gualda. Dort gibt man sich jede Mühe, die Story so apokalyptisch und dramatisch wie möglich zu verkaufen.
“Super-eruptions – volcanic events large enough to devastate the entire planet – give only about a year’s warning before they blow.”
Das steht gleich zu Beginn der Pressemitteilung. Man findet auch schon einen vorgefertigten Tweet, den man mit einem Klick teilen kann. Tut man das, verbreitet man folgende Nachricht: “Not a movie plot: Civilization-ending supervolcanoes may only give us a year’s warning”. Im Text selbst findet man dann Zitate der Forscher, Zitate aus der Facharbeit und dazwischen immer apokalyptischen Unsinn der zwar so aussieht, als stamme er direkt aus der Arbeit oder dem Mund der Wissenschaftler. Das ist aber nicht der Fall; die direkten Zitate lassen diesen Schluss nicht zu. Es scheint so, als wäre der ganze Quatsch auf dem Mist der PR-Abteilung der Vanderbilt Universität (oder der Abteilung für “Wissenschaftskommunikation” wie man so etwas ja heute gerne nennt) gewachsen.
Einen schlechteren Dienst kann man der Wissenschaft wohl kaum erweisen. Ja – man bringt damit vielleicht den Namen der eigenen Uni in die Medien. Aber man macht den Menschen unnötig Angst. Man verdreht die Forschungsergebnisse. Man diskreditiert die eigenen Wissenschaftler. Und vor allem zeigt man mehr als deutlich, dass es einem die Wissenschaft eigentlich scheißegal ist und es einem nur um schnelle Aufmerksamkeit geht. Zumindest zeigt man das denjenigen, die sich die Mühe machen, der ganzen Story ein wenig hinterher zu recherchieren. Was aber vermutlich nicht allzu viele Leute tun werden. Weswegen leider auch weiterhin mit vielen schlechten Schlagzeilen zu rechnen ist…
Mehr schlechte Schlagzeilen gibt es hier.
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