Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2016. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier.
Das sagt der Autor des Artikels, KlausH über sich:
Obwohl ich kein Wissenschaftler und kein Philosoph oder Historiker bin, sondern IT-Fachmann, interessieren mich diese drei Disziplinen und ihre Bündelung in Form der Wissenschaftsgeschichte und -theorie. In letzter Zeit habe ich viel dazu gelesen und dieser kleine Aufsatz ist das Ergebnis eines daraus resultierenden Mitteilungsbedürfnisses, für das dieser Schreibwettbewerb gerade zur rechten Zeit kommt.
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Die Abschaffung des Himmels
Padua 1610. Galileo Galilei betrachtet zusammen mit seinem Freund Sagredo durch sein neues Teleskop den Mond. Sie sehen Berge und Täler wie auf der Erde und der dunkle Teil des Halbmonds leuchtet in einem aschfarbenen Licht, das – so sagt Galilei – von der Erde herrührt, die den Mond anstrahlt so wie diese umgekehrt nachts vom Mond erhellt wird. Der Mond ist wie die Erde, die Erde wie der Mond. Diese Erkenntnis drückt Galilei so aus: „Was du siehst, ist, dass es keinen Unterschied zwischen Himmel und Erde gibt. Heute ist der 10. Januar 1610. Die Menschheit trägt in ihr Journal ein: Himmel abgeschafft.“
Soweit Bertolt Brecht in seinem „Leben des Galilei“. Was ist das für ein Himmel, dessen Abschaffung hier bekanntgegeben wird? Denn der Himmel, den wir kennen, ist ja noch da, wir erfreuen uns an ihm in sternklaren Nächten. Und: fand die Abschaffung des Himmels wirklich im Jahre 1610 statt? Oder war es vielleicht ein Prozess, der sich über Jahrhunderte hinzog? Im Folgenden will ich die Phasen eines Weltbildwandels anhand einiger symbolischer Jahreszahlen skizzieren. Wir werden dabei sehen, dass das Jahr 1609 von gewisser Bedeutung war. Zunächst aber die
Ausgangssituation
Brechts Galilei meinte mit seinem triumphierenden Ausspruch die Abschaffung der mittelalterlichen Sicht des Kosmos, einer Mischung aus aristotelischer Kosmologie und christlicher Lehre. Dieser Kosmos war zweigeteilt in die sublunare Sphäre mit der Erde im Zentrum, die die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer enthielt, und die supralunaren oder himmlischen Sphären, die jeweils einen Planeten trugen (Sonne und Mond galten als Planeten). Dazu kamen der Fixsternhimmel und ein weiterer neunter Himmel (primum mobile). Die Himmelssphären waren durchsichtig und konzentrisch und aus kristallinem Material, quinta essentia, dem fünften Element. Jenseits davon, eigentlich aber außerhalb von Raum und Zeit, war der Feuerhimmel (caelum empyreum), der Sitz Gottes und der Engel. Alle diese Sphären hatten das Zentrum der Erde als Mittelpunkt. Die zentrale Stellung des Menschen in dieser Hierarchie erklärt das Interesse Gottes an der Menschheit (so der Philosophiehistoriker Kurt Flasch), verdeutlicht aber auch ihre Unterlegenheit und Abhängigkeit. Der Blick zum Himmel wird zur Anbetung Gottes.
