Eine Studie über “Chemtrails” erregt in den Medien gerade vergleichsweise großes Aufsehen. “Chemtrails”: Das sind angeblich die am Himmel sichtbaren Spüren einer großangelegten und vor allem geheimen Aktion mit der Chemikalien in der Atmosphäre ausgebracht werden. Um das Wetter zu manipulieren, die Bevölkerung zu reduzieren, unser Bewusstsein zu verändern oder zu anderen aber auf jeden Fall düsteren und bösen Zwecken. Durchgeführen sollen das wahlweise die Regierungen der Welt, irgendwelche Industrie-Lobbys, eine geheime Verschwörergruppe von Eliten, die Juden, die Illuminaten oder andere unklar definierte Organisationen. Ich habe über diese Verschwörungstheorie schon öfter berichtet – zum Beispiel hier oder hier. Und jetzt sollen “erstmals”, wie in vielen Medien betont wird, “Experten” die Angelegenheit untersucht haben. Erstmals wurde die große Chemtrail-Verschwörung wissenschaftlich untersucht und widerlegt. “Einstimmig” haben die Forscher festgestellt, dass da nichts dran ist. Gleichzeitig wird die wissenschaftliche Studie aber auch kritisiert: Man solle sich nicht auf so einen pseudowissenschaftlichen Unsinn einlassen und die Verschwörungstheoretiker durch das Ernstnehmen ihrer Thesen legitimieren. Und ist die Studie nicht auch “schlecht gemacht”, weil eben dort doch nicht eindeutig festgestellt wird, das alles Unsinn ist?
Was steht da jetzt also wirklich drin in dieser Studie; Was haben die Experten tatsächlich erforscht und zu welchem Ergebnis sind sie – einstimmig, eindeutig oder doch nicht – gekommen? Nun, zum Glück ist die Studie um die es geht, frei im Internet verfügbar. Christine Shearer vom Department of Earth System Science, University of California, Irvine und ihre Kollegen Mick West, Ken Caldeira und Steven Davis haben die Arbeit mit dem Titel “Quantifying expert consensus against the existence of a secret, large-scale atmospheric spraying program” in der Fachzeitschrift “Environmental Research Letters” veröffentlicht und dort kann sie auch jeder nachlesen. Was ich getan habe und daraus jetzt ein wenig zitieren möchte.
Gleich zu Beginn beschreiben sie ihre Motivation, die Arbeit durchzuführen:
“Nearly 17% of people in an international survey said they believed the existence of a secret large-scale atmospheric program (SLAP) to be true or partly true.”
Es gibt also anscheinend eine relevante Menge an Menschen, die an die Existenz eines großangelegten und geheimen Programms der Atmosphärenveränderung glauben. Deswegen sei es angebracht, sich damit zu beschäftigen. Damit haben Shearer und ihre Kollegen Recht – sie stellen aber auch gleich klar, was nicht ihr Ziel ist:
“Our goal is not to sway those already convinced that there is a secret, large-scale spraying program—who often reject counter-evidence as further proof of their theories—but rather to establish a source of objective science that can inform public discourse.”
Und auch damit haben sie Recht! Ich habe schon oft genug festgestellt, dass die Diskussion mit Anhängern von pseudowissenschaftlichen oder esoterischen Weltsichten sinnlos ist. Wer solch irrationalen Gedankengebäuden anhängt, der ist durch rationale Argumente gar nicht zu erreichen. Das führt zu nichts. Aber es ist trotzdem sinnvoll – zumindest bei einem Thema das eine gesellschaftliche Relevanz wie die “Chemtrails” erreicht hat – eine wissenschaftliche Referenz zu schaffen. Natürlich enthält die Arbeit von Shearer et al nicht die “erste” wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Genug Atmosphärenforscher, Meteorologen und andere Wissenschaftler haben sich schon dazu geäußert. Aber einen systematischen Überblick der wissenschaftlichen Meinung zu Chemtrails gab es bis jetzt tatsächlich noch nicht und es gut, dass man so etwas nun vorgelegt hat.
Und genau darum handelt es sich auch bei der Studie: Es sind keine “Forschungsergebnisse” irgendeines großangelegten Programms bei dem ein Wissenschaftlerteam die “Chemtrails” erforscht hat. Shearer und ihre Kollegen haben eine detaillierte Umfrage unter Wissenschaftlern durchgeführt, die als Experten für die von den Anhängern der Chemtrail-Theorie aufgestellten Behauptungen angesehen werden können. Es wurden zwei Befragungsbögen entwickelt mit denen man sich an die wissenschaftliche Gemeinschaft wandte:
In order to evaluate these data, we developed two surveys (the complete survey protocols are available at: https://nearzero.org/elicitation/review/a2592e56-cb21-4849-baa2-560d456707c8 and https://nearzero.org/elicitation/review/d172e2d8-89fa-4bcc-a90f-c28a58bc7cf0) and administered each survey to a different group of experts: (1) atmospheric scientists with expertize in condensation trails and (2) geochemists working on atmospheric deposition of dust and pollution on the Earth’s surface.
