In der Serie “Fragen zur Astronomie” geht es heute mal nicht um eine konkrete Frage zu einem astronomischen Thema. Sondern um ein etwas umfassenderes Gebiet, zu dem mir aber auch oft Fragen gestellt werden. Immer wieder bekomme ich Anfragen von Leuten, die etwas entdeckt haben (wollen). Und nun von mir wissen möchte, wie sie die Welt angemessen über die Ergebnisse ihrer Forschung informieren können. “Wo/Wie kann ich meine wissenschaftliche Entdeckung veröffentlichen?” lautet daher die Frage, die ich heute beantworten möchte.
Man kann die Antwort eigentlich recht schnell geben: Wer fragen muss, wo man eine wissenschaftliche Entdeckung veröffentlichen kann, hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine solche Entdeckung gemacht. Das klingt ein wenig hart, liegt aber in der Natur der modernen Wissenschaft begründet. Zuerst einmal kann man festhalten, dass diese Frage in dieser Form nur von Leuten gestellt werden kann, die nicht Teil des normalen wissenschaftlichen Betriebs sind. Wer an einer Universität oder anderen Forschungseinrichtung studiert und/oder forscht, hat im Laufe der Zeit auf jeden Fall mitbekommen, wie das mit der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen funktioniert. Das gehört zum grundlegenden Handwerk in der Wissenschaft und es ist kaum vorstellbar, dass jemand der nie irgendwas publiziert hat, tatsächlich langfristig in der Wissenschaft arbeitet.
Bleiben also noch die Leute, die nichts mit dem Forschungsbetrieb zu tun haben und daher nicht vertraut mit dem üblichen Vorgehen bei einer Publikation sind. Aber auch hier sollte man eigentlich Bescheid wissen, sobald man die oben genannte Frage stellt. Denn wenn man wirklich eine relevante Entdeckung gemacht oder ein seriöses wissenschaftliches Ergebnis gefunden hat, dann setzt das eine intensive Beschäftigung mit der entsprechenden Fachliteratur voraus. Die Zeiten, wo man einfach so “aus dem Nichts” zu einer revolutionären Erkenntnis kommen kann, sind lange vorbei. In den letzten Jahrhunderten hat die Naturwissenschaft ein immer komplexeres Netz aus gut bestätigten Ergebnissen über das Verhalten der Natur aufgebaut. Die Daten die man in der Kosmologie bei der Beobachtung von Galaxien gewinnt hängen mit den Daten aus der Mikrowelt zusammen, die an Teilchenbeschleunigern gewonnen werden. Jeder Fachartikel endet mit einer langen Literaturliste in der auf Beobachtungen, Messungen, theoretische Berechnungen u.ä. verwiesen wird. Und so weiter: Wer etwas Neues finden will, muss zuerst einmal das kennen, was man schon weiß. Das gilt um so mehr, wenn man nicht nur einfach etwas Neues finden möchte, sondern etwas völlig revolutionäres. Um das bestehende Wissen und die bestehenden Theorien über den Haufen werfen zu können, muss dieses Wissen und diese Theorien erst verstanden haben. Denn das, was sie ersetzen soll, muss notwendigerweise mindestens genau das leisten, was es es ersetzt. Und dann darüber hinaus gehen.
Kurz gesagt: Egal ob man Teil des Forschungsbetriebs ist oder nicht – will man eine neue Entdeckung publizieren, dann muss man sich zuvor zwangsläufig so sehr mit der bestehenden Fachliteratur vertraut machen, dass man die einschlägigen Medien und Mechanismen kennt.
Aber ich will nicht völlig ausschließen, dass nicht doch jemand “aus dem Nichts” eine wirklich wichtige Entdeckung macht. All die mir bis jetzt zugesandten “Theorien” die erklären wollten wie der Urknall wirklich war (oder warum er Unsinn ist), was dunkle Materie wirklich ist (oder warum sie Unsinn ist), wie man Gravitation mit Quantenmechanik vereint, wie man Licht wirklich verstehen kann oder wie die “Weltformel” aussieht waren zwar weit von entfernt von echter Wissenschaft. Aber auch wenn ich es für unwahrscheinlich halte, dass der nächste große Durchbruch in der Physik auf diese Weise zustande kommt, ist es doch nicht völlig unmöglich. Also: Was macht man, wenn man die Weltformel gefunden hat? Wie teilt man das der Welt mit?
Hier sind zuerst einmal ein paar Dinge, die man nicht tun sollte:
- Wahllos irgendwelche Wissenschaftler (oder Wissenschaftsblogger 😉 ) kontaktieren und probieren sie zu einem Gespräch über die große neue Entdeckung zu überreden.
- Die eigene Theorie groß auf der selbst erstellten Homepage oder dem Buch im Eigenverlag verkünden und bewerben.
- Sich auf dubiosen Konferenzen von Esoterikern und Pseudowissenschaftlern herumtreiben um dort nach Anerkennung für die eigene Idee suchen.
