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Das sagt der Autor des Artikels, Andreas Bühler über sich:
Keine Angabe
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Das Mysterium der altägyptischen Hochtechnologie
Eines Abends lasse ich mich gemütlich in den Sessel fallen um noch etwas fernzusehen. Auf ZDFinfo läuft eine Doku, ausnahmsweise nicht über Hitler und Konsorten. Mit hübschen Bildern untermalt werden gerade die technischen Errungenschaften der antiken Welt vorgestellt. Interessant! Mal sehen, ob sie auch etwas über Ägypten sagen. Das hat mich ja schon immer brennend interessiert. Ah, da ist es ja auch schon. Hm… Moment mal… Helikopter? Flugzeuge? UFOs? Aliens vom Mars? Das ist ja unglaublich!
Ich mache mir einige Notizen und konsultiere nebenbei das Fernsehheft. Die Sendung nennt sich „Ursprung der Technik“, es geht heute um „Autos und Flugzeuge“. Das klingt seriös. Heute ist auch nicht der erste April? Nein? Gut.
Seriös klingt auch die Tatsache, dass es auf einem öffentlich-rechtlichen Kanal läuft und dass die Expertin, Dr. Ruth Hover, als Ägyptologin vorgestellt wurde. Andererseits kommt es mir schon komisch vor, dass hier immer von 2000 Jahre alten Geheimnissen gesprochen wird, bezogen auf einen Tempel, der aber der älteste Ägyptens sein soll. Waren nicht schon alleine die großen Pyramiden über 4000 Jahre alt? Sollte es dann nicht auch noch ältere Tempel geben? Und warum heißt es an anderer Stelle auf einmal, der Tempel sei ein Grab? Irgend etwas mysteriöses geht hier vor!
Dieses Relief, so erklärt uns die TV-Doku, zeigt einen altägyptischem Helikopter, ein Flugzeug, ein UFO und mehr.
Auf meiner Suche nach der Wahrheit betrete ich sofort Neuland oder wie andere sagen würden: ich gehe ins Internet. Zuerst recherchiere ich etwas zu dieser Ägyptologin, die, wie sich schnell in einem Nachruf zeigt, gar keine war. Sie war klinische Sozialarbeiterin und Psychologin und hieß mit vollem Namen Dr. Ruth McKinley Hover. Kurze Zeit später habe ich auch die Eckdaten über diesen Tempel. Er wurde von König Sethos I. begonnen und von dessen Sohn Ramses II. vollendet. Damit lässt sich das Gebäude zeitlich präzise einordnen, denn Sethos I. und Ramses II. regierten im 13. Jahrhundert vor Christus als Könige der 19. Dynastie. Allein die Tatsache, dass es auch Tempel ihrer Vorgänger gibt, macht es unmöglich, dass dieser hier der älteste Ägyptens sein könnte. Auch die 2000 Jahre können nicht stimmen. Vor 2000 Jahren herrschten bereits die Römer über dieses Gebiet.
Nun aber zum spannendsten Punkt: das Relief! Das Relief, auf dem all die modernen Transportmittel zu sehen sind. Ich finde heraus, sie stammen von einem Deckenbalken in der ersten Säulenhalle des Tempels. Diese spezifische Halle wurde von Ramses II. vollendet, was leicht nachzuvollziehen ist, da der neue Bauherr natürlich auch seinen eigenen Namen in dem Monument verewigt wissen wollte. Wenn ich mir den Ausschnitt, das Relief, genau anschaue, sieht auch das eher nach Hieroglyphen aus als nach einem Wandbild. Auf einem anderen Photo ist der ganze Balken zu sehen und auf dem erkenne ich eine Kartusche, diese Dinger, in die man die Namen des Königs zu schreiben pflegte. Es muss also eine Inschrift sein!
Google erklärt mir, dass es eine Liste gibt, in der die meisten Hieroglyphen aufgelistet sind – mit Abbildungen. Sie nennt sich Gardiner-Liste. Jemand war so freundlich, sie auch in der Wikipedia zugänglich zu machen. Allerdings finde ich keines der Zeichen des Reliefs in dieser Liste. Merkwürdig… Sind das Sonderzeichen, die vielleicht nur ganz selten verwendet wurden? Gar ein geheimer Code? Obwohl die Zeit inzwischen vorangeschritten ist, gebe ich nicht auf. Ich beschließe mit einem anderen Ansatz an die Sache zu gehen. Ich schaue mir jetzt die Kartusche genau an und gleiche sie mit den Kartuschen der Könige ab. Logischerweise beginne ich bei Sethos I. und Ramses II. und siehe da: da gibt es Übereinstimmungen! Es sieht aber so aus, als wäre der eine Name ÜBER den anderen geschrieben worden!