Der Zweiteilung des Kosmos in die sublunaren und supralunaren Sphären entspricht eine solche der geltenden physikalischen Gesetze, Kurt Flasch spricht treffend von Zweistockwerksphysik. Der Apfel, der vom Baum fällt, gehorcht anderen Gesetzen als der Planet Jupiter auf seiner Bahn. Sublunar gilt das Gesetz der natürlichen Bewegung: alles strebt an den Ort an den es gehört, Erde und Wasser fallen nach unten, Luft und Feuer steigen nach oben. Supralunar ist die Bewegung der Planetensphären geordneter, streng kreisförmig, angetrieben durch das primum mobile. Dieser Antrieb ist als eine ständig wirkende Ursache zu sehen, die sich von oben nach unten von Sphäre zu Sphäre überträgt. Hörte der Antrieb auf, stünde der Himmel still. Der Schriftsteller Arthur Koestler schreibt: „Die Notwendigkeit, jeden sich bewegenden Körper ständig von einem Beweger begleiten und stoßen zu lassen, schuf ein Weltall, in dem unsichtbare Hände ohne Unterbrechung in Tätigkeit sein mußten.“ Wenn man sich die mühsame Bewegung von Ochsenkarren auf schlammigen Straßen vorstellt, wird es verständlich, dass der Begriff der Trägheit noch nicht bekannt war.
1277
Die Lehren des Aristoteles wurden nach der Wiederentdeckung und Übersetzung seiner Schriften, erst ins Arabische im 8./9. Jahrhundert, dann ins Lateinische im 12./13. Jahrhundert, zum Grundbestandteil der sich etablierenden Universitäten. Aristoteles plus christliche Theologie bildete das Fundament der Scholastik, eines kompakten Weltbildes, das bis in die frühe Neuzeit Bestand hatte. Da die Lehre „des Philosophen“ aber immer „religionsfremde DNS“ (so der Wissenschaftshistoriker Klaus Fischer) im Erbgut der Scholastik blieb, gerieten viele seiner Aussagen mit der Kirchenlehre in Konflikt. So erließ Étienne Tempier, Bischof von Paris, im Jahre 1277 ein Dekret, das 219 auf Aristoteles basierende Thesen verbot, die an der Pariser Universität diskutiert wurden. Dieses Verbot gab Anlaß, das strenge scholastische Korsett zu lockern, oder wie es der Philosoph Hans Blumenberg ausdrückte: „der für die späte Nachwelt erstaunliche Fall einer umfassenden Lizenz, die ausschließlich in der Form des Verbots erteilt wird.“ Man konnte über Lehrsätze von Aristoteles eine andere Meinung haben und hatte dazu eine kirchliche Erlaubnis.
Ein Beispiel für die Lockerung des scholastischen Systems und auch für die zeittypische Vermischung theologischer und naturphilosophischer Fragen ist die Diskussion über die Wirkungsweise der göttlichen Sakramente zu Anfang des 14. Jahrhunderts. Nach dem Prinzip der begleitenden Kausalität müßten sie durch Gottes direktes Eingreifen wirken. Dies war aber einer Fernwirkung gleichzusetzen, die sowohl Aristoteles als auch der Scholastik widerstrebte. Die eigentlich theologische Frage behandelt Franciscus de Marchia um 1320 anhand eines physikalischen Modells, nämlich der Wurfbewegung. Das Gemeinsame der beiden Fragestellungen ist der Gebrauch eines Werkzeuges (Sakrament, Stein) auf räumliche Distanz. Ein geworfener Stein müßte nach aristotelischer Physik nach Verlassen der werfenden Hand senkrecht nach unten, in Richtung seines natürlichen Ortes fallen. Aristoteles war sich dieser Problematik bewußt und begründete das Nichtfallen mit Luftwirbeln, die den Stein vorantreiben. Das war nicht sehr überzeugend. Franciscus’ Idee war, die begleitende Kausalität als übertragene Kraft oder impetus in dem Werkzeug zu deponieren. Die begleitende Kausalität wird dadurch beibehalten, aber vom fortgesetzten unmittelbaren Kontakt des Verursachers getrennt.
Jean Buridan gehörte zum Kreise William Ockhams, der bekannt wurde durch sein „Rasiermesser“, der Forderung nach Sparsamkeit der Annahmen. Buridan übertrug das Prinzip des impetus auf die Himmelsmechanik. Da er für ihren Bereich eine Ermüdung des impetus ausschloß, konnte er die Ursache für die Bewegung der äußeren Himmelssphären auf den Moment der Schöpfung beschränken. Durch den ihnen dabei verliehenen impetus behielten die Himmelskörper ihre Bewegung bei und das kontinuierliche Eingreifen Gottes und seines helfenden Personals in die Himmelsmechanik wurde nicht mehr benötigt. Diese Vorform des Trägheitsbegriffs gehörte zu dem Spielraum an Möglichkeiten, der durch das Pariser Dekret eröffnet wurde und der nicht zuließ, dass aus Kopernikus „der wirkungslose Aristarch des 16. Jahrhunderts wurde“ (Hans Blumenberg).
