Dieser Artikel ist Teil der blogübergreifenden Serie “Running Research – Denken beim Laufen”, bei der es um die Verbindung von Laufen und Wissenschaft geht. Alle Artikel der Serie findet ihr auf dieser Übersichtseite
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Ich sitze gerade zufrieden und satt auf meinem Sofa. Ich habe ein wunderbares Frühstück hinter mir und ein Grund der es so wunderbar gemacht hat, war die morgendliche Joggingrunde davor. Die war heute ein klein wenig anstrengender als sonst. Ich bin zwar nicht weit gelaufen – 13,4 Kilometer – und es war auch nur meine normale Lieblingsrunde über den Windknollen in Jena. Aber ich bin gestern morgen schon 25 Kilometer gelaufen, hatte am Nachmittag Besuch mit dem ich durch ganz Jena spaziert bin und am Abend saß ich dann noch bei einigen Bieren lange in einem Lokal. Heute morgen war ich daher nicht so fit wie sonst und ich hab die 13,4 Kilometer und die knapp 290 Höhenmeter sehr viel deutlicher gemerkt als sonst.
Vor allem in der ersten Hälfte der Runde habe ich mir mehrmals überlegt, ob das mit dem Laufen heute vielleicht doch keine so gute Idee war. Die Strecke führt schon auf dem ersten Kilometer steil bergauf durch den Griesbachgarten. Dann geht es nochmal weiter und noch steiler bergauf bis zum Landgrafen und dann bis Kilometer sechs ein wenig sanfter aber doch immer noch beständig aufwärts bis zum höchsten Punkt der Strecke auf dem Windknollen auf 348 Meter. Die restlichen 7 Kilometer waren dann weniger anstrengend aber immer noch viel anstrengender als üblich.
Zuhause angekommen, habe ich mich schon richtig auf das Frühstück gefreut und mich nach dem Frühstück auch so richtig gut gefühlt. Viel besser vermutlich als ich mich gefühlt hätte, wenn ich mich einfach nur direkt vom Bett zum Frühstückstisch begeben und den Lauf dazwischen ausgelassen hätte. Und das hat mich an Gottfried Wilhelm Leibniz erinnert.
Aus Recherchegründen habe ich mich in den letzten Wochen ein wenig intensiver mit dem deutschen Universalgenie aus dem 17. Jahrhundert beschäftigt (Momentan ist es auch recht leicht, Informationen aufzutreiben, da am 14. November 2016 sein 300. Todestag begangen wird). Über die naturwissenschaftliche und mathematische Arbeit von Leibniz wusste ich vorher schon einiges; mit seiner Philosophie hatte ich mich bisher aber nur am Rande beschäftigt. Die ist aber durchaus auch sehr interessant. Vor allem Leibniz’ Idee der “Besten aller möglichen Welten”, an die ich mich nach meinem Lauf erinnert habe.
Leibniz hat versucht zu rechtfertigen, wie ein gütiger und allmächtiger Gott trotz allem eine Welt zulassen kann, in der so viel Schlechtes existiert. Das ist keine neue Frage in der Philosophie und eine, über die bis heute diskutiert wird (zumindest unter denen, die von der Existenz eines “Gottes” ausgehen). Und es ist ja auch eine zulässige Frage: Wenn Gott einerseits so gütig ist und nur das beste für uns Menschen will und andererseits auch noch allmächtig und allwissend und es daher in seiner Macht stünde, uns alle Übel zu ersparen: Wieso tut er das verdammt noch mal nicht und wieso leben wir ein einer Welt in der so viel so mies läuft?
Leibniz hat das mit einem interessanten Gedanken beantwortet. Vereinfacht gesagt behauptet er: Wir leben schon in der besten aller möglichen Welten! Daraus folgt aber nicht, dass diese Welt auch absolut perfekt sein muss. Gott hat sich vor der Erschaffung der Welt alle möglichen Varianten vorgestellt und daraus dann diejenige ausgewählt, die am besten ist. Unsere Welt ist zwar nicht perfekt, aber alle anderen wären noch schlechter. Und wieso gibt es dann das ganze Übel in unserer “besten aller möglichen Welten”? Weil – wieder sehr vereinfacht gesagt – wir dadurch erst merken können, wenn etwas nicht übel ist und das dann viel besser genießen können.
In seinem Werk “Theodizee” (was so viel heißt wie “Rechtfertigung Gottes”) aus dem Jahr 1710 schreibt Leibniz zum Beispiel:
“Hunger und Durst steigern das Vergnügen bei der Aufnahme der Nahrung. Die massige Arbeit ist eine angenehme Hebung der Körperkräfte, und der Schlaf ist in einer ganz entgegengesetzten Weise angenehm, weil er durch Ruhe die Kräfte wieder herstellt.”
Natürlich ist auch das ein nicht ganz sauberes Argument. Hunger kann nur dann das Vergnügen beim Essen steigern, wenn man etwas zu essen hat! Wer verhungert, wird mit dem Gefühl des Hungerns keine große Freude haben… Aber in meiner Situation hat es zumindest gestimmt: Die körperliche Anstrengung hat den “normalen” Zustand des Nicht-Anstrengens wesentlich angenehmer gemacht als er gewesen wäre, wäre ich davor nicht gelaufen. Ein Bier, das ich nach einem Marathonlauf trinke, schmeckt dramatisch viel besser als eines, das man einfach mal so zwischendurch trinkt. Und so weiter…
Während einer Show der Science Busters hat mich mein Kollege Martin Puntigam vor einigen Monaten (als ich noch nichts von Leibniz’ Theodizee wusste) einmal auf der Bühne unerwartet auf meine Teilnahme an Marathonläufen und noch längeren Strecken angesprochen. Er wollte wissen, ob ein längerer Ultralauf anders ist als ein Marathon. Mir fiel spontan nur eine Antwort ein: Ein Ultralauf fühlt sich viel besser wenn er zu Ende ist als ein Marathon! Das ist vielleicht nicht unbedingt das, was Leibniz damals im Sinn hatte – aber im Wesentlichen das, auf das seine Theodizee hinaus läuft…
Ich werde den heutigen Tag zur Erholung nutzen. Um wieder fit zu sein für die nächste Anstrengung. Ich hab zwar kein Bedürfnis, das Übel der Welt angesichts der Existenz Gottes (von der ich ja sowieso nicht ausgehe) zu rechtfertigen. Aber wo Leibniz Recht hat, hat er Recht: Je anstrengender der Lauf, desto schöner ist es danach!
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