(…) For the purposes of this study, we define ‘contrail expert’ and ‘atmospheric deposition expert’ to be a person who has co-authored one or more of the 100 most-cited papers in each search. (…) Of these, 49 experts completed the contrail survey and 28 completed the atmospheric deposition survey. (…) Contrail experts had an average of 26 years professional experience in their field (with a median of 26 years), and deposition experts 22 years (with a median of 20 years).”
Zuerst haben Shearer und ihre Kollegen also zwei grundlegende Behauptungen identifiziert, die einen großen Teil der “Chemtrail-Verschwörung” ausmachen: 1) Kondensstreifen von Flugzeugen verhalten sich nicht “natürlich” und bleiben viel länger am Himmel sichtbar als sie es sein sollten. Das ist ein Zeichen dafür, dass es “Chemtrails” sind und keine Kondensstreifen und das hier Chemikalien in der Atmosphäre versprüht werden. 2) In Staub, Erde und Wasser am Boden kann man die Spuren dieser Chemikalien – vor allem Barium und Aluminium – finden. Durch eine Literaturrecherche haben Shearer et al diejenigen Forscherinnen und Forscher bestimmt, die zu genau diesen Themen – das Verhalten von Kondensstreifen in der Atmosphäre und die Ablagerung von Chemikalien aus der Atmosphäre am Boden – die meisten wissenschaftlichen Publikationen verfasst haben. Diese Leute wurden dann angeschrieben und gebeten, die Fragebögen auszufüllen. Darin wurden den Wissenschaftlern ausgewählte typische Bilder, Bodenproben und andere “Beweise” präsentiert die laut den Anhängern der Chemtrail-Verschwörung demonstrieren, dass ein geheimes Atmosphärenprojekt im Gange ist. Man fragte die Wissenschaftler, ob sie so ein geheimes Programm als wahrscheinlichste Erklärung für die Daten ansehen würden; bat sie darum, selbst die Befunde zu erklären und bat sie auch noch um eine allgemeine Einschätzung der Methoden und Behauptungen der Chemtrail-Anhänger.
Ganz zu Beginn wurde allen auch noch die grundlegende Frage gestellt, ob sie irgendwann bei ihrer Forschung schon mal auf Hinweise gestoßen waren, die die Existenz eines geheimen Programms zur Atmosphärenveränderung plausibel erscheinen lassen:
“In response to the general question of whether they have ever encountered evidence that indicates the existence of SLAP, 76 of the total 77 expert respondents (98.7%) answered no. The one participant who answered yes said the evidence s/he had come across was ‘high levels of atm[ospheric] barium in a remote area with standard ‘low’ soil barium’.”
98,7 Prozent sagen also, dass sie keinerlei Hinweise auf eine Chemtrail-Verschwörung gefunden haben. Aber 98,7 sind keine 100 Prozent: Ein Experte meinte, doch auf Hinweise gestoßen zu sein: Eine überdurchschnittliche Menge von Barium in der Atmosphäre. Also doch eine Verschwörung? Gar ein Beweise für die Existent von Chemtrails? Nein, eher ein Hinweis darauf, dass man es eben mit Wissenschaft zu tun hat. Für diejenigen die sich darum bemühen die Verschwörungstheoretiker zu widerlegen mag diese nicht-einstimmige Aussage in einer echten wissenschaftlichen Arbeit vielleicht unangenehm sein. Besser wäre es, wenn man darauf verweisen könnte, dass sich die Wissenschaft hier einstimmig und zu 100 Prozent gegen die Chemtrail-Anhänger gestellt hat. Aber in der Wissenschaft muss man eben auch mit den Antworten leben, die man auf seine Fragen bekommt. Ich gehe mal davon aus, dass es jede Menge Möglichkeiten gibt, wie man eine erhöhte Barium-Menge in der Atmosphäre erklären kann, auch ohne auf eine große Verschwörung zurückzugreifen. Aber eine große Verschwörung wäre eben auch eine mögliche (wenn auch unwahrscheinliche) Erklärung – und diese eine Person fühlte sich offenbar im Sinne der Korrektheit verpflichtet, entsprechend zu antworten (Oder auch nicht; da alles natürlich anonym abgelaufen ist, kann man über die Motivation der Antworten nur spekulieren).
Einstimmig war sich jedenfalls die Gruppe der Kondensstreifen-Experten einig, dass die Bilder von “Chemtrails” nichts anderes zeigten als normale Kondensstreifen:
“In each case, 100% of the experts indicated that the simplest explanation of the trails in the photo was not a secret, large-scale atmospheric spraying program. To the contrary, the experts often agreed about the physical mechanisms on display in each photo, and indicated that none were out of the ordinary or explained by events outside of normal contrail formation.”