1543
Kopernikus leistete den ersten essentiellen Beitrag zur Destruktion der mittelalterlichen Himmelsvorstellung, indem er das ptolemäische Modell in Frage stellte, das die mathematische Beschreibung des mittelalterlichen Kosmos war. Seine Leistung war Ausgangspunkt aller Bemühungen, die in den nächsten hundert Jahren erfolgten. Der Begriff „kopernikanische Wende“ wurde zur Metapher für wissenschaftliche Revolutionen.
Ptolemäus benutzte umständliche Hilfskonstruktionen, um die besonderen Phänomene der Planetenbewegungen innerhalb des geozentrischen Modells zu erklären. Zu diesen Phänomenen gehörten nicht nur die retrograden Bewegungen (Schleifen), die er durch Epizykeln beschrieb, sondern auch die besondere Form der Schleifen und die unterschiedlichen Helligkeiten und Geschwindigkeiten im Bahnverlauf der Planeten. Er führte deshalb zuletzt den Äquanten ein, einen virtuellen Punkt außerhalb der Erde und des Zentrums der Planetenbahn, von dem aus gesehen der Planet eine konstante Winkelgeschwindigkeit, aber eine variable Bahngeschwindigkeit hat. Diese Aufgabe des Ideals der gleichförmigen Kreisbewegung durch den Äquanten war Kopernikus ein Dorn im Auge. Und so versuchte er es mit der schon von Aristarch ausprobierten Umbesetzung an der Zentralstelle des Universums, mit der er meinte die ideale Kreisbewegung erhalten zu können und die die Planetenschleifen auf elegante Weise erklärte.
Ferner war Kopernikus überzeugt, dass das Weltall von Gott für den Menschen geschaffen und deshalb in seiner Gesamtheit dem menschlichen Erkennen zugänglich sei. Diese Überzeugung ließ ihn glauben, die Wahrheit über die Himmelsbewegungen herausgefunden zu haben. Eine solche Haltung war nicht selbstverständlich. Traditionell entsprach der aristotelischen Zweistockwerksphysik auch eine Spaltung des Erkenntnisanspruchs, die Erde war dem Menschen und seinem Erkenntnisvermögen überlassen, der Himmel aber war göttlicher Bereich und entzog sich menschlichem Forschen. Diesem Erkenntnisverzicht gemäß reduzierten sich alle astronomischen Modelle, wie etwas das des Ptolemäus, auf den Charakter von Hypothesen, die mehr oder weniger nützlich waren, um die Vorgänge am Himmel zu beschreiben und vorherzusagen, sie sagten aber nichts aus über die dem Menschen prinzipiell unzugängliche Wirklichkeit des Himmels.
Auch Andreas Osiander, Reformator und letzter Herausgeber von Kopernikus’ Werk „De revolutionibus orbium coelestium“, sah in dessen Behauptungen lediglich nützliche Hypothesen. Und so ließ er dem Buch, als es in Kopernikus’ Todesjahr 1543 endlich erschien, ein Vorwort vorangehen, dass der Intention des Autors widersprach. Ferner fälschte Osiander den von Kopernikus gewünschten Titel, der ursprünglich von den Kreisbewegungen der Weltkörper (orbium mundi) und nicht der Himmelskörper (orbium coelestium) handeln sollte. Die Auflösung des Himmel-Erde-Dualismus wollte Kopernikus schon im Titel ausdrücken. So wurde das Werk eines Astronomen, der eine Revolution des Weltbildes anstieß, von seinem Herausgeber in guter Absicht relativiert und sein Titel verfälscht.