Ich wikipediere weiter und entdecke, dass die altägyptischen Könige fünf Namen hatten. Das passt. Das, was hier auf dem Balken, der von rechts nach links zu lesen ist, in der Mitte steht ist der Thronname. Auf ihn folgt, links davon, der Geburtsname. Das sind die vierten und fünften Namen der Königstitulatur. Davor, da wo diese seltsamen Zeichen sind, könnte also der sogenannte Nebti-Name, also der dritte Name, stehen und tatsächlich – mir fällt es wie Schuppen von den Augen! Legt man die Zeichen des Nebti-Namens Sethos’ I. und Ramses’ II. übereinander, so ergibt sich dieses Tohuwabohu. Der Helikopter ist ein Bogen, der mit zwei Unterarmen überlagert ist! Jedes einzelne Zeichen lässt sich auf diese Art identifizieren und erklären. Die Position, die Größe, die Zeichen selbst, die Namen die sie bilden, die Reihenfolge der Namen: das alles passt zusammen! Und es passt sogar noch besser als die Erklärung der Doku, denn dort konnte nur eine Interpretation für einige wenige dieser Gebilde vorgelegt werden. Geht man von überlagerten Inschriften aus, lassen sich alle erklären. Nur eine Frage bleibt! Warum sollte man zwei Inschriften übereinander legen?
Nach einiger Recherche stellt sich das seltsame Gebilde als Teil zweier, sich überlagernder Inschriften heraus: es sind Namen der Könige Sethos I. und Ramses II.
Ich recherchiere also noch einmal ein wenig und stoße auf zwei weitere Begriffe: Spolie und Palimpsest. Das eine beschreibt die Wiederverwendung von Baumaterialien aus bereits bestehenden Gebäuden, das zweite das Überschreiben einer bereits bestehenden Inschrift mit einer neuen. Ich erfahre, dass beides bereits im antiken Ägypten gängige Praxis war und erinnere mich daran, dass Ramses II. diese Halle vollendet hat. Es war dann wohl nicht unüblich, bereits mit dem Namen des ursprünglichen Bauherren versehene Stellen mit denen des neuen Bauherren zu überschreiben. So etwas findet sich auch in und an anderen Monumenten, auch in solchen, die ebenfalls von Sethos begonnen und von Ramses fertiggestellt wurden.
Mit dieser Antwort zufrieden, gehe ich ins Bett. Nur eine Sache lässt mir keine Ruhe. Warum ist diese Inschrift denn dann so umstritten unter Ägyptologen, so wie es in der Doku mehrfach betont wurde?
Ein paar Tage später besuche ich deshalb eine Bibliothek, werfe ein Blick in jedes ägyptologische Buch, in dem dieser Tempel erwähnt wird. Überall finde ich dieselbe Erklärung: es handelt sich um die Überlagerung zweier Inschriften. Nur manchmal finde ich einen Hinweis dazu, dass diese Inschrift von fachfremden Personen missdeutet wurde und wird. Fachfremde? Es gibt hierzu gar keine kontroverse Debatte unter Ägyptologen?
Enttäuscht gehe ich nach Hause. Enttäuscht nicht davon, dass diese unschuldige Inschrift uns keinen Hinweis auf die Existenz von Aliens liefert oder ein Indiz für Hochtechnologie in der Antike sein kann, sondern enttäuscht, dass es scheinbar immer schwieriger wird gute Dokumentationen von schlechten zu unterscheiden und dass es scheinbar Mode ist, eine reißerische Story den Fakten – und seien sie noch so einfach zu recherchieren – vorzuziehen. Schließlich bin auch auch deshalb enttäuscht weil ich mir denke: würden die großen Medien über gute Wissenschaftsredaktionen verfügen, dann würden solche Dinge vielleicht gar nicht erst ins Fernsehen kommen, die am Ende nicht zum Wissenserwerb taugen, sondern „die Wissenschaft“ eher noch mehr von der Masse der Menschen entfernen, weil sie geeignet sind, Misstrauen ihr gegenüber zu schüren.
Ich lasse mich in den Sessel fallen und schalte… Nein! Heute Abend gehe ich lieber gleich ins Bett. Und morgen, morgen schaue ich, was das Abo eines wissenschaftlichen Magazins kostet. Da gibt es dann auch hübsche Bilder – aber viel mehr Inhalt!
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