So gut wie alle, die an naturwissenschaftlichen Instituten arbeiten oder im Rahmen ihrer naturwissenschaftlichen Arbeit in der Öffentlichkeit auftreten, haben so etwas schon erlebt: Post von Leuten, die der Meinung sind sie hätten gerade die gesamte Wissenschaft revolutioniert. In meinem Email-Postfach landen regelmäßig Nachrichten in denen mir erzählt wird, man hätte soeben die Relativitätstheorie widerlegt, die “Weltformel” gefunden, die Quantenmechanik neu formuliert oder ähnlich nobelpreiswürdige Leistungen vollbracht. Die “wissenschaftlichen Arbeiten”, die diesen Behauptungen zugrunde liegen sind im Allgemeinen alles, nur nicht wissenschaftlich. Und die “Forscher” die sie präsentieren, sind im besten Fall engagierte Laien – aber meistens waschechte Pseudowissenschaftler.
Im letzteren Fall ist eine Diskussion meistens sinnlos. So wie auch bei der Esoterik, der Pseudomedizin und ähnlichen Themen ist eine rationale Diskussion mit überzeugten Pseudowissenschaftler nur verschwendete Zeit beziehungsweise sogar kontraproduktiv. Aber nicht alle, die “seltsame” wissenschaftliche Hypothesen aufstellen, sind auch gleich verbohrte Spinner, mit denen man nicht vernünftig reden kann. Manchmal sind es auch einfach nur Menschen, die vom Universum fasziniert sind und sich darüber Gedanken machen. Aber wenn man eben nicht das ganze Wissen angesammelt hat, dass die professionellen Wissenschaftler während ihres Studiums und ihrer Arbeit angesammelt haben, dann kann man bei diesen Gedanken leicht mal eine falsche Abzweigung nehmen, ohne es zu merken.
Wer die Wissenschaft revolutionieren (oder auch nur vernünftig dazu beitragen will) muss zuerst den Status Quo kennen. Das Problem an der Sache: Das braucht Zeit. Ein naturwissenschaftliches Studium dauert nicht umsonst so lange wie es dauert. Es gibt wahnsinnig viele Grundlagen zu lernen; sehr viel Mathematik und jede Menge Details. Das kostet nicht nur Zeit, sondern ist auch (zumindest für die meisten) schwer. Und noch viel schwerer ist es, dieses ganze Fundament in wenigen Sätzen zusammenzufassen um engagierten Laien zu erklären, wo sie mit ihrer “Welformel” falsch liegen. Kaum ein Forscher findet die Zeit, sich ernsthaft mit den oft auch ziemlich obskuren Anfragen dieser Leute zu beschäftigen. Was aber passiert, wenn man es doch tut, ist sehr interessant!
Die theoretische Physikerin Sabine Hossenfelder hat in einem lesenswerten Artikel kürzlich ihre Erfahrungen beschrieben. Sie hat eine Art “Beratungsservice” für Amateur-Theoretiker gegründet. Bei “Talk to a physicsist” kann man einfach per Skype anrufen und mit Experten über seine Theorien reden. Nicht kostenlos, aber ernsthaft. Ich halte das für ein sehr interessantes Projekt und kann euch nur empfehlen zu lesen wie Sabine Hossenfelder ihre Erfahrungen beschreibt. Zum Beispiel so:
“My clients know so little about current research in physics, they aren’t even aware they’re in a foreign country. They have no clue how far they are from making themselves understood.”
Genau das habe ich auch schon sehr oft erlebt – aber viel interessanter fand ich einen anderen Aspekt:
“A typical problem is that, in the absence of equations, they project literal meanings onto words such as ‘grains’ of space-time or particles ‘popping’ in and out of existence. Science writers should be more careful to point out when we are using metaphors. My clients read way too much into pictures, measuring every angle, scrutinising every colour, counting every dash. Illustrators should be more careful to point out what is relevant information and what is artistic freedom.”
Das ist natürlich ein echtes Dilemma; besonders für mich und andere Leute die probieren Wissenschaft so anschaulich wie möglich zu machen. Ja, meistens – aber nicht immer! – ignorieren wir dabei die ganze Mathematik die den ganzen wissenschaftlichen Erkenntnissen zugrunde liegt. Anders geht es kaum, denn Mathematik ist eine fremde Sprache und wer sie nicht beherrscht kann damit nichts anfangen. Ich schreibe meine Artikel ja auch nicht in Sanskrit oder in Keilschrift… Aber wenn man dann statt der Mathematik Metaphern verwendet muss man aufpassen, nicht zu übertreiben. Oder auch einfach nur aufpassen das man nicht den Eindruck erweckt, die Metapher wäre etwas anderes als eine Metapher.
Wie viele Leute halten zum Beispiel den “Urknall” für eine echte Explosion; vergleichbar mit einem großen Feuerwerk? Wie viele Missverständnisse sind aus dieser Metapher entstanden, weil Leute sich vorstellen, da wäre “etwas” “explodiert”? Aber wenn man sich nicht auf die reine Mathematik zurück zieht, hat man fast keine andere Möglichkeit sich einen unvorstellbaren Vorgang wie die Entstehung des Universums vorzustellen. Man muss eben dazu sagen, dass es eine falsche Vorstellung ist…
Ich habe mit Sicherheit auch schon oft Metaphern auf eine Art verwendet, die solche Missverständnisse fördert. Aber ich probiere immer mehr, auf genau dieses Problem zu achten. Als ich Anfang des Jahres für eine Show der Science Busters ein Skript für eine Bühnennummer zum Thema “Supersymmetrie” ausgearbeitet habe, musste ich zum Beispiel erklären, was das Wort “Spin” in der Quantenmechanik bedeutet. Jedes Elementarteilchen hat eine Eigenschaft, die “Spin” genannt wird, aber es gibt für diese Eigenschaft abseits der Mathematik einfach keine anschauliche Entsprechung. Sehr oft wird der Spin mit einer “Drehung” verglichen und man stellt sich dann zwangsläufig kleine Kügelchen vor, die sich um ihre Achse drehen. Was falsch ist und zu Missverständnissen führt, wenn man das Thema ein bisschen detaillierter betrachten will. Ich habe dann schlicht und einfach kapituliert und aufgehört, eine passende Metapher zu finden. Und stattdessen erklärt, dass die Welt der Quantenmechanik eine Welt ist, die sich von unserer Alltagswelt unterscheidet und zwar manchmal so sehr, dass es einfach keinen Vergleich gibt. Dort gibt es Dinge und Phänomene die sich nicht veranschaulichen lassen sondern nur durch die Mathematik beschrieben werden können. Und dass man sich den Spin gerne als “Drehung” vorstellen und mit dieser Analogie Dinge erklären kann – solange einem bewusst ist, dass diese Vorstellung falsch ist.
Es wird weiterhin schwierig bleiben, einen Mittelweg zwischen Mathematik und Metapher zu finden. Aber – und das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen – es lohnt sich, darüber nachzudenken. Nicht unbedingt nur, wenn man eine Hotline für obskure theoretische Physik betreibt. Sich zu überlegen, wie man ein Phänomen ohne Rückgriff auf Mathematik beschreiben kann und ob man es überhaupt so beschreiben kann ohne relevante Informationen zu unterschlagen ist eine wertvolle intellektuelle Übung dank der man am Ende vieles selbst besser versteht als zuvor.
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