1577
Zu den Bewunderern von Kopernikus gehörte der Universalgelehrte Gemma Frisius. Er drückte seine Begeisterung sehr bildhaft aus: „Urania selbst bestimmte sich dort einen neuen Wohnsitz und lockte neue Verehrer an, die uns eine neue Erde, eine neue Sonne, neue Sterne, ja sogar einen ganz anderen Erdkreis bringen werden.“ So einen neuen Stern beobachtete dann Tycho Brahe 1572 im Sternbild Kassiopeia. Wir wissen heute, dass er eine Supernova war. Er war etwas Besonderes, weil er bewies, dass die achte Sphäre (der Fixsternhimmel) nicht unveränderlich ist, in Widerspruch zur mittelalterlichen Kosmologie. Tycho sprach von dem Ereignis ein Leben lang als dem „Augenblick, da der Himmel ihn zum Gesprächspartner erwählte.“
Auch der Komet, der ab dem November 1577 rund um den Globus beobachtet wurde, muß eine beeindruckende Himmelserscheinung gewesen sein: ein 22º langer, 2,5º breiter Schweif, auch im Dezember war er noch 7º lang, bis er dann im Januar verschwand. Tycho Brahe stellte fest, dass er sich vor dem Fixsternhimmel kaum bewegte. Das hieß, der Komet war ähnlich weit entfernt wie die Planeten. Dort war aber im alten Weltmodell gar kein Freiplatz vorgesehen, die planetaren Sphären verhinderten ein solches freies Schweifen eines Kometen. Tycho folgerte, dass diese Sphären nicht existierten. Giordano Bruno kommentierte: „Ergo perit coelum – Also verschwindet der Himmel“ und die Autorin Dava Sobel schreibt: „Als er diesen Donnerschlag losließ, konnte man förmlich das Klirren von zersplitterndem Kristall vernehmen.“
1609
Kopernikus’ Wahrheitsanspruch stand noch auf wackligen Füßen – das Neue war, dass er ihn überhaupt erhob. Über 60 Jahre lang entfaltete Osianders Vorwort, dass das kopernikanische Modell mit der Wirklichkeit nicht zu verwechseln sei, seine Wirkung – bis Galilei im Jahre 1609 sein Teleskop auf den Himmel richtete und in seinem im folgenden Jahr veröffentlichten „Sternenboten“ davon berichtete.
Wir haben uns heute an die Unanschaulichkeit physikalischer Theorien gewöhnt, aber von Galileis Zeitgenossen wurde seine Aufforderung, mit den Augen wahrzunehmen, was gerade nicht dem Augenschein entspricht, dass die Sonne stillsteht und nicht die Erde, nur zögerlich angenommen. Das Bedürfnis nach Beweisen oder zwingenderer Begründung scheint angesichts der Unanschaulichkeit des kopernikanischen Systems verständlich. Analogien, wie der Vergleich von Erd- mit Mondoberfläche, oder von Erd- mit Jupitertrabant, sind alleine nicht ausreichend, um den unmittelbaren Sinneseindruck einer ruhenden Erde zu erschüttern.