Die gesammelten Daten zeigt dieses Bild (und die Fotos um die es geht können im Befragungsbogen betrachtet werden):
Hier sind man auch die verschiedenen normalen physikalischen Erklärungen die die Experten für die auf den Bildern sichtbaren Phänomene gegeben haben. Die Wissenschaftler wurden auch gefragt, was sie von der Behauptung halten würden, Kodensstreifen hätten sich früher schneller aufgelöst und wären heute länger am Himmel zu sehen. Hier waren immerhin mehr als ein Drittel der Meinung, dass das so sein könnte. Aber nicht aufgrund von “Chemtrails”, sondern aufgrund Veränderungen in der typischen Flughöhe und den Motoren von Flugzeugen bzw. aufgrund des Klimawandels:
“In response to the question of whether trails behind aircraft are persisting for longer periods of time now than they did when plane travel first began, 23 experts (47%) answered no, 18 experts (37%) answered yes, and 8 experts (16%) offered no response. Among those indicating they thought trails are now lasting longer, the top reasons given were: Aircraft flying higher (17 experts, 35%), modern and larger engines that produce more water vapor (11 experts, 22%), more plane traffic leading to planes flying at higher altitudes where contrails are more likely to form (nine experts, 18%), higher water vapor content of the atmosphere due to climate change (six experts, 12%), and decreased temperature of aircraft exhaust related to improved fuel efficiency (five experts, 10%).”
Nicht ganz so eindeutig (aber immer noch sehr eindeutig) waren die Resultate der Befragung bei den Experten für atmosphärische Ablagerungen. Sie sind hier zusammengefasst:
Auch hier gibt es also Leute, die anhand der Daten eine geheime Atmosphärenmanipulation nicht ausschließen. Aber daraus folgt natürlich nicht die Existenz so einer Verschwörung. Sondern vor allem die Tatsache, dass die Ergebnisse immer nur so gut sein können wie die Daten, die zur Verfügung stehen. Die befragten Forscher durften ja nicht mit ihren eigenen Proben Analysen durchführen sondern mussten die Ergebnisse fremder Untersuchungen interpretieren. Das fiel ihnen schwer, wie Shearer und ihre Kollegen auf feststellen:
“It should be noted, however, that eleven experts (39%) were not sure how to interpret the results from either the airborne particulates or snow surface samples (figures 3(b) and (c), respectively), saying they wanted more information and context.”
Auch das zeigt wieder eher die wissenschaftliche Exaktheit, um die die befragten Forscher bemüht waren und eignet sich kaum als Argument für Chemtrail-Anhänger. Wenn man nicht genug Daten hat, muss man sich eben damit arrangieren, keine Aussagen zu machen, die man anhand der Daten nicht machen kann. Auch wenn es Aussagen sind, von denen man vielleicht eigentlich überzeugt ist. Ansonsten wäre man nicht besser und genau so unwissenschaftlich wie diejenigen, die aus diesen Daten eine große Verschwörung heraus lesen wollen.
Shearer und ihre Kollegen beschließen die Studie mit diesem Fazit:
“The number of aircraft contrails has been increasing. There have been revelations over the decades of governments undertaking action in secret without the informed consent of the population. It is reasonable that ordinary citizens should want questions answered concerning health, climate change, and pollution. While we understand that many of the fears underlying SLAP theories may be legitimate, the evidence as evaluated here does not point to a secret atmospheric spraying program. Changes in aircraft technologies may be causing contrails to persist longer than they used to, and changes in industrial development could potentially be increasing aerosol deposition in some areas. But the focus on a secret, large-scale atmospheric spraying program may be taking attention away from real, underlying problems that need addressing.”
Natürlich wird diese Studie absolut nichts an den Überzeugungen der Chemtrail-Anhänger ändern. Diejenigen, die sie benutzen um in der “Diskussion” (bzw. dem Streit, denn Diskussion gibt es da selten) mit Verschwörungstheoretikern deren Behauptungen widerlegen zu wollen, werden damit nicht erfolgreich sein. Die Chemtrail-Anhänger werden die Studie ignorieren; darauf hinweisen dass Wissenschaftler sowieso alle gekauft sind und lügen oder auf die nicht einstimmigen Aussagen verweisen. Sie werden die Studie vielleicht sogar selbst verwenden um zu belegen, dass es eben doch Forscher gibt, die sich “trauen” die Wahrheit zu sagen.
Aber wie Christine Shearer und ihre Kollegen ja schon zu Anfang schrieben: Zweck dieser Studie ist nicht ihr Einsatz bei der Widerlegung von Verschwörungstheoretikern. Das funktioniert nicht. Die Studie hat versucht, die Meinung der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu diesem Thema zu erheben und darzustellen. Das ist eine legitime Aufgabe, es ist eine wertvolle Aufgabe und es ist vor allem auch eine interessante Aufgabe.
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