Das kann man natürlich alles machen. Aber es wird nicht dazu führen, dass der Theorie die Aufmerksamkeit zukommt, die sie verdient hat, wenn sie tatsächlich seriös ist. Wissenschaftler haben i.A. schon mehr als genug damit zu tun die im regulären Wissenschaftsbetrieb auftauchenden Ergebnisse zu prüfen und müssen sich um jede Menge andere nervige Uni-Bürokratie kümmern (von der Forschungsarbeit mal abgesehen). Sie sind daher meistens nicht sonderlich begeistert, wenn irgendwer aus dem Nichts auftaucht und ihnen irgendwas erzählen will von dem nicht einmal klar ist, um was es eigentlich geht. Viel besser ist es daher, die Theorie zuerst einmal aufzuschreiben. Und nicht einfach irgendwie aufzuschreiben, sondern in einer vernünftigen Form mit der sich etwas anfangen lässt. Es mag zwar befriedigend sein, wenn man ein dickes Buch mit der neu gefundenen Weltformel im Eigenverlag publiziert und das dann sogar bei Amazon & Co bestellt werden kann. Der Sache dient das aber vorerst nicht.
“Aufschreiben” heißt in diesem Fall vor allem: Kurz aufschreiben. Ein typischer naturwissenschaftlicher Fachartikel ist keine hundert Seiten lang, sondern eher zehn. Es mag Ausnahmen geben, aber man sollte auf jeden Fall in der Lage sein, seine Theorie halbwegs kompakt zusammenzufassen. Das allein reicht aber noch nicht. Zuerst muss man erst einmal erklären, was genau der Zweck der eigenen Theorie ist. Wo genau steht sie in der Welt des bisher bekannten Wissens? Was soll sie leisten, welche bisherigen Ergebnisse ersetzen? Welche Daten/Beobachtungen haben einen motiviert die neue Theorie aufzustellen? Nach dieser Einleitung folgt die eigentliche Darstellung. Und wenn es in der Theorie um Astronomie oder Physik geht, dann ist es fast unumgänglich, dass die Theorie die eine oder andere mathematische Formel enthält. Wer über Kosmologie, Gravitation, Teilchenphysik, Relativität o.ä. arbeitet und dabei keine Mathematik verwendet, hat nichts neues entdeckt. Man kann keine sprachwissenschaftliche Analyse von Shakespeares Originaltexten abliefern, wenn man kein englisch kann. Genau so wenig kann man die Naturwissenschaft revolutionieren ohne Mathematik zu beherrschen.
Auf die mathematische Darstellung der Theorie folgt dann eine Diskussion die entweder erklärt, welche Beobachtungsdaten/Messungen die Aussagen der Theorie belegen oder aber zumindest darlegt, welche Beobachtungen/Messungen man durchführen kann, um sie zu belegen oder zu falsifizieren.
Das alles sollte man auf englisch schreiben, denn das ist die Sprache, in der sich die Naturwissenschaftler international verständigen. Und diese Verständigung ist notwendig, denn nun kommt der wichtigste Punkt: Die Begutachtung der Theorie. Hat man das alles wie oben beschrieben vernünftig aufgeschrieben, kann man es auch anderen Wissenschaftler zur Begutachtung vorlegen, ohne ihnen damit mehr als nötig auf die Nerven zu gehen. Idealerweise verzichtet man darauf, wahllos irgendwelche Leute anzuschreiben sondern geht den Weg, den man in der Wissenschaft in so einem Fall geht: Man sucht sich eine Fachzeitschrift und schickt die Arbeit dort hin. Welche Fachzeitschriften zur Auswahl stehen, kann man durch den Besuch in einer beliebigen Universitätsbibliothek herausfinden. Dort liegen die üblichen Journale im Lesesaal aus oder sind zumindest irgendwo archiviert. Die Zeitschrift, die sich mit den gleichen Themen beschäftigt wie die eigene Theorie ist die richtige. Dorthin schickt man sein Manuskript – und wenn man wirklich einen guten Eindruck machen will (und das will man!), dann schaut man sich zuvor an, ob die Zeitschrift für Einsendungen bestimmte Formatierungsrichtlinien vorschreibt, die man dann natürlich auch einhalten sollte.
Ab jetzt muss man nicht mehr viel machen. Ein Redakteur bei der Zeitschrift führt eine erste, noch grobe Überprüfung durch. Besteht die Arbeit, wird sie an Fachwissenschaftler zu einer genauen Begutachtung geschickt. Die schlagen dann Verbesserungen vor, fragen nach wenn etwas unklar ist oder weisen auf Fehler hin die korrigiert werden müssen. Wenn auch diese Begutachtung positiv ausfällt, wird die Arbeit in der Fachzeitschrift publiziert. Jetzt ist es geschafft und die Welt der Wissenschaft weiß offiziell Bescheid (wie lange es dauert, bis auch die einschlägigen Wissenschaftler darüber Bescheid wissen ist wieder eine andere Sache).
Ich weiß, dass vermutlich viele Entdecker von Weltformeln und Widerleger der Relativitätstheorie mit dieser Antwort nicht glücklich sein werden. Aber genau das ist der Weg den man gehen muss, wenn man wirklich sicher sein möchte, dass man eine echte Entdeckung gemacht hat. Die Wissenschaftler haben sich dieses komplizierte Verfahren nicht ausgedacht, um Außenseiter zu ärgern. Sondern weil sie genau wissen, dass es erschreckend einfach ist, sich selbst zu täuschen und unbewusst Fehler zu machen. Die streng formalisierte Publikation mit Begutachtung durch Fachkollegen ist der beste Weg, um solchen Fehlern auf die Spur zu kommen. Es ist kein idealer Weg, aber es ist der beste Weg, den wir kennen. Und er funktioniert eigentlich recht gut.
Ich fasse die Antwort auf die Frage noch einmal kurz zusammen. Was soll man tun, wenn man eine wissenschaftliche Entdeckung publizieren will? Die Theorie kurz und verständlich aufschreiben und sie von Experten begutachten lassen. Viel Erfolg dabei!
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