Nun ist es mit Beweisen in der Naturwissenschaft so eine Sache. Keine Beobachtung kann eine Theorie beweisen, aber sie kann konkurrierende Theorien aus dem Rennen werfen. An kosmologischen Theorien waren drei im Angebot: die geozentrische des Ptolemäus, die heliozentrische des Kopernikus und die tychonische von Tycho Brahe, eine Kompromisstheorie, bei der die Planeten um die Sonne, diese aber weiterhin um eine feste Erde kreist. Wenn eine Beobachtung vorliegt, die aus einer Theorie abgeleitet wird und mit Konkurrenztheorien unvereinbar ist, dann kann man diese Beobachtung einen (vorläufigen) Beweis dieser Theorie nennen. In diesem Sinne ist die Fixsternparallaxe ein Beweis für die kopernikanische Theorie, man suchte nach ihr, aber erst 1838 wurde sie von Bessel zum ersten Mal nachgewiesen. (Der allererste Beweis – im obigen Sinne – gelang allerdings schon Bradley 1729 mit der Entdeckung der Aberration des Sternlichts). Von all den Beobachtungen, die Galilei mit seinem Teleskop machte – die Mondtopografie, die Jupitermonde, die Sonnenflecken -, hatte nur eine einen solchen Beweischarakter, nämlich die Beobachtung der vollen Venusphase. Sie war im Gegensatz zu den Sichelphasen kopernikanisch, aber nicht ptolemäisch erklärbar. Sie war aber auch mit Tychos System erklärbar, sodass man sagen muß, Galilei hatte keine Beweise für das kopernikanische Weltbild, er konnte zumindest das konkurrierende tychonische, bei dem die Erde wie bei Ptolemäus stillsteht, nicht ausschließen.
Auch wenn die Beweise für Kopernikus fehlten, erschütterte Galileis Fernrohr und sein Sternenbote das Bild vom Himmel. Zumindest war erwiesen, dass die Venus um die Sonne kreist, damit war eine der alten Planetensphären nicht mehr existent. Die Erde war nicht im Zentrum aller Himmelsbewegungen und die Welt war homogener als angenommen. Und was die fehlende Parallaxe betrifft: viele Gelehrte waren auch ohne Beweise von Kopernikus überzeugt, für sie lieferte die noch nicht beobachtete Parallaxe einen Hinweis auf die unvorstellbare Größe des Weltalls.
Im gleichen Jahr 1609 veröffentliche Kepler seine „Astronomia Nova“. Er hatte Tychos Beobachtungsdaten geerbt, die von zuvor nicht gekannter Genauigkeit und Kontinuität waren und er benutzte sie als Prüfstein seiner Berechnung der Marsbahn. Als diese um 8 Bogenminuten von den Daten abwich – was für damalige Standards sehr wenig war, für Kepler aber zu viel -, verwarf er alle gemachten Voraussetzungen. Die Annahme einer Ellipsenbahn behob diese Abweichung. Erst durch Keplers Modifikationen war das heliozentrische Modell in der Lage, die Phänomene nicht nur eleganter sondern auch genauer zu erklären als das geozentrische Modell des Ptolemäus.
Kepler hob auch die Trennung zwischen Astronomie und Physik auf, man kann ihn als den ersten Astrophysiker bezeichnen. Es ging ihm nicht mehr nur um Bahnen und Geometrie, sondern um Erklärungen und Ursachen, und diese wurden nicht mehr in aristotelischen Schemata gesucht, sondern es taucht bei ihm schon der Begriff „Kraft“ auf, die von der Sonne herrührt und die Planeten vorantreibt. Präzisieren konnte er die Beziehung zwischen Kraft und Bahn aber noch nicht. Die Dynamik der Planetenbahnen blieb ihm noch verborgen, dafür hat er ihre Kinematik als erster in mathematische Gesetzesform gegossen.
1687
Keplers Schriften sind zu einem großen Teil wie ein Dschungel voller pythagoreischer Zahlenmystik, in dem seine drei Gesetze wie versteckte Blüten schlummern. Er kam auf sie durch ständiges Herumprobieren, bis die Zahlen zu den Beobachtungen paßten. Erst Newtons Mechanik schuf das theoretische Fundament, um die Gesetze Keplers physikalisch zu erklären, seine mühsame Puzzlearbeit konnte nun deduktiv aus Newtons Gesetzen gefolgert werden. Das von Kepler modifizierte kopernikanische Modell machte nun auch physikalisch Sinn. Die zwei Stockwerke des Mittelalters fielen in sich zusammen. Der Apfel fällt vom Baum aus der gleichen Ursache, die Jupiter seine Bahn ziehen läßt. Die Gesetze der Mechanik sind universal.
Um zu dieser Synthese in seiner „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“ von 1687 zu gelangen, mußte Newton Aristoteles in mehrerlei Hinsicht endgültig hinter sich lassen. Erstens ist Bewegung durch das Trägheitsprinzip nicht mehr an eine Ursache gebunden, sondern nur noch Bewegungsänderung. Ein Körper, auf den keine Kraft wirkt, bedarf keiner wie auch immer gearteten Kausalität mehr, um seine Bewegung beizubehalten. Bewegung ist ein Zustand geworden. Zweitens wird die Schwere umgedeutet. Sie ist nicht mehr die Neigung der Elemente Erde und Wasser, zu ihrem natürlichen Ort im Zentrum des Weltalls zu gelangen, sondern eine universale Kraft, die alle Körper sich gegenseitig anziehen läßt. Drittens nahm Newton mit der Fernwirkung der Schwerkraft Abschied vom aristotelischen Gedanken der Kontaktkausalität. Noch Descartes war davon ausgegangen, dass Wirkung nur durch Berührung möglich sei und hatte darauf seine Theorie der Ätherwirbel gegründet, die die Planeten in Bewegung halten. Die Fernwirkung ist der unanschaulichste Teil der neuen Newtonschen Physik. Ihr Erfolg ließ über diesen Punkt aber hinwegsehen.
Dieser Erfolg gründete auf der Präzisierung der physikalischen Begriffe und ihrer Formulierung in einer neuen Mathematik, der Analysis. Isaac Newton kann als der Vollstrecker des Weltbildwandels angesehen werden, der im späten Mittelalter zaghaft vorbereitet, von Kopernikus in die Wege geleitet und von Tycho, Galilei und Kepler vorangetrieben wurde.
1859
Ein Relikt des alten Dualismus von Erde und Himmel war 1835 die These des Philosophen Auguste Comte, dass der Mensch niemals in der Lage sein werde, die chemische Zusammensetzung der Sterne zu untersuchen. Wenn sie also doch aus einer Art quinta essentia oder einer völlig anderen Chemie bestünden, könnte dies niemals festgestellt werden.
Die Lebensdauer dieser Behauptung war kurz. 1859 begründeten Kirchhoff und Bunsen die Spektralanalyse und seither konnte man mittels des Sternlichtes die Sternchemie erforschen. Und die Homogenität des Kosmos erwies sich erneut, denn in den Sternspektren tauchten nur bekannte Elemente auf, im Wesentlichen Wasserstoff und Helium.
Die Spektralanalyse war es dann auch, die unser Bild vom Himmel im 20. Jahrhundert noch einmal dramatisch veränderte. 1929 entdeckte Edwin Hubble, dass die Spektren von Galaxien ins Rote verschoben waren. Er interpretierte dies als Auswirkung des Dopplereffekts, d.h. die Galaxien entfernen sich von uns. In dem nach ihm benannten Gesetz stellte er einen proportionalen Zusammenhang her zwischen Stärke der Rotverschiebung und Entfernung der Galaxien. Die Grenzen des Weltalls verschoben sich noch einmal in ungeahnte Ferne. Außerdem bestätigte Hubbles Entdeckung die Theorie der Expansion des Weltraums, die Georges Lemaître kurz zuvor aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie theoretisch abgeleitet hatte.
1990
Nachdem der forschende Blick ins All den Menschen immer weiter von seinem Heimatplaneten entrückt hat, beginnt er seit den 1950er Jahren mit der Raumfahrt sich auch körperlich von ihm zu lösen. Seitdem gibt es auch eine umgekehrte Perspektive. Der mittelalterliche Mensch schaute in Anbetung Gottes von der Erde zum Himmel auf, uns ist ein distanzierter Blick vom Himmel auf die Erde möglich, der uns unsere Schutzbedürftigkeit, Beschränktheit und kosmische Bedeutungslosigkeit vor Augen führt. Dies drückt sich in berühmten Fotos des Planeten aus, wie „Blue Marble“ von 1972 und das von Carl Sagan angeregte „Pale Blue Dot“ von 1990, das die Erde als winzigen blassen Punkt im All zeigt.
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